In den Jahren der deutsch-deutschen Teilung stand kaum jemand so stark für die grenzüberwindende Kraft der Musik wie Harry Kupfer: Der Ost-Berliner Opernregisseur konnte zwischen den Welten vermitteln und an den wichtigsten Musiktheatern zwischen Wien, Bayreuth und Berlin inszenieren. Dennoch gab sich Kupfer, der am 30. Dezember im Alter von 84 Jahren starb, nach der Wende pessimistisch: Eine wirkliche Vereinigung werde es in Deutschland erst in der kommenden Generation geben.
Fast bis zuletzt stand Kupfer auf der Probebühne. Noch in seiner umjubelten Inszenierung von Giuseppe Verdis „Macbeth“ an der Berliner Staatsoper holte ihn Daniel Barenboim im Juni 2018 auf die Bühne. Ein Ruhestand kam für Kupfer kaum infrage. Im Gegenteil. Kupfers Kalender war stets voll. Noch im März 2019 brachte er an der Komischen Oper Händels Barockdrama „Poro“ heraus, kurz danach folgte „Tannhäuser“ in Zürich. Noch im Sommer 2016 hatte sein Salzburger „Rosenkavalier“ in der Mailänder Scala Premiere.
Im vereinigten Deutschland blieb Kupfer einer der stilprägenden Opernmacher – auch nach seinem Abschied als Chefregisseur der Komischen Oper in Berlin im Jahr 2002 (nach 21 Jahren). Seine Inszenierungen von Hans Pfitzners „Palestrina“ in Frankfurt oder der „Lustigen Witwe“ in Hamburg fanden große Beachtung, und auch seine Ausflüge in die Welt des Musicals wurden gefeiert.
Bereits 1978 brachte es Kupfer bis nach Bayreuth, wo er mit einem psychoanalytisch gefärbten „Fliegenden Holländer“ bei Wagnerianern gemischte Reaktionen auslöste. Zehn Jahre später produzierte er dort mit Daniel Barenboim den „Ring des Nibelungen“. Die Fallstudie aus dem Irrenhaus wurde als „Jahrhundertereignis“ gefeiert. Die Kupfer- Figuren hausten in Betonbunkern, abgewrackten Kläranlagen und zertrümmerten Glaspalästen.
„Menschen mit ihren Konflikten, Problemen und Widersprüchen gehören auf die Opernbühne“, sagte der Regisseur – ein Stoff, den er auch bei den zeitgenössischen Komponisten fand. Sein Abschied an der Komischen Opfer mit Benjamin Brittens „Turn of the Screw“ wurde als Vermächtnis für das Haus gewürdigt.
Der Moderne und den verfemten Komponisten fühlte sich der Schüler des Regie-Meisters Walter Felsenstein besonders verpflichtet. 1994 hatte Kupfer Berthold Goldschmidts musikalische Tragikomödie „Der gewaltige Hahnrei“ auf die Bühne gebracht. Nach dem Verbot durch die Nazis war das Werk 60 Jahre nicht mehr gespielt worden.
Zu Kupfers Sternstunden gehörten fesselnde Deutungen von Aribert Reimanns „Lear“ oder Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ ebenso wie Uraufführungen von DDR-Komponisten – von Siegfried Matthus bis Udo Zimmermann.
Der gebürtige Berliner verdankte seinen Beruf eigentlich einer großen Musikalität – und einer schwachen Stimme. Weil er nicht singen konnte, sei ihm nur das Regiefach geblieben, um seine Leidenschaft für die Oper zu stillen, sagte er.
Mit 23 Jahren gab er sein Regiedebüt mit Antonin Dvoraks „Rusalka“ in Halle (Saale). Nach Stralsund, Chemnitz, Weimar und zuletzt als Staatsoperndirektor in Dresden zog er 1981 wieder nach Berlin.
In den vergangenen Jahren arbeitete er in Dresden und Sydney, brachte den „Ring“ in Barcelona und den „Parsifal“ in Helsinki heraus. In Salzburg inszenierte er mit großem Jubel den „Rosenkavalier“ und in Shanghai ein Musical. Zur Seite stand ihm dabei immer wieder sein langjähriger Bühnenbildner Hans Schavernoch.
„Ich möchte alle Fragen der Welt in dieser schönen totalen Kunstform, der Oper, durchspielen, um dabei Vorschläge zu machen für das Zusammenleben der Menschen“, sagte Kupfer. „Es ist mein unmittelbares Bedürfnis, mich in dieser Kunstgattung zu äußern, eigentlich meine Lebensform.“