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Eine Frau mittleren Alters mit blonden Locken in weißem Top und schwarzen Blazer lehnt an einem Geländer. Im Hintergrund eine weiße Wand aus Torbögen.

Musikmanagerin Katja Lucker. Foto: Roland Owsnitzki

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„Ich bin gegen das Prinzip Scheuklappe“

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Katja Lucker, Geschäftsführerin der Initiative Musik im nmz-Gespräch
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Die Initiative Musik wurde 2007 als Gemeinschaftsprojekt der Bundesregierung und der Musikbranche gegründet. Sie ist die zentrale Fördereinrichtung und Plattform für Musik. Die beiden Gesellschafter sind die GVL und der Deutsche Musikrat. Im Januar 2024 hat Katja Lucker die Geschäftsführung übernommen, nachdem sie über zehn Jahre im von ihr gegründeten Musicboard Berlin Expertise gesammelt hatte. Die inhaltsorientierte Förderung von Künstler*innen und Musikgenres ist auch ihre Motivation im neuen Amt. Susanne Fließ sprach mit der Musikmanagerin.

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neue musikzeitung: Katja Lucker, die Initiative Musik gibt es seit 2007 als Gemeinschaftsprojekt der Bundesregierung und der Musikbranche. Die beiden Gesellschafter sind die GVL und der Deutsche Musikrat. In der Selbstdarstellung der Initiative Musik im Internet stehen anspruchsvolle Selbstverpflichtungen wie „wir engagieren uns für eine vielfältige Musiklandschaft mit zukunftsfähigen ökonomischen Strukturen“. Was ist denn darunter konkret zu verstehen?

Katja Lucker: (lacht) Sie wissen ja, dass ich erst seit dem 1. Januar 2024 Geschäftsführerin bin. Was man definitiv sagen kann: Wir haben den klaren Auftrag, die bundesdeutsche Musikbranche zu unterstützen, und damit sind natürlich auch Musikerinnen und Musiker gemeint. Die „Künstler*innenförderung“ ist das Programm mit dem größten Volumen. Wir unterstützen Artists dabei, ihre neue Platte aufzunehmen, auf Tour zu gehen, ein Video zu machen. Alles, was wir tun, machen wir nicht im Amateurbereich, sondern mit Menschen, die professionell in der Musik arbeiten. 

Unsere Förderprogramme erstrecken sich aber auch auf die Clubszene. In dem Förderprogramm Live richtet sich das Programm Live 500 an Clubs, Musikvenues und regionale Veranstalter*innen von kleineren Konzerten und Konzertformaten mit Newcomer*innen oder experimentellen Genres. Und gerade wurde der Fes­tivalförderfonds ins Leben gerufen, und so können wir besondere soziokulturelle Schwerpunkte setzen, etwa in der Nachwuchsförderung. Wir erfüllen damit auch einen parlamentarischen Willen, den ländlichen Raum zu unterstützen. Die Unterstützung gilt denen, die Kunst machen, oder den Strukturen dahinter. Dann gibt es natürlich noch weitere wichtige Förderprogramme wie die Struktur- oder Exportförderung bei uns.

nmz: Und dann gibt es noch drei große Musikpreise.

Lucker: Der Älteste ist der Applaus, eine Anerkennung der Live-Musik-Spielstätten und -Reihen. Der Deutsche Jazzpreis wird nächstes Jahr zum fünften Mal vergeben. Und seit letztem Jahr gibt es den Polyton, inklusive der  von popmusikalischen Akteur*innen initiierten Akademie für Populäre Musik, die als Sprachrohr für Musiker*innen dient. Unsere Fördergelder kommen von der BKM, wir geben sie weiter in die Musikbranche. All das gehört zum Auftrag, den wir hier als gemeinnützige GmbH erfüllen.

nmz: Die Initiative Musik ist seit ihrer Gründung zu einer sehr großen und personalintensiven Einrichtung herangewachsen.

Lucker: Gestartet ist sie damals in Berlin mit einem Volumen von ungefähr 1.000.000 Euro und einer Handvoll Mitarbeiter*innen. Aktuell sind wir um die 90, das ist aber teilweise noch Neustart Kultur geschuldet. Die Förderungen sind bereits beendet und werden gerade noch administriert. Bis zum Herbst werden wir zwischen 55 und 60 Menschen sein. Es liegt in der Natur einer solchen Organisation, dass sie sich mal vergrößert, mal verkleinert. Neue Programme oder Themen kommen dazu, wie jetzt zum Beispiel der Festivalförderfonds. Und die wechselnde Größe hat natürlich auch damit zu tun, dass diese Branche immer im Wandel ist und in der Musik immer wieder neue Themen aufkommen.

