„Niemand konnte 1998, als an der Musikhochschule Detmold das Pilotprojekt ‚Musikvermittlung‘ eingerichtet wurde, die rasante Entwicklung dieses Berufsfeldes voraussehen.“ So leitet Ernst Klaus Schneider in der 2022 erschienenen Festschrift für Ortwin Nimzcik seinen Beitrag zur „Entwicklung des Faches“ ein. Der von ihm zusammen mit Hermann Große-Jäger und Joachim Harder initiierte Studiengang hatte an dieser Entwicklung entscheidenden Anteil. Detmolder Absolvent*innen haben das Feld Musikvermittlung und damit das Musikleben insgesamt in ihren Tätigkeiten an Konzerthäusern, in Orchestern oder in der freien Szene maßgeblich mitgeprägt. Zum 25. Geburtstag des berufsbegleitenden Master of Music Musikvermittlung/Musikmanagement hat Juan Martin Koch die Studiengangsleiterin Prof. Katharina Höhne befragt.
Verantwortung übernehmen, Veränderungen initiieren
neue musikzeitung: Aus welchen Kontexten kommen Ihre Studierenden hauptsächlich?
Katharina Höhne: „Hauptsächlich“ gibt es bei uns tatsächlich nicht. Jeder Jahrgang, der neu bei uns startet, setzt sich aus Studierenden verschiedener beruflicher Hintergründe zusammen. Darunter befinden sich ausgebildete Musiker*innen, Musikpädagog*innen, Musikwissenschaftler*innen und Kirchenmusiker*innen. Wir haben aber auch Studierende in Detmold, die aus dem Managementbereich kommen, Festivals organisieren oder sich um Kulturförderung und Fundraising kümmern. Immer öfter gibt es auch Studierende, die bereits in der Musikvermittlung tätig sind. Ihr Ziel ist es, die Fähigkeiten, die sie sich meist „learning by doing“ angeeignet haben, bei uns zu professionalisieren.
nmz: Welche Anforderungen werden heute an Musikvermittler*innen gestellt und wie reagieren Sie mit Ihrem Studienangebot darauf?
Höhne: Das Profil und auch das Portfolio von Musikervermittler*innen, die heute aktiv sind, haben sich im Vergleich zu den Anfängen – auch unseres Studiengangs – extrem gewandelt. Unser Ziel heute ist es, Formate zu entwickeln, die zuallererst eine kulturelle Teilhabe aller sicherstellen sollen – zwar oft zielgruppenspezifisch angelegt, aber generell betrachtet unabhängig von Alter, (kultureller) Prägung und Herkunft sowie physischen wie psychischen Voraussetzungen. Deshalb verstehen wir Musikvermittlung in Detmold auch als soziale Praxis. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, Veränderungen zu initiieren. Damit das gelingt, ist es essentiell wichtig, gut funktionierende Netzwerke zu bauen, also Partner*innen zu finden, mit denen wir gemeinsam Visionen entwickeln und später realisieren. Und genau das erleben wir in Detmold an jedem Seminarwochenende – durch die Gastreferent*innen, die aus den verschiedensten Wirkungs- und Forschungsfeldern zu uns kommen, durch die Kooperationsprojekte, die wir mit Festivals, Kulturinstitutionen oder auch Orchestern und Kammerensembles umsetzen. Das erleben wir aber auch durch unser Alumni-Netzwerk. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass es heute oft mehr um konzeptionelle und managerielle Prozesse im Hintergrund geht als um das eigene Wirken auf der Bühne. Es geht um Budgetplanung und Kostenfinanzierungspläne, um Community- oder Digitalprojekte. Deshalb ist es wichtig, dass die Musikvermittler*innen, die wir in Detmold ausbilden, unter anderem ein geschärftes Bewusstsein für digitale Medien und Kommunikationsplattformen entwickeln und sich ein professionell begleitetes Basis-Knowhow aneignen.
Haltung und Verantwortung
nmz: Wo sehen Sie die Musikvermittlung im aktuellen Diskurs zwischen Musikpädagogik, Community Music und Artistic Citizenship angesiedelt?
