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Gerd Zacher. Foto: Alexander Basta
Gerd Zacher. Foto: Alexander Basta
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Forschungsplatz Orgelbank: Gerd Zacher (1929-2014)

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Wer zur Avantgarde gehörte, hat für ihn komponiert. Für Gerd Zacher zu schreiben, bedeutete, für einen wachen Geist zu schreiben, für einen Musiker, der seinen Auftrag, sein Wirken stets anwaltschaftlich verstanden hat: als Komponist, als Publizist, vor allem aber doch als Organist, was den Glanz seines Namens begründet hat.

Bis zuletzt blieb er beweglich und bewegend. Gab er Konzerte, auch Hauskonzerte, war immer Neues, Überraschendes von ihm zu erwarten. Sich auszuruhen auf Lorbeeren, gar denen eines emeritierten Professors der Essener Folkwang-Hochschule und ehemaligen Leiters ihrer Abteilung Evangelische Kirchenmusik, war nicht seine Sache. Weitergehen, nicht stehen bleiben, sich einmischen. Es war sein Naturell. Ob er schreibend Stellung bezog: stets dezidiert und kritisch wie etwa (noch gut in Erinnerung) im glasklaren Widerspruch gegen den Populismus eines Halberstädter Cage-Projektes, ob er komponierenderweise tätig war, unbeirrt und unermüdlich: zuletzt noch mit einer „Kleinen Windmusik für Sprecher und Orgel“, die eigentlich in diesen Tagen ihre Uraufführung hätte erleben sollen oder ob Gerd Zacher auf der Orgelbank saß: am liebsten auf der seiner Heimatkirchengemeinde in Essen-Rellinghausen – sein Blick ging stets weiter. Frescobaldi und Bach und auch große Vergessene wie Johann Ulrich Steigleder waren ihm ebenso nah wie die Komponisten der Gegenwart, wie John Cage, Mauricio Kagel, György Ligeti, Isang Yun, Dieter Schnebel und Juan Allende-Blin, dem Lebensgefährten für 62 Jahre.

Neue Kleider, täglich Brot

Es war die Neugier, die so vieles, so pointiert herausgetrieben hat bei ihm. Und die einfach nicht leiden mochte, dass Kirchenmusik in den selbst gewählten Fesseln des immer bloß Reproduzierenden stecken blieb. Deshalb der Mut und deshalb das Herz, das er sich gefasst hat, um das technisch-ästhetische Rüstzeug seines Instruments auf neue Stufen zu heben: sei es in Gestalt einhändigen Spiels auf zwei Manualen, sei es als Spiel (wie für Ligetis „Harmonies“) mit niedrigerem Winddruck, anfangs sogar dank Staubsauger am Windkasten, mit ersterbenden Klängen durch Ausschalten des Motors oder auch, wie in der „Kunst einer Fuge“, seiner vielleicht bekanntesten Komposition, durch die Erfindung des singenden Organisten, wenn denn (was Bedingung war, weil er nicht auf den Gag aus war) Hände und Füße nicht mehr zureichten.

Dass er sich seine Orgelbank mit Vorliebe als Forschungsplatz eingerichtet hat, war Wirkung fester Überzeugung: „Kompositions-Anwalt“ wollte er sein. Auf allen Feldern, dem des historischen Erbes wie dem der Zeitgenossenschaft, musste sich für ihn die Interpretation vor der Komposition verantworten. Egotripps  verachtete er. Andererseits: Die „Königin“ unter den Instrumenten, dies war ihm wichtig, sollte Staat machen, sollte neue Kleider haben und sie auch stolz ausführen. Dafür hat sich Gerd Zacher ebenso eingesetzt wie für neue Formen kirchenmusikalischer Praxis, was für ihn mit der Fort- und Weiterbildung seiner Hörer notwendig zusammenfiel. „Meisterkurse für Zuhörer“ hat Gerd Zacher – ziemlich genial muss man sagen – ein Konzertformat getauft, in dem er seine über alles geliebten Luther-Choräle durch alle Strophen trieb, während die Zuhörer im Gesangbuch lesend mitverfolgen sollten, wie sich die Musik, wie sich Farbe, Artikulation, Tempo und Dynamik änderten und ändern mussten, damit der Sinn der Worte hervortreten konnte. Für den, der zuhören durfte, eine faszinierende Erfahrung. Verkündigung durch Musik, wie Theologen zu sagen pflegen – für Gerd Zacher war dies kein leeres Wort, es war sein täglich Brot. Nur, dass es von ihm nicht billig zu haben war, mit Gospel, mit Mätzchen.

Wenn die Stunde kommt

1929 im Emsland geboren, fielen seine ersten Jahre, die unendlich wichtigen der Entwicklung und Prägung, in die Zeit einer mundtot machenden Diktatur. Die dunkle Zeit. In ihr war es ausgerechnet der als Lehrer und Organist tätige Großvater, der ihn an die Hand nahm, um dem neugierigen Jungen die langsamen Sätze aus Mendelssohns Orgelsonaten vorzuspielen – bei geschlossenen Kirchentüren, versteht sich. Kunst, dies die frühe Erfahrung, ist ebenso bedroht wie das Leben und damit nicht zu trennen von Ethos und Moral und (keine Frage für Gerd Zacher) von Antifaschismus. Der Schock darüber, dass es tatsächlich einmal so etwas wie „verbotene Musik“ gegeben hat und geben konnte, dies hat in seinem Leben wie er noch im hohen Alter bekannte, „sehr viele Spuren gelegt“. Nicht selten mit verstörender Wiederkehr der alten Gespenster.

Als er nach Studien in Detmold und Darmstadt und erster Tätigkeit in Santiago de Chile 1957 sein Kantoren- und Organisten-Amt an der Lutherkirche zu Hamburg-Wellingsbüttel antrat und kurz danach anfing, in den Hauptkirchen der Hansestadt Mendelssohn vorzutragen, musste er in beschämenden Kritiken lesen, dass man „auf der Schnittger-Orgel nicht derartige Salonmusik spielen“ sollte. Der Versuch, den Muff auszutreiben, hat ihn stets zwischen alle Stühle gebracht. Man mochte es nicht. Nicht das Eintreten für eine zeitgenössische Orgelmusik, ein zeitgenössisches Orgelverständnisses und auch nicht das Eintreten für Mendelssohn, an dessen Nicht-Rezeption man die Nachwehen des antisemitischen Bannstrahls ablesen konnte. Mendelssohn-Sonaten, wie Gerd Zacher es tat, in Konzertprogramme aufzunehmen, erforderte viele Jahre lang Mut und Zivilcourage. Allein diese Fürsprache hat ihm einen Ehrenplatz unter den Organisten der Nachkriegszeit gesichert.

Eine seiner Kompositionen für zwei im Vierteltonabstand gestimmte Klaviere, geschöpft aus dem seriellen Grunddenken des Komponisten Gerd Zacher, trägt den wunderbar wachen Titel „L’heure qu’il est“. Die Stunde ist da. Jetzt, unmittelbar vor seinem 85. Geburtstag, ist sie auch für ihn selber gekommen. Die Orgelbank, die sein Platz war, hat er für immer verlassen müssen. Am Pfingstmontag ist Gerd Zacher nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.

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