Musikfreunde, die das erste Mal auf den Namen des von ihm 1976 gegründeten Marschner-Festivals in Hinterzarten stießen, stießen auf die gleichermaßen richtige wie falsche Spur. Der Name leitete sich von ihm ab – Wolfgang Marschner. Wer an Heinrich Marschner (1795–1861), einen der bedeutenden Komponisten der jungen deutschen Romantik, zumal in der Oper, dachte, lag aber auch nicht falsch. Der war nämlich ein Vorfahre des 1926 in Dresden geborenen Wolfgang. Die Marschners – eine alte sächsische Musikerfamilie mit böhmischen Wurzeln.
Auch im Falle Wolfgang Marschners steht der Begriff Musiker für Ganzheitlichkeit. Er war einer der bedeutenden deutschen Geiger der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber das allein griffe zu kurz. Marschner war ebenso ein bedeutender Pädagoge, ein exzellenter Dirigent und ein überaus kreativer Komponist, der sich innerhalb der musikalischen Gegenwart keiner Schule verpflichtet fühlte. Vielleicht gerade deshalb, weil er sie als Geiger alle in- und auswendig kannte, weil er für Referenzinterpretationen so manches bedeutenden Opus’ stand – von den Violinkonzerten Alban Bergs, Bernd Alois Zimmermanns bis hin zu Arnold Schönberg. Dessen eigenwilligem, introvertiertem, höchst komplexem Violinkonzert hat er besonders seinen Stempel aufgedrückt; nachzuhören in der Aufnahme mit Michael Gielen und dem alten SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.
Neben Marschners brillanter Technik fasziniert die Kombination des warmen, beseelten, „romantischen“ Tons des Solisten mit dem kristallinen Orchesterklang. Dass dieser Ton auch exemplarisch für die Tradition der so genannten deutschen Geigerschule war, merkte man jeder Regung seiner Interpretationen romantischer Werke an: geschmeidig, silbern glänzend, überaus elegant in der Bogenführung. Vor dem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass er zur historisch-informierten Aufführungspraxis eine – freundschaftliche – Distanz pflegte.
Wolfgang Marschner begann als Wunderkind – mit nur vier Jahren wurde er in die Orchesterschule der Staatskapelle Dresden aufgenommen. Es folgte ein Studium am Salzburger Mozarteum und viel Inspiration durch den ebenfalls für seine Eleganz bekannten tschechischen Geiger Váša Príhoda. Der Kriegsdienst unterbrach die Karriere, die nach 1945 steil weiter ging. Nach Orchesterstationen, darunter einer Konzertmeisterstelle beim WDR-Sinfonieorchester, folgten schon ab dem 26. Lebensjahr Hochschullehrtätigkeiten: in Essen, Köln und schließlich von 1963 bis 1997 in Freiburg.
Am 24. März ist Marschner, 93-jährig, in Freiburg gestorben. Vor seinem Einsatz für junge Geigentalente und die Musikkultur der Region kann man sich nur verbeugen. Das Marschner-Festival, das besonders jungen Künstlern ein Podium bot, der Spohr-Violinwettbewerb, sein Einsatz als langjähriger Leiter der Freiburger Pflüger-Stiftung für Hochbegabte, der Jacobus-Stainer-Geigenbauwettbewerb – das alles war Ausweis der Kreativität und des Engagements eines großartigen, weitsichtigen Musikers.