Förderanträge im Wachsen

nmz: Von einem Budget in welcher Größenordnung reden wir pro Jahr?

Lucker: Das variiert, die Zuwendungen für 2025 stehen noch nicht ganz fest, aber das Kernbudget bewegt sich um die 20.000.000 Euro im Jahr, hinzu kommen einzelne Projekte, so dass wir in 2024 gut 28.000.000 Euro an Fördergeldern zur Verfügung haben. Wir sind ja keine Institution, auch wenn wir quasi nicht mehr aus der Musiklandschaft wegzudenken sind.

nmz: Seit der Gründung der Initiative Musik ist die Anzahl der Förderanträge enorm gewachsen. Ist das ein Zeichen wachsender Bekanntheit oder des Gießkannenprinzips?

Lucker: Im Jahr 2023 haben wir insge­samt alleine in der Künst­ler*innen­förderung 738 Projekte bewilligt, knapp 2.900 Anträge waren es! Nicht zu vergessen Neustart Kultur: 2.808 Projekte haben wir von 2020 bis 2023 gefördert. Dazu kommen noch die Live -
und Strukturförderung, Preisgelder aus dem Applaus und dem Deutschen Jazzpreis, es ist wirklich sehr viel, was da in der Vergangenheit alles geleistet wurde!

Uns erreichen jedoch deutlich mehr Anträge als wir Förderzusagen machen können. Allein im Festivalförderfonds haben wir dieses Jahr 800 Anträge erhalten, davon konnten wir 141 Festivals fördern. 

Zu Beginn war das Budget naturgemäß niedriger und mit der allmählichen jährlichen Erhöhung fand auch eine stärkere Ausdifferenzierung der Förderung statt. Waren es zunächst einzelne Musiker*innen, kam dann die Clubförderung dazu, dann wurden auch Preise wie der Applaus ausgelobt. So dass auch die Preisgelder zum Gesamtbudget gehören.

nmz: Ich komme nochmal auf die eingangs erwähnten zukunftsfähigen ökonomischen Strukturen zurück. Das bedeutet wahrscheinlich ja auch, dass Sie Ihr Förderverhalten beforschen müssen: Wie entwickelt sich die Festivallandschaft, welche Trends sind zu erkennen, was verdient keine Förderung mehr?

Lucker: Ja, diese Frage ist vollkommen berechtigt. Genau da sind wir dran. Wir werden jetzt nach und nach die Förderprogramme evaluieren lassen, gemeinsam mit Fachleuten auf diesem Gebiet und schauen, ob zum Beispiel die Künstler*innenförderung, die wir seit 16 Jahren machen, noch State of the Art ist. Erreichen die Förderprogramme die Menschen, die wir erreichen wollen und wen erreichen wir damit überhaupt? Bilden wir aktuell alle Genres ab? Das ist eine zeitintensive Angelegenheit, aber danach ist man immer schlauer und kann daraus Strategien für die Zukunft ableiten.

nmz: Gibt es einen Grad von Bekanntheit eines Künstlers, einer Künstlerin, weshalb eine Förderung nicht mehr möglich ist?

Lucker: Diese Frage ist absolut richtig und auch wir stellen sie uns: Es gibt ja durchaus unterschiedliche Sichtweisen auf die Thematik. Ich bin ja erst seit ein paar Monaten bei der Initiative Musik. In meiner Zeit als Geschäftsführerin des Musicboards in Berlin war die Herangehensweise, den Karriereaufbau zu begleiten, eine Band, eine*n Solo-Künstler*in in den Anfängen zu unterstützen. Die Hoffnung in der Förderung ist natürlich immer, dass Musiker*innen irgendwann nicht mehr auf Förderung angewiesen sind.

Nun haben sich allerdings die Zeiten nochmal rapide verändert. Nach der Pandemie, mit der Inflation, zwei Kriegen in nächster Nähe und absolut erschwerten Bedingungen als Newcomer*in oder im Mittelfeld, um mit seiner Kunst Geld zu verdienen. All diese Faktoren erschweren künstlerische Lebensläufe. Das gilt sicherlich nicht für alle, aber doch für viele. Selbst wenn Artists auf Streamingplattformen gehört werden, heißt es noch lange nicht, dass sie dafür angemessen entlohnt werden. Die Menschen überlegen sich auch aktuell wirklich dreimal, wofür sie ihr Geld ausgeben. Das eine große Konzertticket für 150 Euro, oder mehrere kleine für 20 bis 40 Euro. Es ist sehr komplex geworden in diesen Zeiten, von der Musik leben zu wollen. Das gilt im Übrigen für Musiker*innen und genauso für die kleineren und mittleren Venues.