Höhne: Das sind drei wirklich große Begriffe, die ja alle ganz unterschiedlich motiviert sind. Was sie meines Erachtens eint, ist der Versuch, auf eine sich stark und vor allem schnell verändernde und zugleich hoch diverse Gesellschaft zu reagieren. Dabei geht es vor allem um den Aspekt der Relevanz – sowohl für das eigene Tun als auch die Musik, die wir vermitteln wollen. Es geht um die Frage nach der eigenen Haltung, aber auch der sozialen Verantwortung. Für mich war und ist Musikvermittlung schon immer eine Schnittstellendisziplin. Sie bewegt sich quasi im Mittelfeld und vermittelt in alle Richtungen. Mal dockt sie an, mal bleibt sie für sich. Was sie aber immer ist: progressiv. Sie reagiert und interagiert und erschafft damit kreative Räume für Begegnungen – sowohl für Menschen mit Musik als auch von Menschen miteinander. Vor allem aber ist sie dynamisch. Sie nimmt Veränderungen sensibel wahr und versucht gleichzeitig diese in Gang zu setzen. Für mich bedeutet Vermittlung aber immer auch, einen Touchpoint zu setzen, das Anbahnen einer neuen musikalischen Erfahrung, das Erleben mit allen Sinnen, das Entdecken fernab geübter Konventionen und vor allem: das Erschaffen eines geschützten Raumes. Was im Kanon dieser drei Begriffe etwas hinkt: Musikvermittlung bedeutet nicht immer, aktiv Musik zu machen. Das wäre zu eng gefasst. Unser Spielfeld ist sehr viel weiter.
nmz: Inwiefern versteht sich der Studiengang über das Vermitteln von Handwerklichem hinaus auch als Zukunftslabor für eine Erneuerung, Diversifizierung und Demokratisierung des „klassischen“ Konzert- und Musikbetriebs?
Höhne: Hier muss ich etwas ausholen, fürchte ich: Das Studium in Detmold setzt sich aus drei Säulen zusammen: Seminarbetrieb, Coaching-Sessions und Konzertlabor. Beginnen wir mit dem Seminarbetrieb: Jedes Wochenende steht unter einem eigenen Thema. Das bedeutet, dass die Studierenden ein Wochenende lang in Form von theoretischen wie praxisbezogenen Seminaren in Themen wie etwa „Community Music“ oder „Musikvermittlung in ländlichen Räumen“ eintauchen. Diese Themen sind definiert, können aber jederzeit verändert werden. So war es mir mit dem Beginn meiner Tätigkeit zum Beispiel wichtig, den Aspekt „Green Culture“ zu etablieren und damit das Thema „Nachhaltigkeit“ nicht aus projektbasierter, sondern aus inhaltlich-künstlerischer sowie institutioneller Perspektive zu betrachten.
Ein anderer, wesentlicher Teil des Studiums sind unsere Coaching-Sessions, in denen, wie Sie es bezeichnen, „Handwerk“ vermittelt wird. Die Studierenden werden dafür in kleine Gruppen eingeteilt. Im ersten Studienjahr besteht das Coaching-Angebot aus den Fächern Sprecherziehung, Bühnenpräsenz und Interaktion Publikum. Im zweiten Studienjahr wechselt das Angebot und es kommen Sessions in den Bereichen Digitale Musiktechnologien und Kommunikation und Medien dazu. Was uns hier – eigentlich seit der Gründung – besonders wichtig ist: Bei uns findet kein Pauschalunterricht statt. Gerade in den Coaching-Sessions ist es uns wichtig, individuell zu schauen, was die Studierenden mitbringen und wie wir sie durch den Input unserer Coaches bestmöglich unterstützen können. Der Unterricht wird also an die jeweiligen Fähigkeiten sowie den individuellen Erfahrungs- und Wissensschatz angepasst. Ähnliches passiert im 1:1-Mentoring. Dazu lade ich die Studierenden regelmäßig ein. Gemeinsam schauen wir, wo sie derzeit stehen und wie ich sie auf ihrem Weg unterstützen kann. Da ich selbst in Detmold studiert und sehr von meiner damaligen Mentorin profitiert habe, war es mir ein großes Bedürfnis, dieses 1:1-Mentoring für alle Studierenden einzuführen. Und damit das, was die Studierenden bei uns lernen und praktisch erproben, direkt umgesetzt werden kann, gibt es unsere dritte Säule: das Konzertlabor, in Form unserer hauseigenen und in Detmold seit mittlerweile 20 Jahren etablierten Kinderkonzertreihe „Concertino Piccolino“.
