Berlin - Daniel Barenboim denkt an Kindertage, wenn er zurzeit über die relativ kleine Zahl von Zuhörern spricht, die wegen der Corona-Einschränkungen seine Konzerte besuchen dürfen: «Zu Beginn kamen bei mir auch nicht so viele», sagt der Pianist im Scherz - und lacht. Barenboim erinnert sich aber auch aus anderen Gründen gerade an den Beginn seiner Karriere: Vor 70 Jahren spielte der junge Daniel in seiner Heimatstadt Buenos Aires zum ersten Mal vor Publikum.
Aus diesem Anlass stellt ab Montag (24. August, 20.30 Uhr) die Streaming-Plattform Arte Concert eine Aufzeichnung des Klavierabends mit Beethoven-Werken ins Netz, den Barenboim gerade bei den Salzburger Festspielen gegeben hat.
Der in Argentinien geborene Musiker gab am 19. August 1950 mit sieben Jahren sein Bühnendebüt. Damit begann eine Karriere als Pianist und später auch als Dirigent, die in der Welt der klassischen Musik wohl unvergleichbar ist. Nach Stationen in London, Paris und Chicago ist er seit 1992 Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden und Chefdirigent auf Lebenszeit der Staatskapelle Berlin.
Er wundere sich noch immer, dass ihn Menschen, auch junges Publikum, hören wollten - «und dafür zahlen!». Auch das ein Scherz. Solange es seine Kräfte zuließen, wolle er weitermachen. Erst gerade hätten ihm die Ärzte bescheinigt, dass er topfit sei, sagt der 77-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Den Anstoß für seinen ersten Bühnenauftritt hatte ein berühmter Musiker gegeben. «Der Geiger Adolf Busch hatte mich kurz davor gehört und meinem Vater geraten, mich bald vor Publikum spielen zu lassen.» So sollten Bühnenauftritte für den jungen Pianisten allmählich zu etwas Natürlichem werden, habe Busch gesagt. «Ohne diesen Anstoß hätte mein Vater womöglich diesen Schritt so früh nicht gewagt.»
Seine Mutter habe ihn später daran erinnert, dass er damals «ein sehr langes Programm mit Werken von sieben oder acht Komponisten spielte». Der Beifall in dem inzwischen abgerissenen Konzertsaal Beyer in Buenos Aires habe nicht enden wollen. Nach sieben Zugaben sei er schließlich ein letztes Mal auf die Bühne gegangen und habe dem Publikum erklärt: «Es tut mir leid, ich habe alles gespielt, was ich kann.»
Sein Vater, Enrique Barenboim, war der einzige Klavierlehrer, den Sohn Daniel jemals hatte - zwischen dem fünften und 15. Lebensjahr. Danach habe ihm sein Vater einen Satz mit auf den Weg gegeben: «Daniel, viele denken, du seist ein Wunderkind. Von nun an musst Du das Wunder vergessen und nur Kind sein.» Diese Erinnerung begleite ihn bis heute. Er erinnere sich auch gerne an jene Menschen, die ihn unterstützt und geholfen hätten, etwa an den Dirigenten Wilhelm Furtwängler oder die Pianisten Arthur Rubinstein und Edwin Fischer.
Auch an einem wie Barenboim gehen die Einschränkungen durch die Pandemie nicht spurlos vorbei. Der Dirigent hatte zwar zuletzt immer wieder Online-Auftritte, spielte im Berliner Boulez Saal und mit den Wiener Philharmonikern, demnächst dirigiert er wieder in Berlin. Mit den Streaming-Alternativen zu Live-Konzerten und Opern wolle er sich auf Dauer aber nicht arrangieren, betont er. «Uns droht sonst ein geistloser Zeitgeist.» Er könne die Einschränkungen wegen der Pandemie nachvollziehen. Viele Regelungen finde er aber widersprüchlich und irritierend - gleichwohl für Musiker und Zuhörer.
Auf die Frage, was ihm der Kontakt zum Publikum gebe, antwortet Barenboim mit einer Anekdote: «Wenn Rubinstein unterwegs war, stand für ihn im Hotel immer ein Klavier auf dem Zimmer zur Verfügung. Bevor er sich morgens an den Flügel setzte, bestellte er sich das Frühstück - und begann zu üben. Als dann aber das Frühstück kam, hörte Rubinstein mit dem Üben automatisch auf - und spielte fortan für den Kellner.»