Der Komponist Bernd Franke, Jahrgang 1959, hat im Auftrag des Gewandhauses drei neue Orchesterstücke geschrieben. Musikredakteurin Meret Forster hat den Leipziger getroffen.
neue musikzeitung: Kommen Sie gerade vom Komponieren?
Bernd Franke: Ja, ich bin mitten im dritten Stück und ganz beschlagnahmt davon. Ich schreibe immer noch mit der Hand. Dabei habe ich keinen regelmäßigen Arbeitsrhythmus, sondern bin 24 Stunden lang mehr oder weniger damit beschäftigt. Manchmal komponiere ich auch nachts, also relativ chaotisch.
neue musikzeitung: Sie leben und arbeiten in Leipzig seit Ihrer Studienzeit Mitte der 1970er-Jahre. Wie hat sich die Neue-Musik-Szene gewandelt?
Bernd Franke : Es gab drastische Veränderungen. Ich habe noch die Hochzeiten der Gruppe Neue Musik Hanns Eisler erlebt, die es nicht mehr gibt. Neue Komponisten sind inzwischen nach Leipzig gekommen, andere Professoren wirken prägend. Zudem hat der Musikmarkt die Lage verändert. Für einige Komponisten der älteren Generation ist es nach der Wende schwierig geworden, ihre Stücke bei Verlagen unterzubekommen. Einige Kollegen reisen auch nicht so gerne. Für meine Generation, die viel freier kommunizieren, reisen und assimilieren konnte, war das anders. Ich hatte schon vor 1989 viele Kontakte in den Westen, die ich ausbauen, vertiefen und erweitern konnte.
neue musikzeitung: Inwieweit hat sich die Szene in den 1990er-Jahren individualisiert?
Bernd Franke : Es gab früher einen gewissen Zusammenhalt durch die Eisler-Gruppe. Vielleicht sieht man das jetzt aber nur nostalgisch, weil die Szene damals schon heterogen war. Einige Mitglieder der Eisler-Gruppe sind weggezogen, etwa Friedrich Schenker oder Burkhard Glaetzner. Sicherlich hat man sich in DDR-Zeiten durch den Komponistenverband öfters getroffen. Stücke wurden vorgestellt und analysiert. Heute gibt es eine Reihe von Komponisten wie ich oder Steffen Schleiermacher, die außer in der GNM und in der GEMA in keinerlei Institution Mitglied sind. Dadurch sind wir relativ autark und individualisiert.
neue musikzeitung: In der Malerei ist gerne von der Leipziger Schule die Rede. Gibt es äquivalente Tendenzen in der Musik?
Bernd Franke : Sicherlich nicht. Momentan gibt es viel zu wenige Komponisten in Leipzig und keine Zusammenarbeit, Koordination oder Synergien. Ich empfinde das als ausgesprochen unklug. Aber die Neue Musik ist im Vergleich zur Malerei prinzipiell viel schwieriger zu vermarkten. Auf dem Kunstmarkt spielen wir überhaupt keine Rolle, weil Neue Musik den Verlagen mit wenigen Aufführungen nicht viel Tantiemen bringt. So kann man unseren Marktwert als Komponisten weltweit einfach nicht hochtreiben. Das wird sich so schnell nicht ändern.
neue musikzeitung: Die Musikwissenschaftlerin Gisela Nauck schrieb über Sie: „Sein klanglich-dramaturgisches Komponieren zielt auf eine dem Hören unmittelbar erfassbare musikalische Sprache, ohne deshalb in Einfachheit oder Neo-romantizismen zu verfallen.“ Erkennen Sie sich da wieder?
Bernd Franke : Zum größten Teil schon. Ich denke, dass mein Ziel, mit Reduktion zu arbeiten, in den letzten Jahren zugenommen hat. Gerade in dem Auftragswerk für das Gewandhaus reduziere ich das Material enorm, versuche aber, trotzdem sehr komplex zu sein. Dabei will ich nicht im Sinne von Lachenmann die Klänge auf Geräusche reduzieren, sondern auf Minimalstrukturen. Ich arbeite eher im Sinne von Scelsi oder anderen Komponisten mit wenigen Grundtönen und Zentralintervallen, die aus der Reduktion heraus wieder komplex werden. Das ist zunächst ein schwieriger und zum Teil ein taoistischer Anspruch. Es kann aber eine Antenne für das Publikum geben, indem Komplexität fassbar wird. Deshalb interessieren mich auch philosophische Fragen der Funktionalität von Musik und der Funktion von Strukturen in der indischen oder indonesischen Musik. Mich beschäftigen kulturelle Gegensätze und Gemeinsamkeiten, die teilweise durch Klangobsessionen der klassisch-romantischen Musik verschüttet wurden.