Gegenwärtige Diskurse
Zurück zu Ihrer Frage: Alles, was in Detmold, gelehrt und gelernt wird, orientiert sich an der individuellen Berufspraxis unserer Studierenden sowie an den gegenwärtigen Diskursen, die innerhalb der Vermittlungsszene geführt werden. Aspekte wie Diversität oder auch Teilhabegerechtigkeit werden dabei grundsätzlich mitgedacht. Das ist quasi die Basis. Das heißt, das Bewusstsein unserer Studierenden für eine diverse Gesellschaft und damit ein divers geprägtes Wirkungsfeld ist extrem geschärft, ebenso für das daraus resultierende Bedürfnisspannungsfeld zwischen (neuem) Publikum und traditionsgeprägtem „klassischem“ Konzert- und Musikbetrieb. Dass sich dieser aus unserer Sicht dringend verändern muss, versteht sich von selbst.
nmz: Gibt es zum nächsten Studien-start im Herbst Neuerungen oder Besonderheiten, auf die sich die Studierenden freuen können?
Höhne: Auch wenn wir natürlich innerhalb des Studiengangs bestehende Strukturen haben, findet im Inneren stets eine Bewegung statt. Jedes Studienjahr ist anders, sowohl durch die Studierenden selbst, als auch die Referent*innen, die in Vorbereitung auf die Seminarwochenenden immer wieder neu gesucht, angefragt und schließlich eingeladen werden. Zudem stecken wir gerade inmitten der Vorbereitung zum 25-jährigen Jubiläum dieses Studiengangs. Neben einem zweitägigen Symposium, in dessen Gestaltung und Durchführung die Studierenden eingebunden sein werden, wollen wir die mittlerweile über 200 Ehemaligen zu einem großen Treffen nach Detmold einladen. Auch steht im kommenden Wintersemester wieder unsere Exkursion an, bei der wir ein Wochenende lang in das Kulturleben einer Stadt oder einer ländlich geprägten Region eintauchen. Neuerungen wird es beim Wettbewerb für neue Konzertformate „PlayGround“ geben; zukünftig soll zudem – angedockt an die dritte Säule Konzertlabor – eine Art „Klassenarbeit“ anvisiert werden, ähnlich wie es an Kunsthochschulen üblich ist. Die Studierenden haben dann die Aufgabe, im Lauf eines Studienjahres selbstinitiativ ein Vermittlungsformat zu entwickeln und umzusetzen, das – einzige Bedingung – in die Detmolder Stadtgesellschaft hineinwirkt und die Menschen vor Ort integriert. Wir befinden uns gerade in einer Art Aufbruchsstimmung. Inmitten eines Wirkungsfeldes, das sich in einem steten Wandel befindet, blicken wir auf die Anfänge zurück und rekonstruieren die Entwicklung des Studiengangs bis heute. Wir betrachten kritisch, was war, vor allem aber, was gerade ist und überlegen, wie dieses Studium zukünftig ausgerichtet und sowohl inhaltlich wie personell aufgestellt sein soll. Mir ist es wichtig, dass unser Studiengang, dass die Hochschule für Musik Detmold, ein bedeutender und visionärer Ort für die Aus- und Weiterbildung von Musikvermittler*innen bleibt. Und dass wir uns nicht nur am Diskurs beteiligen, sondern ihn durch eigene Impulse, durch eigene Projekte aktiv mitgestalten.
- Die Bewerbungsfrist zum Wintersemester läuft noch bis 1. September. Infos unter www.musikvermittlung-detmold.de
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