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Jon Lord, 1982 in Ludwigsburg. Foto: Hans Kumpf
Jon Lord, 1982 in Ludwigsburg. Foto: Hans Kumpf
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Der brüllend-wabernde Orgelsound eines Rock-Klassikers: Jon Lord ist tot

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All die Mädchen, die jetzt kreischen müssten, wo sind sie hin? Wo sind die Kerle, die sich nun die langen Haare rauften? Wir sind älter geworden, vielleicht gar gesetzter, und tragen den Tod von Jon Lord mit Würde. Unseren Kindern ist dessen Name reichlich fremd geblieben. Abschied von einem der größten komponierenden Organisten der Neuzeit.

Was gab es für Ärger wegen der Musik dieses Mannes! Mehrere Elterngenerationen taten das ab als durch und durch unerträglich, ja als mögliche Gefahr für die gedeihliche Zukunft der eigenen Brut. Für politischen Streit haben er und die 1968 von ihm mitgegründete Band Deep Purple gesorgt, da der Eiserne Vorhang zwar Europa in Ost und West geteilt haben mag, die fürsorglich geschützte Jugend aber überall auf der Welt dem Sog dieser völlig neuen Rockmusik erlag.

Zoff gab es immer wieder auch innerhalb der Band, und nicht immer drehte es sich dabei nur um Musik. Aber so Typen wie Ritchie Blackmore, Rod Evans, Ian Paice, Nick Simper und eben Jon Lord waren halt durch und durch kreative Exzentriker – und manchmal wohl auch erschreckend kreative Exzentriker. Man lausche nur einem Werk wie „Child In Time“ noch einmal gründlich nach.

Spätestens dann dürfte mal wieder klar werden, was für ein Unfug sich mit der Trennung von U- und E-Musik breitgemacht hat. Viele Purple-Stücke sind Meilensteine der Musikgeschichte. Sie leben – vor allem in den Live-Konzerten und deren Mitschnitten – von kunstvollen Improvisationen, Wechselspielen von Gitarre und Gesang, sind mit wahnwitzigen Schlagzeugsoli versehen, werden von legendären Riffs getragen und beziehen öfters auch mal das Publikum mit ein. Und durch die allermeisten Stücke wabert mal brüllend, mal spielerisch virtuos der unverkennbare Hammond-Sound von Jon Lord. Er ist der Band, die auch mit ihren personellen Querelen für Schlagzeilen sorgte, nach ihrer Wiedervereinigung bis 2002 treu geblieben und hat ihr eine Reihe unsterblicher Hits vermacht.

Insbesondere seine klassische Ausbildung und die frühe Neigung zum Jazz haben ihn und die Band stilistisch geprägt. Davon zeugt insbesondere natürlich ein Album wie das „Concerto for Group and Orchestra“ von 1969. Aber auch in Songs wie „April“, „Chasing Shadows“ oder „Blind“ ziehen sich fundamentale Strukturen durch, die Klassik und Rock geradezu verschmelzen lassen. Im Angedenken an diesen Keyboard-Performer, dessen größte Sternstunden wohl eher im Studio schlugen, dürfte jetzt noch einmal viel „Smoke On The Water“ durch die Rockwelt ziehen. Dieser Wurf, einst am Genfer See angesichts der Rauchschwaden vom brennenden Casino in Montreux entstanden, galt lange Zeit als unbedingte Notwendigkeit  in allen Diskotheken. Vorher durfte das Licht nicht angemacht werden.

Jon Lord, der seit seiner „Gemini Suite“ 1971 mehr als ein Dutzend Soloalben kreierte, ist während der Auflösung von Deep Purple auch in Projekten wie Pace Ashton Lord hervorgetreten und hat sich im letzten Jahrzehnt seines Lebens intensiv mit eigenen Vorhaben beschäftigt. Er war auch in seinen pur klassischen Kompositionen genreübergreifend, sei es mit dem „Durham Concerto“ von 2007, sei es mit „Boom of the Tingling Strings“ 2008 oder zuletzt mit dem „Jon Lord Blues Project“.

Am 16. Juli 2012 ist dieser legendäre Komponist und Organist in London gestorben. Er erlag fünf Wochen nach seinem 71. Geburtstag einer Lungenembolie, nachdem ihm im vergangenen Jahr Bauchspeicheldrüsenkrebs attestiert worden war. Seine Musik wird bleiben und irgendwann auch von unseren Kindern und Kindeskindern geliebt werden.
 

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