Ein Wanderer zwischen den Welten – zum Welt-Bürger wurde er nie. Das Abgeschiedensein blieb ihm Bedürfnis, der Austausch zwischen Genres und Generationen allerdings auch. Der Maler, Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer beging am letzten März-Sonntag seinen 80. Geburtstag.
Prima la musica? Nein, hier gilt das mal nicht. Zuerst waren die Bilder. Du sollst Dir kein Bild machen? Von wegen! Hier geht es um Bilder, die unvergesslich wurden in ihrer Sprachgewalt, in ihrem Eindruck und ihrer Musikalität. Am Anfang war das Wort? O nein, so manche Sicht hat erst einmal sprachlos gemacht. Die verbale Deutung folgte, wenn überhaupt, erst danach.
Er ist ein Universum in sich. Achim Freyer, am 30. März 1934 in Berlin geboren, er ist ein mächtiger Magier der Bildsprache. Ausgebildet als Maler und Grafiker, fand er alsbald Zugang zur Bühne, wurde an Bertolt Brechts Berliner Ensemble 1954 zum Ausstatter – da war er 30! –, avancierte im Laufe der Jahre zum Freigänger in der Bühnenkunst. Frühe Einflüsse als Meisterschüler bei Brecht, als Bühnen- und Kostümbildner bei Ruth Berghaus und Benno Besson machten ihn rasch zu einer Art Übervater. Diesen Ruf hat Achim Freyer in mehrfacher Hinsicht für sich ausgebaut. In den Mund nehmen würde er ihn allerdings nie.
Dieses überaus ernsthafte Kuriosum unter den Theaterleuten von Rang hat geradezu stoisch nach eigenen Wegen gesucht. Das zeigt sich in seiner poesievollen Handschrift ebenso wie in seinem Zug durch die ost-westlichen Himmelsrichtungen. Freyers Weggang aus der DDR in den Westen Berlins war ein Befreiungsschlag und öffnete diesem Freigeist mit geistigen Wurzeln aus der Lehre von Schulpforta weit mehr als nur die toskanische Sonne, in deren Schatten er bald residierte und mit seinem 1988 gegründeten Freyer-Ensemble überaus ersprießliche Probenphasen absolvierte, um das Theater Europas immer mal wieder stilsicher zu revolutionieren. Kaum jemals schlug er den Holzhammer dazu an, sondern rührte fast stets in pastosen Farben, zeichnete Fabelwesen, denen nie die Behauptung anhing, diese oder jene konkrete Theaterfigur darstellen zu wollen. Statt dessen wirkten sie assoziativ, ob sie nun neue Musikwerke von Philip Glass, Mauricio Kagel, Helmut Lachenmann oder Dieter Schnebel bedienten, ob sie Mozarts „Zauberflöte“ wieder und wieder neu ausdeuteten, sich mit Rossini, Weber und Wagner befassten, Musik-Theater von Monteverdi bis Schönberg klangvoll visualisierten, ob sie im Schauspiel von Ovid über Shakespeare bis hin zu Büchner und Goethe wirkten und wirken – Achim Freyer ist und bleibt Achim Freyer.
Der Maler und Zeichner – zweimaliger documenta-Künstler und auch sonst vielfach geehrt – ist sich in ähnlicher Weise treu. Auch in diesem Metier, dem ursprünglicheren für Freyer, ist der Künstler mit dem ihm eigenen Formenbewusstsein erkennbar, und doch scheint es, als sei er hier experimenteller, ja mutiger bis hin zum absichtsvoll gesuchten Risiko. Dabei sind Freyers Opern- und Schauspielkünste – stets als Gesamtkunstwerk zu verstehen – nicht minder waghalsig. Sie loten Räume aus, die wesentlich mehr als die Gesamtheit von Noten und Worten verkünden, die anmutsvoll eine neue Melange aus Partitur und Libretto behaupten.
Achim Freyer, der mit seinem liebenswerten Wuschelkopf zwar stoisch auftreten kann, aber nie als egomaner Selbstdarsteller erlebt worden ist, hat sich neben Bühne und Leinwand nicht zuletzt auch dem Film verschrieben und gilt inzwischen zudem als Sammler von bildender Kunst als eine öffentliche Instanz. In seiner Villa in Berlin Lichterfelde sind Arbeiten Hunderter namhafter Kollegen vertreten – und zu bestaunen. Denn dieses Anwesen soll nicht zuerst Achim Freyer bewahren, sondern ein Hort der freien Kunst sein. Assoziativ, intuitiv, ein Ort für die Sinne. Allem Anfang wohnt hier die Kunst inne.