Wir als diejenigen, die Steuergelder weitergeben, versuchen ja meist die Lücke zwischen dem, was Künstler*innen aus eigener Kraft verdienen können, und dem, was der Markt hergibt, zu schließen. Die Lücke wird für einige größer, wenn die Branche sich entwickelt, wie sie es gerade tut. Ausnahmen gibt es natürlich immer und ein Künstler wie Ski Aggu hat sich sehr schnell am Markt etabliert und wurde ganz am Anfang auch von uns gefördert.

nmz: Sie kommen ja stark vom Inhalt und nicht in erster Linie vom Marketing. Das könnte auch bedeuten, dass Ihr Herz, sofern Sie Einfluss nehmen können, womöglich auch für abseitigere Projekte schlägt. Spielt also die Marktgängigkeit eines zu fördernden Projektes die größere Rolle oder die Vielfalt?

Leidenschaft für die Inhalte

Lucker: Danke für die Inhaltszuschreibung, das ist ein großes Kompliment für mich. Denn es ist die Wahrheit. Ich könnte mich mit dem, was ich tue, nicht so intensiv befassen, wenn mich nicht die Leidenschaft für die Inhalte antriebe. Auf jeden Fall müssen wir die Arroganz ablegen, einzelne Genres links liegen zu lassen. Ich empfinde es als riesiges Privileg, eine Organisation wie diese zu leiten, die Steuergelder an die Musikbranche weitergeben kann. Die Verantwortung, dieses Geld so gut wie möglich weiterzugeben, damit wir davon eine blühende, vielfältige Musik­landschaft unterstützen können, ist mir durchaus bewusst.

nmz: Inwiefern kommt Ihnen bei der Bewertung des Marktes Ihre eigene Biografie zugute?

Lucker: Ich komme ja von der kreativen Seite, habe ein Schauspielstudium absolviert und im Laufe meines Berufslebens selbst sehr viele Festivals kuratiert und veranstaltet, auch im Bereich Neue Musik und im Jazz. Von daher habe ich seit 1989 einen Erfahrungsschatz, mit dem ich dafür sorgen kann, dass Ideen nicht im Elfenbeinturm, sondern im Gespräch und im Austausch mit anderen entstehen. Diese Sozialisation bringe ich für die neue Leitungsstelle mit. Wir sprechen entweder selbst mit den Akteuren oder sind in regem Austausch mit den entsprechenden Verbänden, die auch in unseren Gremien, Beiräten, in den Jurys und Lenkungsgruppen vertreten sind und uns so den Bedarf spiegeln.

nmz: Ihr Haus hat sich der Key Change-Bewegung angeschlossen, also der Verpflichtung zur Einlösung einer Quote, die zu 50 Prozent Flinta-Personen berücksichtigt. FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen, die oft in der öffentlichen Wahrnehmung und auf der Bühne unterrepräsentiert sind. Wie ist da der Stand der Dinge?

Lucker: Innerhalb des eigenen Hauses haben wir diese Selbstverpflichtung längst erfüllt. Als ich Geschäftsführerin wurde, war Key Change bereits von meiner Vorgängerin unterschrieben. Aber ich unterstütze die Idee mit Überzeugung. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass bei der Förderung der Menschen auf eine angemessene Vielfalt geachtet wird. Indem wir die Forderung aussprechen und sie auch nachzulesen ist, schaffen wir Sensibilität für das Thema. Es gibt ja immer wieder Ausreden, ich selbst habe da in meinem Berufsleben die lustigsten Dinge erlebt. Es ist nicht mehr angemessen und nicht mehr zeitgemäß, ein Festival Line-Up zu planen, auf dem von 20 Programmpunkten 18 Männer sind. Ein Podium, auf dem nur eine Frau sitzt, nämlich als Moderatorin, während Expertise und Fachwissen durch fünf Männer repräsentiert werden, verursacht ein Störgefühl. In den allermeisten unserer Programme wird die Diversitätsquote bereits erfüllt, die Leute gehen das mit einem großen Selbstverständnis an. Ich sehe offen gestanden aktuell andere Probleme, auch mit Blick auf die Wahlen. Wir sollten wirklich alles dafür geben, dass in allen Regionen Deutschlands Demokratinnen und Demokraten an der Macht sind. Wie konnte es passieren, dass wir alle so lange weggeguckt haben, uns darum nicht gekümmert haben, was auf der politischen Bühne geschieht? 

nmz: Von politischen Entscheidungs­trä­ger*innen hängt nicht zuletzt die künftige Kulturförderung ab.

