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Ulrich Konrad. Foto: privat
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Wolfgang Amadé und die Frage nach der Klassik

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Ulrich Konrad im Gespräch über das kommende „MozartLabor“ des Würzburger Mozartfestes
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„Was heißt hier Klassik?“ Diese Frage stellt sich das „MozartLabor“, das vom 31. Mai bis 2. Juni im Rahmen des Würzburger Mozartfestes zum zweiten Mal Komponisten, Interpreten und Musikwissenschaftler in einem fach- und generationenübergreifenden Austausch zusammenbringt. Einen der Teilnehmer, Ulrich Konrad, Ordinarius für Musikwissenschaft und Vorstand des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Würzburg, hat Juan Martin Koch zur Idee dieses Würzburger Festivalschwerpunkts befragt.

neue musikzeitung: Mozart und Labor – das scheint auf den ersten Blick nicht so ganz zusammenzupassen. Man stellt sich Mozart ja gerne als den intuitiv schöpfenden Komponisten vor,… Wie verstehen Sie den Begriff „Labor“ im Zusammenhang mit dem Mozartfest?

Ulrich Konrad: Für mich sind dabei die Begriffe des Erforschens und des Experiments ganz wichtig. Wenn wir gemeinhin von Mozart reden, dann meinen wir, alles über ihn zu wissen, und behaupten, er gehöre uns. Ich würde dagegensetzen: Sind wir wirklich sicher, dass wir alles über ihn wissen und ist das, was wir wissen, wirklich so gefestigt, dass man das immer nur zu zitieren braucht? Die Labor-Situation ist offen, sie probiert Dinge aus, sie setzt einen Gegenstand – in diesem Fall Mozart – Fragen aus. Fragen, die wir vielleicht beantworten können, bei denen uns aber auch bewusst werden könnte, dass es vielleicht doch nicht so ganz einfach ist mit den Antworten auf Mozart.

nmz: Was ist das Besondere an der Laborkonstellation beim Mozartfest?

Konrad: Das Besondere daran ist, dass hier einerseits Musiker und Komponisten, andererseits Musikforscher zusammenkommen, wobei auch Meis­terschüler und Studierende dabei sind. Alle gehen gleichsam zwei, drei Tage in Klausur, um praktischen Erfahrungen nachzuspüren, um zu erfahren, was es heißt, sich mit ein oder zwei Kompositionen Mozarts auseinanderzusetzen, vor allem aber, um zu erfahren, wie es ist, wenn man Mozarts Werke neben zeitgenössischen Kompositionen spielt, in diesem Jahr ist das mit Toshio Hosokawas auch Musik aus einem anderen Kulturkreis. Es geht um wechselseitige Erfahrungen, um ein Durchdringen, um praktische Erfahrung und Reflexion.
nmz: Sie veranstalten dazu aber eben kein wissenschaftliches Symposium, was bedeutet das?
Konrad: Was passiert in einem Labor? Man bringt bestimmte Ingredienzien zusammen und schaut, wie sie reagieren: Vielleicht reagieren sie gar nicht, vielleicht gibt es einen Knall, vielleicht entsteht etwas ganz Neues? Wenn wir zu Beginn des Labors wüssten, was am Ende herauskommt, wäre es halb so spannend, wie es in Wirklichkeit ist.

nmz: Außerdem schließen Sie sich nicht gegen das Publikum ab…

Konrad: Überhaupt nicht! Es gibt kein vorne und hinten, sondern eine Gemeinschaft von Interessenten. Man hört zu. Wenn einem etwas durch den Kopf geht, ist man eingeladen, das auch zu äußern. Das Dialogische, das Austauschen, das miteinander Sprechen über Musik spielt eine ganz große Rolle, ganz anders als in unserem Konzertbetrieb, wo doch sehr häufig eine Distanz herrscht zwischen denen „da vorne“, die irgendetwas machen, und denen „da unten“ im Saal, die das in irgendeiner Weise konsumieren.

nmz: „Was heißt hier Klassik?“ So lautet die zentrale Frage des diesjährigen Mozart-Labors. Welcher Aspekt des Begriffs beschäftigt oder interessiert Sie zur Zeit am meisten?

Konrad: Ich habe im Lauf der letzten Jahre eine immer größere Skepsis gegenüber dem Begriff Klassik entwickelt, weil ich glaube, dass er mehr verstellt als erhellt. Einerseits ist klar, dass Klassik eine relativ geläufige Münze geworden ist, um all das im Musikbetrieb zu kennzeichnen, was nicht Popularmusik ist. Auf der anderen Seite ist durch das 200 Jahre währende Sprechen über Klassik als ästhetisches Ideal, als herausragende Epoche der europäischen Musikgeschichte eine Gewöhnung eingetreten. Wir sagen einfach: Das ist ein gewisses Repertoire, das uns an der Hochkultur zu interessieren hat. Warum es das eigentlich tut, was wir heute mit einem solchen Wort, mit einer solchen Sache anfangen, das ist kaum mehr klar. Vor allem, wenn man sich fragt, wie es eigentlich dazu kam, dass man ausgerechnet von der deutschen Musik zwischen 1780 und 1830 von einer klassischen Musik spricht, die tatsächlich oder angeblich beinahe die globale Musikkultur dominiert. Dass da speziell aus deutscher Sicht nationale Hegemonialansprüche des 19. Jahrhunderts eine Rolle spielen, ist vielen nicht mehr bewusst. Das muss man bewusst machen, wenn man diesen Begriff vielleicht doch wieder produktiv machen will.

