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Omer Meir Wellber. Foto: © Felix Broede
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„Ich mach den Michael Jackson“ – Mann mit vielen Gesichtern: Omer Meir Wellber dirigiert Strauss und Mozart an der Semperoper

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Kaum zu fassen: Der israelische Dirigent Omer Meir Wellber ist seiner ersten Liebe treu geblieben und spielt noch immer Akkordeon. Er ist aber auch Pianist, komponiert, schreibt gerade ein Buch und kümmert sich um herzkranke Kinder. Momentan springt er in der Semperoper von Probe zu Probe. Von „Guntram“ zu „Ariadne auf Naxos“, von Richard Strauss zu Mozarts „Così fan tutte“. Gar nicht so einfach, ihn da für ein Gespräch zu erreichen. Michael Ernst hat es dennoch getan.

Frage: Mit „Daphne“ von Richard Strauss haben Sie 2010 in Dresden debütiert, zum Strauss-Jahr knüpfen Sie mit „Guntram“ daran an – eine besondere Herausforderung gerade an diesem Ort?

Wellber: Richard Strauss in Dresden ist immer speziell. Es gibt hier eine große Tradition, was seine Musik betrifft. Tradition sollte für mich aber stets eine gute Basis für Neues sein und kein Gefängnis. Sie ist also sehr wichtig, um unser Heute in Bezug zur Vergangenheit zu setzen.

Im Gegensatz zu Wagner hat Strauss in Ihrem Heimatland Israel kein Problem?

Strauss ist exakt die Antwort auf dieses Wagner-Thema. Ich stamme aus einer Holocaust-Familie und weiß, wovon ich spreche. Viele Überlebende in Israel haben den Missbrauch der Wagner-Musik noch selbst erlebt. Das vergessen sie nicht. Wenn so etwas heute erklingt, kocht für sie alles wieder hoch. Provokation ist keine Lösung, es wird also noch einige Zeit brauchen, bis Wagner vorbehaltlos gespielt werden kann. Strauss kann uns dabei sehr helfen.

Schließlich ist seine Musik hundert Prozent Talent, für mich ist er so wichtig wie Mozart, seine Kompositionen sind absolut frisch.

Ihr einstiger Mentor Daniel Barenboim hat Wagner in Israel dirigiert. War das eine Provokation?

Nein, überhaupt nicht. Mit Barenboim wird man wirklich Musiker. Vorher war ich ein guter Student, aber dann – bei ihm habe ich gelernt, wirklich gründlich zu fragen. Was ist gute Musik, was ist interessant und besonders in einem Werk, wie lebt man heute mit Mozart? Bei ihm geht es den ganzen Tag um Musik, wunderbar.

„Guntram“ ist die erste Oper von Strauss. Wieviel Wagner steckt da noch drin?

Viel! Da klingt der Tristan-Akkord, finden sich „Lohengrin“ und „Götterdämmerung“, Wagners Einfluss hat dieses Werk inspiriert. Aber – und das ist eben das Geniale bei Strauss – er blickt auch nach vorn und wagt Neues. Man ahnt schon seine späteren Werke wie „Salome“ oder „Till Eulenspiegel“, diese Oper ist voller Energie!

Aber nur selten zu hören. Sind konzertante Aufführungen der bessere Weg, dieses Frühwerk kennenzulernen?

Ja, man kann sich ganz auf die Musik konzentrieren, auch auf die künstlerische Persönlichkeit von Richard Strauss. Gerade bei „Guntram“ ist das sicher die bessere Wahl, denn als Drama funktioniert das Stück nicht sonderlich gut.

Sie werden nach „Guntram“ die Wiederaufnahme „Ariadne auf Naxos“ leiten und im März die Neuproduktion von Mozarts „Così fan tutte“. Wie koordinieren Sie das jetzt in den Proben?

Wissen Sie, ich mag es, Dinge zu kombinieren. Ich bin ja auch kein einseitiger Mensch. „Ariadne“ ist vielleicht das Beste von Strauss überhaupt. Obwohl die Idee sehr einfach ist, steckt eine ganze Welt dahinter. Die „Così“ ist ganz ähnlich, beide Stücke sprechen über dieselbe Sache, teils spielerisch, dann mit absoluter Kontrolle – ein schöner Umgang mit der Realität. Wann sind Frau und Mann einander treu, wann nicht?