neue musikzeitung: Im Auftrag des Gewandhauses schreiben Sie jetzt die drei Stücke CUT VI-VIII, die sich in Ihr 2001 begonnenes CUT-Großprojekt einordnen. Der englische Titel bedeutet „Schnitt“, „Hieb“ …
Bernd Franke : Er kann sogar noch „Stich“ oder „Wunde“ heißen. Es gibt vielschichtige Bedeutungen. Zunächst handelt es sich jedoch um einen sehr trockenen, materialtechnischen Begriff wie Fuge oder Sinfonie. Ich vermeide farbige oder metaphernreiche Titel. Durch das Englische entsteht auch ein Bezug zur Rock- und Popmusik. Rein formell gesehen, wird geschnitten. Ich arbeite mit einer Collage-Technik und Verlinkung. Es ist die Idee dieser CUT-Serie, dass einige Stücke simultan aufgeführt oder verzahnt werden können. So kann zum Beispiel das Ende von CUT VI überlagert werden mit CUT VII, dito bei CUT VIII. So vermische ich in meiner Musik Elemente aus der westlichen amerikanischen Musik – die Tradition von Feldman und Cage – mit Ansätzen, die aus der polnischen Musik eines Lutos-lawski kommen. Die Aleatorik habe ich nicht aufgegeben, sondern weiterentwickelt, so dass es innerhalb des metrisch geordneten Ablaufs Teilaleatorik gibt. Improvisatorische Freiheit wird den Musikern aber nicht zugesprochen.
neue musikzeitung: Viele Ihrer Stücke stehen in ei-nem inner- und außermusikalischen Beziehungsgefüge zwischen Komponisten der „New York School“, der Madrigalkunst Gesualdos und Kunstwerken von Chagall oder Christina Kubisch. Wie sind diese Referenzen zu verstehen?
Bernd Franke : Als ich zum Bespiel vor zwei Jahren den Auftrag vom Gewandhaus bekommen habe, meinte Chailly, ich könnte doch in Beziehung zu Bach bzw. Bach und Berio komponieren. Besetzungsvorgaben gab es keine. Ich habe mich dann gefragt, was für mich heute die Essenz von Bach ist und was ich rein materialtechnisch damit anfangen kann. Komponieren ist für mich ein geistig-emotionaler Vorgang. Einerseits spielt das Unterbewusstsein mit, andererseits ist man hellwach. Dieses Hellwach-Sein ist eine sehr merkwürdige Situation, weil man ständig darüber reflektiert, was man macht, aber laufend emotionale Einflüsse dazukommen, Emotionen gegenüber den Widmungsträgern sowie dem Orchester und der eigenen Klangsprache.
neue musikzeitung: Welche Rolle spielen dabei Ihre Reisen nach Asien und in die USA?
Bernd Franke: Ohne diese Reisen würde ich völlig anders komponieren. Deshalb kann ich es gar nicht verstehen, wenn Komponisten heute sagen, dass sich für sie selbst fast nichts geändert habe seit der Wende. Nach wie vor sitze man vor weißem Notenpapier, und das sei vor 1989 auch schon so gewesen. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, weil sich irrsinnig viel geändert hat, allein durch die Literatur und das Internet. Ich habe auf Reisen unheimlich viel assimiliert, gerade bei der Beschäftigung mit indischer, japanischer oder koreanischer Musik.
neue musikzeitung : Wo geht die nächste Reise hin?
Bernd Franke : Erst einmal nach Italien im Juni. Bis dahin muss ich ganz viel arbeiten, und es gibt die Uraufführungen in Leipzig und Kiel. Im Herbst fahre ich wahrscheinlich noch einmal nach Indonesien, nach Japan im Oktober zu Konzerten und Meisterkursen, nach Warschau zu einer Uraufführung im November, nach Israel im Januar. Nächstes Jahr steht auch noch Burma an.