Lucker: Die Politik macht uns gerade nicht sehr viel Hoffnung, dass es in naher Zukunft Aufwüchse in der Kultur geben wird. Wir Kulturmanager*innen müssen uns also eine Strategie überlegen, wie wir die Gelder einsetzen, in der Hoffnung, dass sie nicht auch noch zusammengestrichen werden. Wie fördern wir vor diesem Hintergrund? Die Verteilungskämpfe werden schon jetzt sehr stark geführt, auch von vielen Verbänden da draußen. Da wird die Subventionspolitik für die Hochkultur hörbar kritisiert. Denn die Teilhabe an diesen Events steht in krassem Gegensatz zu anderen Kulturen, die eigentlich sehr gut in die Flächen wirken könnten, beispielsweise Jugendfreizeitzentren in den ländlichen Regionen. Das alles wurde in den letzten Jahren so unglaublich vernachlässigt, mit dem Ergebnis, dass dort demokratische Strukturen weggebrochen sind und sich stattdessen, ich sag es jetzt mal so pathetisch, das Böse ausbreitet.

nmz: Beziehen Sie sich mit dem Hinweis auf Vernachlässigung auf die Musikszene in der ersten Zeit in Berlin direkt nach dem Mauerfall?

Lucker: 1989 bin ich nach Berlin gekommen und habe mich dort intensiv mit der Musik in der DDR beschäftigt. Es gab diese Arroganz des Westens, das großartige Musikleben, auch den Jazz, in der DDR zu ignorieren. Damals habe ich dort sehr viele Konzerte mit Künstler*innen der DDR veranstaltet. Am Anfang lief es sehr gut mit Bands, mit Artists, mit Jazzern aus dem Osten und dann blieb teilweise das Publikum weg oder Veranstalter haben die irgendwann nicht mehr gebucht. Das Pauschalurteil, in dieser Diktatur kann nichts Gutes entstanden sein, ziehe ich stark in Zweifel und es macht mich auch wütend, dass man jetzt so tut, als hätte man diese Entwicklung nicht wahrgenommen. Man hätte das alles sehen können. Ich schließe mich da auch selbst ein, wir haben nicht gut genug darauf geguckt, was das mit den Menschen gemacht hat nach der Wende sich nicht mitgenommen zu fühlen, Arbeit oder soziale und kulturelle Strukturen zu verlieren.

nmz: Woran erkennt man ein halbes Jahr, nachdem Sie die Geschäftsführung übernommen haben, Ihre Handschrift? 

Lucker: Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest bescheinigen mir, dass die Unternehmenskultur beginnt meine Handschrift zu tragen. Meine Bürotür steht immer offen, ich bin ansprechbar. Und ich versuche umgekehrt, meine Leute zu befragen, einzubinden, mitzunehmen. Außerdem lade ich verstärkt kluge Köpfe hier ins Haus ein, damit wir gemeinsam über neue Themenfelder sprechen, zum Beispiel Film und Komposition. Dazu soll es eine Residenz in Los Angeles geben, zusammen mit der Villa Aurora. Ich bin gegen das Prinzip Scheuklappe. Es wäre der falsche Weg, weil die Zeiten eher schwieriger werden. Wir sind eine lernende Organisation, nach außen und nach innen. Dazu gehört auch selbstverständlich ein Workshop zum Thema Antisemitismus in der Kulturbranche, damit die Mitarbeiter*innen auf dem aktuellen Stand des Diskurses sind. 

Text

nmz: Mit dem neuen Amt erwächst für Sie nun die Aufgabe, jenseits der Berliner Szene, in der Sie sicherlich bestens vernetzt sind, eine bundesweite Perspektive einzunehmen. Ist Ihnen die Clubszene im Allgäu oder in Saarlouis ähnlich geläufig wie die in Berlin?

Lucker: Ich reise tatsächlich ziemlich viel durch die Bundesrepublik, und nicht nur unbedingt in die Metropolen, um Projekte und Netzwerke kennenzulernen. Und auch dort gibt es wieder Verbände, deren Vernetzung in den Regionen hilfreich ist. Teil meines neuen Netzwerks ist auch das Musikinformationszentrum, in dessen Beirat ich berufen worden bin, um dort den Themenbereich Pop zu vertreten. 

nmz: Mit der neuen DMR-Generalsekretärin Antje Valentin scheint ja eine wirkmächtige Unterstützerin am Horizont aufzutauchen. Im jüngsten nmz-Interview kündigte sie an, dass sie gezielt auf Bereiche wie Jazz und Pop zugehen wolle, weil der Deutsche Musikrat da bisher nicht allzu viel Sichtbarkeit geschaffen habe. Steht der Kontakt bereits?

Lucker: Ja, wir hatten bereits ein Antrittsgespräch und kennen uns aber auch schon von mehreren Veranstaltungen, unter anderem von der jazzahead in Bremen im April. Ich sehe der Zusammenarbeit mit freudiger Neugierde entgegen.

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