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Bochum - Die letzte Ruhrtriennale-Saison unter Intendant Heiner Goebbels neigt sich dem Ende entgegen. Kurz vor dem Finale des Festivals der Künste am Wochenende ziehen die Macher rund um den experimentierfreudigen Komponisten am Mittwoch (11.00 Uhr) in Bochum Bilanz. Goebbels hat in den vergangenen drei Jahren mit einer unkonventionellen Programmauswahl und eigenen Regiearbeiten immer wieder Grenzen zwischen Tanz, Theater und Performance aufgehoben.
Auch Beiträge der bildenden Kunst, wie in diesem Jahr eine begehbare Raumskulptur von Gregor Schneider, ließ er zum festen Bestandteil des Festivals werden. Seine Inszenierung der fast vergessenen Oper «De Materie» des Niederländers Louis Andriessen sorgte 2014 für fast ausverkaufte Vorstellungen. Insgesamt realisierten die Ruhrtriennale-Macher 2014 30 Produktionen in mehr als 150 Aufführungen.
Die Nachfolge von Goebbels tritt der Niederländer Johan Simons an. Schon unter Gründungsintendant Gerard Mortier war der Theatermann als Regisseur bei der Ruhrtriennale dabei. Der 67-Jährige hatte bei seiner Vorstellung vergangenes Jahr angekündigt an den spartenübergreifenden Produktionen festhalten zu wollen.
Interview mit Heiner Goebbels, geführt von Ulrich Fischer, dpa:
Frage: Herr Goebbels, Ihre Zeit als Intendant der Ruhrtriennale neigt sich nach drei Jahren ihrem Ende zu. Bedauern Sie, dass Sie nicht, noch länger Zeit haben, oder sind Sie froh, die Bürde los zu werden?
Antwort: Ich habe das nie als Bürde empfunden. Und für mich ist es das perfekte Zeitmaß. Der Wechsel nach drei Jahren tut einem Festival gut, wenn man das so interpretiert, wie ich es versucht habe: als Angebot einer sehr persönlichen zeitgenössischen Ästhetik. Danach kommt jemand anderes und setzt die Schwerpunkte neu.
Frage: Was ist Ihnen besonders gut gelungen? Was war der größte Flop?
Antwort: Ich mache kein Ranking. Das wird auch jeder anders bewerten. - Ich habe versucht, eine Ästhetik zu vermitteln, von der ich glaube, dass sie den Theaterbegriff erweitert. Eine Erweiterung dessen, was uns die institutionellen Theater- und Opernhäuser präsentieren. Und ich habe mit der Freiheit, die wir hier haben, versucht, alles kompromisslos dem Primat der Kunst zu unterwerfen. Ich bin überrascht, wie offen und neugierig das vom Publikum angenommen wurde.
Frage: Anders als die meisten Ihrer Vorgänger haben Sie die Ruhrtriennale nicht nur geleitet, sondern auch inszeniert und eigene Arbeiten gezeigt. Bietet die Ruhrtriennale als Festival ein gutes Podium?
Antwort: Ich glaube, das ist eins der besten Festivals der Welt! Erstens, weil die Spielorte und die Industriedenkmäler eine Herausforderung, aber auch eine große Chance für die Künstler sind. Zum zweiten, weil das Festival die Möglichkeit hat, Neues zu produzieren, nicht nur einzuladen. Das Dritte ist das Publikum, das mit großer Offenheit diesen Weg mitgetragen hat. Wir haben eine hohe Auslastung von rund 90 Prozent in diesem Jahr.
Frage: Was könnte, sollte man an der Ruhrtriennale verbessern?
Antwort: Wir haben versucht, das Publikum entscheidend zu verjüngen, das ist uns auch gelungen. Daran kann man weiterarbeiten. Ich hab mich vom Repertoire gelöst und schon zu Beginn gesagt, ich möchte hier Dinge zeigen, die man woanders nicht sehen kann und die woanders nicht entstehen können. Dazu gehören auch Produktionen, die die institutionellen Genregrenzen ignorieren und auch bildende Kunst. Das muss aber jeder künstlerische Leiter für sich selbst beantworten. Johan Simons, mein Nachfolger, braucht da keinen Ratschlag. Er ist ein erfolgreicher Theatermacher und Intendant; ich denke, er hat schon seinen Plan.
Frage: Sie werden nicht müde zu beteuern, jeder sei willkommen, kein Besucher der Ruhrtriennale brauche irgendeine Vorbildung. Stimmt das wirklich bei einem Avantgardefestival, in dem Schönberg vertanzt wird oder eine Sopranistin Alban Berg singt? Ist die Ruhrtriennale nicht unendlich elitär?
Antwort: Nein. Vor dem Neuen sind wir alle gleich. Ob gebildet oder nicht. Es gibt hier eher Sprachen zu hören, die wir nicht verstehen, die uns auf anderem Wege erreichen. Der Publikumszuwachs beweist noch einmal, dass Zugänglichkeit kein Gegensatz sein muss zu einem zeitgenössischen Kunstbegriff.
Frage: Wie lautet Ihr Fazit?
Antwort: Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber dem Team, gegenüber den Künstlern, die die großen Herausforderungen der Räume angenommen haben, und gegenüber dem Publikum.
Frage: Wie geht es bei Ihnen weiter - nach Ihrer Zeit als Intendant?
Antwort: Ich geh' wieder an die Uni zurück, das hatte ich sehr reduziert. Und ich möchte wieder komponieren - dazu bin ich schon seit 2008 nicht mehr gekommen.
Frage: Herr Goebbels, Sie sind Träger des Ibsen-Preises, Professor an einem tonangebenden Institut und Intendant der Ruhrtriennale. Ihre Werke werden in aller Welt präsentiert. Welche Verantwortung trägt ein Künstler wie Sie in unserer Zeit?
Antwort: Ich kümmere mich um den Nachwuchs. Ich möchte, dass eine neue Generation zu ihrer eigenen Ästhetik finden kann. Sie soll nicht kopieren, was ich tue; das ist nicht die Art, wie ich lehre. Es ist auch eine wichtige Verantwortung, die man als Künstler hat, nicht zu glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein. Und zu akzeptieren, dass ein Publikum vielleicht etwas ganz anderes in dem sieht, was man tut.
ZUR PERSON: Heiner Goebbels, 1952 in Neustadt an der Weinstraße geboren, studierte Soziologie und Musik in Freiburg und Frankfurt. Der Ibsen-Preisträger zählt zu den wichtigsten Exponenten der zeitgenössischen Musik und des Theaters. Seine Kompositionen werden weltweit gespielt und aufgeführt. Gebbels ist Musiker, Komponist, Regisseur, Hörspielautor, Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und Präsident der Hessischen Theaterakademie. Seit 2012 leitete er die Ruhrtriennale.