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Mit dem Urtext ins nächste Jahrhundert

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Interview mit dem Leiter des G. Henle Verlags, Martin Bente
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Der G. Henle Verlag, bekannt für seine Urtext-Edition und zahlreiche musikwissenschaftliche Publikationen, konnte im Oktober auf 50 erfolgreiche Geschäftsjahre zurückblicken. Theo Geißler, Chefredakteur der neuen musikzeitung, sprach mit dem Verlagsleiter Martin Bente über neue Entwicklungen und zukünftige Projekte. nmz: Als Verleger von hochwertigen Noten und musikwissenschaftlichen Texten befinden Sie sich ja eher im traditionellen Sektor des Musikverlagswesens. Gerade Verlage dieses Zuschnitts klagen über materielle Gefährdungen. Wie geht es Henle? Martin Bente: Danke der Nachfrage, Henle geht es gut, vielleicht muß ich sagen: noch gut. Denn Sie haben durchaus Recht, daß dies nicht selbstverständlich ist. Zu Beginn Ihrer Frage sprachen Sie aber von Henle als Verleger hochwertiger Noten. Hierin lag schon immer und liegt auch heute unsere Existenzberechtigung und Marktchance. Auch heute findet Spitzenqualität noch ihren Markt, wenn auch nicht mehr uneingeschränkt. Wir sind ein stark exportintensives Unternehmen geworden. So gibt es innerhalb der vielfältigen Märkte immer auch einen Ausgleich, wenn es einmal in einem Land wirtschaftliche Schwächen gibt. Das gilt für das Inland ebenso wie für das Ausland. Gravierender sind Entwicklungen, die den kulturellen wie pädagogischen Stellenwert der ernsten Musik an sich tangieren, ich meine da ganz spezifisch den Stellenwert des Musikunterrichts an den Schulen, der bereits ein Minimum unterschritten hat. Wenn hier Fehlentwicklungen greifen – und ich glaube, wir befinden uns in einer solchen seit geraumer Zeit – werden die Auswirkungen von erheblicher Tragweite und von Dauer sein und für uns E-Musik-Verleger folgenreich werden. Hinzu kommen die sogenannten Neuen Medien (CD-Rom und Internet). Sie werden über das Fotokopieren hinaus weitere Probleme mit sich bringen. Dem müssen wir uns stellen. Was die wissenschaftlichen Ausgaben betrifft, so ist unser Engagement hier bewußt auf wenige, dafür aber hochkarätig wichtige Projekte bezogen, zum Beispiel Nachschlagewerke von wissenschaftlich internationalem Rang: Darunter sind so wichtige Veröffentlichungen, an denen die Fachwelt im In- und Ausland nicht vorbeikommt, selbst nicht bei erheblich gekürzten Etats. nmz: Computer haben auch den Notensatz revolutioniert, gelegentlich um den Preis eines wirklich ästhetischen Notenbildes. Ihr Verlag ist für seine hochwertigen Stichbilder bekannt. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Kompromißmöglichkeiten? Entwickeln Sie in diesem Bereich eine eigene Ästhetik? Bente: Die Ästhetik des Notenstichs ist ein wichtiges, unverzichtbares Fundament unserer Ausgaben. Diesen Grundsatz aufrecht zu erhalten, ist schwerer geworden, aber nicht unmöglich. Schon seit vielen Jahren haben wir uns nach Lösungsmöglichkeiten umgesehen, wie dem Notenstich ein vollwertiges Äquivalent an die Seite gestellt werden kann. Denn einerseits war vorauszusehen, daß der traditionelle Notenstich eines Tages aussterben wird, er war außerdem schier unbezahlbar teuer geworden, und daß zum andern durch die aufkommenden, selbst guten und praktikablen Computer-Notengraphiken eine Uniformität in Gestalt und Qualität des Notenbildes entstehen würde, der wir unsererseits etwas Besseres entgegensetzen müssen. Für unsere Belange und Qualitätsansprüche wurde das Programm „Amadeus" „aufgerüstet" und hat im Bereich unserer wissenschaftlichen Ausgaben den Notenstich abgelöst. Dank der hervorragenden Weiterentwicklung dieser Programme können nun auch innerhalb der Klavier- und Kammermusikeditionen – also nicht nur bei Partituren der Gesamtausgaben – unsere Computersysteme zum Einsatz kommen. Für die diffizilen Notentexte, vor allem in der Klaviermusik Debussys oder Liszts, geht aber der Notenstich durchaus noch weiter. nmz: Es mag ein wenig makaber klingen, die Urtext-Edition setzt ja immer einen toten Komponisten voraus. Wie ist die Beziehung Ihres Verlags zur Musik des 20. Jahrhunderts? Bente: Es ist in der Tat so, daß sich der Verlag aus seiner Entstehung und seinem