Der Ernst von Siemens Musikpreis ist einer der bedeutendsten und höchstdotierten und ästhetisch-künstlerisch-politisch wirksamsten Preise rund um den Globus. Dieser Ernst von Siemens Musikpreis wurde jetzt wieder nach Art der Auslober in Gestalt eines wunderbaren Festes in Münchens wundervollem Cuvilliés-Theater überreicht. Oder besser: gefeiert.
Drei Millionen Euro Preis-und-Fördergelder gehen an Institutionen, Ensembles, Komponisten, Musikmacher, an rund 150 Projekte weltweit im zeitgenössischen Musikbereich, also auch an Festivals, Konzerte, Kinder-und-Jugendprojekte sowie Publikationen und wissenschaftliche Ansätze. Die opulenten Komponisten-Förderpreise mit je € 35 000,– gehen an Nachwuchskünstler, der Hauptpreis 2014 mit € 250 000,– geht an den absolut unvergleichlichen Dirigenten und Musikwissenschaftler Peter Gülke.
Diese zur Tradition gewordene Festivität lockt Viele. Und viele von diesen können nicht direkt vor Ort dabei sein. Das Rokoko-Juwel ist in seiner Platzkapazität überschaubar. Eine Kooperation zwischen Bayerischem Rundfunk und der EvS-Musikstiftung machte einen Livestream im internet möglich, was Interessenten zwischen Auckland und Zürich eine wenigstens virtuelle Teilnahme eröffnete. Michael Krüger, vor kurzem noch Hanser-Chef, jetzt Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und dergestalt weiterer zentraler Kooperationspartner im EvS-Verbund (in der Nachfolge von Dieter Borchmeyer) setzte humorvoll, system- und selbstkritisch witzige kunstvolle und intelligente Akzente in seinem Grußwort. (Zumal gegen das Verrosten der Ohren). Angesichts dramaturgisch geschickt zu timenden Zeitmanagements gab er das ein, was er hätte ausführlich darstellen wollen, wäre da nicht die Fülle von Wohllaut zu organisieren.
Immerhin gab es da Kritisches zu hören in Richtung BR (Verlagerung der Klassikwelle aus den UKW-Territorien ins womöglich „waste land“ Digitalität zugunsten einer Jugend- – und somit weiteren, dann also dritten popularmusikalischen – Welle des Senders).
Und auch der SWR bekam sein Fett weg in Sachen Zusammenlegung von Orchestern, die partout und gar nicht zusammenpassen. Überhaupt belegte auch dieser Abend einmal mehr, wie schwer und vor allem wie wichtig der Kampf um den Erhalt kultureller Substanz im Bann von Quotenwahn und Jugendwahnsinn zunehmend wird. Da hatte die Förderpreisträgerin Brigitta Muntendorf höchst kess Wesentliches zu sagen, so in guter alter spätrevoluzzerhafter Attitüde, im Umfeld von freiheitlich selbstbestimmten Strukturen im System, in der Musik. Nicht das ewige Lamentieren bringt die Veränderung. Das Agieren mit dem Vorhandenen ist´s, was weiter getrieben werden muss und soll. Und das ist ja auch der Ansatz von EvS und seinen, seine Gedanken weiter (be)treibenden engagierten Menschen.
Dass die Stücke der Förderpreisträger freilich – wie vom Kuratoriumsvorsitzenden Thomas von Angyan erhofft – in die globalen Programmlinien der Konzertveranstalter eingepasst werden können, mag in der Tat zu hoffen sein. Immerhin waren auch die Stücke von Luis Codera Puzo und von Simone Movio im klangdynamischen Grenzbereich aktiv, was den Komponisten auf der Suche nach vermeintlicher Objektivität (nicht nur) im (Cuvilliès)Theater(alltag) dann doch Probleme verursachen könnte, angesichts knarzender Stühle, knurrender Mägen und exponiert leiser Einzeltöne.
Doch denkbar ist schon eine Ausweitung der Kommunikation zwischen konventionell erdachten Programmen und der aktuellen Produktion. Wofür die Ernst von Siemens Musikstiftung nun wahrlich unendlich viel investiert. Der EvS-Musikpreis also geht an Peter Gülke, der in seiner Dankesrede gerade auch in seiner Anmutung auf das zuvor gehörte hin eine allgemeine Offenheit der Ohren einforderte. Wo er doch im zentralen klassisch-romantischen Kernrepertoire seine angestammte Heimat hat. Wer ihn erlebt hat als GMD in Wuppertal als den Dirigenten von und für Pina Bausch, als Teil ihres Tanztheaters oder, wer in seinen Publikationen liest, die allesamt von höchster und klarster Wissenschaftlichkeit und sprachlicher Schönheit geprägt sind, die dennoch lustvoll lesbar sind für jeden, der offen ist für die Fragen der komponierten Musik, die ja nicht der Unterhaltungsindustrie gewidmet ist, der findet bei Gülke, der erfindet dank Gülke Neues für sich als Anteilnehmenden, für sich als Denker, als Schöpfer.
So viel Wärme, so viel Zuneigung, so viel Zuspruch hat kaum einer vor ihm erhalten. Darüber, dass einer seiner Preisträger-Vorgänger als Überraschungsgast gewissermaßen im Cuvillièstheater war, wird er sich besonders gefreut haben. So wie das Publikum gleichermaßen: Alfred Brendel. Ist doch auch er Bruder im Geiste, einer, der gegen das Verrosten der Ohren angeht, einer der Großreflektierer in Sachen Nachdenken über Musik. Das war ein wahres Fest für Augen (Publikationen, Bühne, Einspielfilme von Johannes List, von Dorothe Binding und Benedict Mirow), für Ohren (Klangforum Wien unter Clement Power plus Vokalsolisten) und Hirne.