nmz: Das wird dann wahrscheinlich auch eine Rolle in dem Gespräch spielen, das Sie mit Wolfgang Rihm führen werden? Motto: „Wie klassisch ist die Klassik?“

Ulrich: Ich denke schon, dass wir in diese Richtung gehen werden. Ich will nicht bilderstürmerisch sagen, dass es keine Klassik gibt, oder dass es keinen Sinn hat, über Klassik zu reden, aber ich glaube, dass der Umgang mit diesem Begriff wieder bewusster geschehen muss.

nmz: Ein weiteres Gespräch bringt Sie mit Reinhard Göbel zusammen. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Musikwissenschaft und historischer Aufführungspraxis?

Konrad: Zunächst könnte man ganz pointiert fragen: Wer hat sie denn erfunden, die historische Aufführungspraxis? Das war zunächst einmal Thema der Musikwissenschaft, und zwar schon vor hundert Jahren, als die Musikpraxis daran nur am Rande Interesse hatte … Doch im Lauf der Zeit ist ein produktiver Austausch zustande gekommen. Im Idealfall erlebe ich da ein sehr anregendes Geben und Nehmen. Ich halte nicht viel davon, eine Opposition herzustellen. Es ist doch wunderbar, wenn Musiker sich mit den Grundlagen ihres Tuns beschäftigen! Der Kreis der Gesprächspartner erweitert sich beträchtlich, worüber ich sehr froh bin.

nmz: Welche Rolle kann die Musikwissenschaft im „klassischen“ Musikbetrieb heute generell einnehmen?

Konrad: Einerseits ist die Musikwissenschaft im Hintergrund ja immer tätig gewesen: Keine Ansage im Rundfunk, kein noch so kurzer Hinweis in einem Programmheft kommt letztlich ohne die Musikwissenschaft aus. Auf der anderen Seite wird sie argwöhnisch betrachtet, weil man ihr unterstellt, dass zu viel Nachdenken über die Musik die emotionale Erfahrung beeinträchtigen könnte … Wenn ich das alles einmal beiseite schiebe, glaube ich, dass der gefährdete Bereich der musikalischen Hochkultur jeden Fürsprecher brauchen kann und dafür bieten sich Musikwissenschaftler auch an. Außerdem besteht eine große Chance darin, dass es im Publikum ein großes Interesse an Aufklärung, an Information, an Hinführung gibt. Wenn sich die Musikwissenschaft bemüht, da den richtigen Ton zu treffen, dann kann die Musikwissenschaft auch einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag leisten, und hier sehe ich ein wichtiges Betätigungsfeld: das, was die Musikwissenschaft in den letzten Jahrzehnten an riesigem Wissen über Musik zusammengetragen hat, nun auch wirklich zu verbreiten und ins allgemeine Bewusstsein einer interessierten Öffentlichkeit zu bringen. Wir sprechen über Musik, jeder spricht über Musik. Und das zeigt, dass wir als Menschen, wenn wir mit diesem wunderbaren Medium umgehen, es in der Regel nicht allein beim Spielen und Hören belassen, sondern uns dazu auch verbal artikulieren wollen. Das wird auch so schnell nicht aufhören. Dass Menschen nur noch autistisch mit zwei Stöpseln im Ohr durch die Städte laufen und beim Musikhören vor sich hinstieren, das wird – das hoffe ich sehr – nicht die Zukunft sein.

nmz: Was war Ihr stärkstes Mozart- oder Klassik-Erlebnis in letzter Zeit?

Konrad: Das kann ich Ihnen auf den Punkt sagen: Das war das Konzert, das Jörg Widmann vergangenes Jahr im Kaisersaal der Würzburger Residenz gegeben hat. Da hat er unter anderem die Jupiter-Sinfonie dirigiert. Das war – nachdem ich es in den frühen 1990er-Jahren unter Nikolaus Harnoncourt gehört habe – die beeindruckendste Aufführung dieses Stücks in meinem Leben.

Das Würzburger Mozartfest findet vom 22. Mai bis 28. Juni statt. „Artiste étoile“ ist der Geiger Renaud Capuçon, der auch am „MozartLabor“ teilnimmt. Am 12. Juni wird er zusammen mit den Bamberger Symphonikern unter Lahav Shani die „Elegy“ für Violine und Orchester von Toshio Hosokawa uraufführen.

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