Selbstverständnis heraus nur den Komponisten zugewandt hat, die längst tot sind. Grund dafür war ja, daß in der langen Tradierung ihrer Werke durch die Jahrhunderte eine grundlegende Revision ihrer unzureichenden Ausgaben notwendig geworden war. Damit war der Henle Verlag in den vergangenen 50 Jahren seines Bestehens voll und ganz ausgelastet. Und noch ist „sein Repertoire" nicht erschöpft. Aber mit Fortschreiten der „urheberrechtlich frei gewordenen Komponisten" in dieses Jahrhundert hinein werden die spezifischen „Urtextprobleme" auch weniger relevant. Das hängt mit der Editionspraxis, das heißt mit der besseren Zuverlässigkeit und dem vertieften „Textbewußtsein" solcher neueren Ausgaben zusammen. Vor zehn Jahren, zum 40jährigen Jubiläum, kündigte ich verlegerische Initiativen in Richtung zeitgenössischer Musik an, die sich allerdings aus den verschiedensten Gründen zerschlugen. nmz: Wie wird sich der Henle Verlag im Zeitalter der Multimediaproduktionen und des Internet entwickeln? Bente: Nun, wie er sich entwickeln wird, vermag ich heute noch nicht zuverlässig zu sagen. In jedem Fall werden wir nicht untätig zusehen und abwarten. Seit geraumer Zeit haben wir Weichen gestellt, die diesen neuen Entwicklungen Rechnung tragen. So konnte auf der vor kurzem zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse unsere erste CD-Rom vorgestellt werden und damit auch die Skizzierung unserer ersten Aktivitäten: wir wollen zunächst im wissenschaftlichen Bereich unsere Erfahrungen sammeln und dann sehen, ob und wie sich diese Medien für unseren, der musikalischen Praxis verpflichteten Verlag nutzbringend anwenden lassen. Zunächst haben wir mit der gesamten Korrespondenz Beethovens auf CD-Rom ein neues Programmsegment eröffnet, das den neuen Erfordernissen wissenschaftlicher Forschung optimal entsprechen dürfte. Hier gibt es noch viele wichtige und weiterführende Aufgaben, die wir Schritt für Schritt ausbauen wollen. Im Internet sind wir seit Monaten hervorragend präsent. Unsere Web-Site hat übrigens einen überraschend hohen Zugriff und auch einige Auszeichnungen für ihre Mustergültigkeit erhalten. nmz: Hat die von Ihnen so sorgfältig betriebene Form der Notenedition überhaupt noch eine Zukunft? Bente: Notenausgaben werden auch künftig in der bisherigen Form gebraucht, solange klassische Musik erklingt und aufgeführt wird. Allerdings wird der Markt dafür nicht größer. Ob die heute angebotenen Alternativen auf Silberscheibe oder im Internet sich auf Dauer durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. Es ist viel Spreu unter dem Weizen, nicht alles, was „modern" ist, ist auch von nachhaltigem Nutzen. Ich könnte mir vorstellen, daß im pädagogischen Bereich die elektronischen Medien brauchbare Hilfestellung geben. Für die künstlerische Praxis aber haben wir noch durchaus Perspektiven. nmz: Welche Planungen haben Sie für Ihr musikwissenschaftliches Verlagsprogramm? Bente: Die zuvor genannten Gesamtausgaben werden uns noch über Jahre hinweg beschäftigt halten. Ähnliches gilt für die Nachschlagewerke. Hier muß aber der Rationalisierungseffekt zum Beispiel durch die CD-Rom zu kostengünstigeren Publikationen führen. Es wäre wünschenswert, künftig nur noch die Noten in Printform vorzulegen, alle wissenschaftlichen Textbeigaben aber auf der Silberscheibe. Damit ergeben sich auch verbesserte Möglichkeiten der Zusammenfassung umfangreicher Dateien und deren Aufbereitung in regelmäßigen Zeitabschnitten. Eine besondere Rolle sollen dabei die Publikationen um Beethoven spielen. Die Verknüpfung der Briefausgabe mit dem in Kürze zu revidierenden thematischen Verzeichnis aller seiner Werke zu einem Kompendium der Beethoven-Forschung ist ein ehrgeiziges Ziel des Verlags. Im musikalisch-praktischen Programm wird die Abrundung des bisherigen Repertoires und die Erschließung weiterer Materiale für Unterricht und Praxis eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören insbesondere die vielen Werke, die innerhalb der Gesamtausgaben zwar neu ediert wurden, aber immer noch darauf warten, in praktischen Ausgaben vorgelegt zu werden. Eines steht fest: Es wird sich immer lohnen zur Kenntnis zu nehmen, was im Laufe eines Jahres an Neuerscheinungen bei uns vorgelegt wird.

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