Bei „Così fan tutte“, übrigens meine erste Neuproduktion dieser Oper, die ich vor zehn Jahren mal als Assistent in Israel begleitet habe, werde ich jetzt ein wenig rocken. Ich begleite alle Rezitative am Flügel statt am Cembalo. So entsteht auch wieder ein Mix aus Tradition und Moderne, denn Musik ist ja kein Museum und wir leben nicht in der Mozart-Zeit. Regisseur Andreas Kriegenburg sieht das genauso. Uns interessiert es, die Vergangenheit in die Zukunft zu bringen. Und umgekehrt. Das kann funktionieren, man muss es nur versuchen und auch mal ein Risiko eingehen.

Das taten Sie auch voriges Jahr mit einer recht speziellen „Aida“ in der Arena von Verona, hat's funktioniert?

2013 war für mich ein wunderbares Jahr, ich habe überall auf der Welt Verdi dirigiert. Eine besonders interessante Erfahrung war die „Aida“ in Verona, 100 Jahre nach der ersten Aufführung dort in der Arena. Diese Jubiläumsproduktion von La Fura dels Baus erscheint jetzt bald auf DVD – machen Sie sich selbst ein Bild!

Mit Aufnahmen haben Sie es sonst doch nicht so?

Das stimmt, ich ziehe die Live-Atmosphäre von Konzerten der CD vor. Das ist in jedem Fall viel lebendiger.

Sie sind bis heute nicht nur als Dirigent zu erleben, sondern pflegen auch die von Ihnen erlernten Instrumente Akkordeon und Klavier?

Mit der Violine habe ich mich beschäftigt, um über Streichinstrumente besser Bescheid zu wissen. Ich finde, das sollte jeder ernsthafte Musiker tun, es ist enorm hilfreich. Mit dem Akkordeon, meiner ersten Liebe, trete ich sehr gerne auf, beispielsweise in Venedig mit Werken von Piazzolla. Und auf dem Klavier gebe ich ab und an Mozart-Konzerte – oder eben die Rezitative in der „Così“. Da mach ich den Michael Jackson.

Obendrein haben Sie auch einen Namen als Komponist?

Dazu fehlt mir im Moment leider die Zeit. Ich bin absolut voll mit anderer Musik, da bleibt einfach kein Raum mehr für etwas Eigenes. Das ist keine Frage der Inspiration, ich bin einfach zu sehr ohne Ruhe dafür.

Mich interessiert gerade etwas anderes, ich schreibe an einem Buch, das Ende des Jahres erscheinen soll und in dem es um eine neue Lesart theologischer Schriften gehen soll. Ich will darin nicht Inhalt und Bedeutung analysieren, sondern die Artikulation der Texte untersuchen, sie also ausschließlich aus dem Blickpunkt der Musik betrachten.

Wie finden Sie die Zeit dafür? Zumal Sie sich in Israel ja auch noch für soziale Belange engagieren?

Ich brauche zum Glück nur wenig Schlaf. Das war schon immer so, Schlaf ist doch langweilig.

Das Benefiz-Projekt ist sehr wichtig für mich und ich freue mich, dass Sie danach fragen. Denn es gibt viele Probleme im Land und ich könnte der erste Kritiker Israels sein. Aber es gibt doch auch viele wunderbare Dinge, von denen die Welt nichts weiß. Das Projekt „Save a Child's Heart“ ist so etwas, dort werden herzkranke Kinder aus Ländern der Dritten Welt operiert, die meisten sind Palästinenser. Das ist für sie völlig kostenlos und vor allem ganz ohne Bürokratie. Parallel dazu werden Kardiologen aus aller Welt ausgebildet, Tansania zum Beispiel hat dadurch seinen ersten Herzspezialisten erhalten!

Wir haben dort auch ein Kinderhaus, in dem die Patienten mindestens einen Monat gemeinsam mit ihren Eltern sein können. 2013 wurde ich Good Will Ambassador der Organisation; nun finden auch regelmäßig Konzerte statt, weil Musik einfach gut ist für all diese Menschen. Wie Barenboim gesagt hat: Alles ist miteinander verbunden, alles kann miteinander verbunden werden.

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