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Der ewige Maestro: Weltklasse-Dirigent James Levine wird 70

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Levine lässt sich notfalls noch mit dem Rollstuhl auf das Pult schieben, ätzten einmal Kritiker. Stimmt! Der Dirigent der New Yorker Metropolitan Opera dirigiert künftig aus dem Rollstuhl, weil er von der Musik nicht lassen mag. Jetzt wird er 70.

 

New York - Ende der vierziger Jahre griff sich ein Junge in Cincinnati in Ohio die Stricknadeln der Großmutter - und dirigierte zur Musik im Radio. Sechseinhalb Jahrzehnte später dirigiert er noch immer, und die ganze Kulturwelt hört zu. James Levine war immer von der Musik umgeben, hat sie erst konsumiert, dann geprägt. Am Sonntag (23. Juni) wird der Weltklasse-Dirigent 70 Jahre alt.

Levine wuchs in einer Musikerfamilie auf und war so etwas wie ein Wunderkind. Mit zehn gab er sein erstes Konzert, mit 18 sein Debüt als Dirigent. 1971 feierte er mit Puccinis «Tosca» seinen Einstand an der Metropolitan Opera in New York, nur zwei Jahre später wurde er ihr Chefdirigent - mit 29! In diesem Jahr feiert er sein 40-jähriges Jubiläum als musikalischer Chef der legendären Met.

Ja, legendär ist die Met seit Jahrzehnten, sie galt aber auch als etwas abgestanden und verstaubt. Levine hat frischen Wind gebracht, und die Renaissance der Oper in New York ist auch ihm zu verdanken. Er ist herzlich und freundlich, gilt aber als manchmal nicht ganz einfach. Doch die Musiker schätzen ihn, weil dieser Dirigent denkt wie ein Musiker und tickt wie ein Musiker und ziemlich genau weiß, was er von seinem Orchester erwarten kann und was nicht.

Deshalb war der Amerikaner auch Wunschkandidat der Münchner Philharmoniker, sie wollten 1999 den Wirbelwind aus New York und setzten ihn durch. Schlagzeilen machte anfangs zwar eher das Gezerre um das stattliche Jahresgehalt von damals knapp zwei Millionen Mark. Doch die Levine-Jahre von 1999 bis 2004 gelten heute als Glücksfall. Er habe «neuen Glanz in die Münchner Philharmonie» gebracht und dem Publikum «in einer klugen Balance von traditionell klassischen Werken und gemäßigter Moderne» entsprochen, lobte die «Süddeutsche Zeitung».

Levines Geschichte ist aber auch eine Krankengeschichte. Einmal stürzte der Maestro vom Pult, einmal im Urlaub. Die Orchester dirigiert er seit einigen Jahren im Sitzen und er nahm längere Auszeiten. Für die Bostoner Symphoniker, deren Musikdirektor er von 2004 bis 2011 war, war das nicht immer leicht. «Ich bin ein wandelndes Wunder», sagt er selbst über seine Genesungsfortschritte, wobei «wandelnd» nur im übertragenen Sinne gilt. Denn tatsächlich wird er künftig erst einmal aus dem Rollstuhl dirigieren.

«Ich war mir nicht sicher, ob ich hierher zurückkehre», sagte Levine im Met-eigenen Internetradio über die Zeit nach den letzten Rückenoperationen. «Es ist ein Moment, der das ganze Leben auf den Kopf stellt.» Plötzlich degradiert zu sein, in der Musik Konsument, nicht Produzent zu sein. «Das war ein fantastisches Gefühl, einfach nur zu hören, ohne Verantwortung. Aber ich wollte trotzdem zurück!»

Das ist er, er dirigiert in diesem Jahr mehrere Opern und Konzerte in der Carnegie Hall. «Ich bin jetzt stärker denn je», beteuert er. Natürlich munkelt man in den Orchestergräben, wer denn einmal der Nachfolger von «Levine the Divine» (Levine, der Göttliche) werden könnte. Der Maestro ist nun schließlich 70 und gesundheitlich angeschlagen. Aber noch versprüht Levine Lebenskraft im Überfluss («Für mich ist Musik wie essen, atmen und schlafen.»). Und die Schuhe, die der 1,75 Meter große Dirigent hinterlassen wird, müssen erst einmal einen würdigen Nachfolger finden.

Chris Melzer

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