Erstmals in seiner mehr als 160-jährigen Geschichte wählt der Deutsche Bühnenverein eine Frau an die Spitze: Die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler vertritt nun die Interessen der Theater und Orchester. Die 65-Jährige wurde am Freitag in Potsdam auf der Jahreshauptversammlung der Intendanten und Direktoren der deutschen Theater und Orchester gewählt, wie der Verband mitteilte. Als erste Frau an der Spitze des Bühnenvereins tritt sie die Nachfolge von Klaus Zehelein an, der das Ehrenamt zwölf Jahre lang innehatte.
Sie werde sich insbesondere für die finanzielle Absicherung der Häuser einsetzen, betonte Kisseler. Der 74-jährige Zehelein hatte das Amt abgegeben, nachdem er bereits im vergangenen Sommer aus der Bayerischen Theaterakademie ausgeschieden war.
«Trotz ihrer unabweisbaren Bedeutung für unsere Gesellschaft sind die Theater immer wieder von anhaltenden Budgetkürzungen bedroht», sagte Kisseler. Die Häuser seien aber auf die notwendigen Mittel für Tarifsteigerungen und Sanierungsmaßnahmen angewiesen. «Die Theater in Deutschland stoßen Debatten an, spiegeln gesellschaftliche Realitäten, geben Orientierung und sind damit wichtige Orte des gesellschaftlichen Diskurses», sagte die 65-Jährige. Kisseler gilt als durchsetzungsstark und hat dies zuletzt beim Millionenprojekt Elbphilharmonie bewiesen, die nun nach zahlreichen Pannen Anfang 2017 eröffnet werden soll.
Die Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins tagt noch bis zum Samstag im Potsdamer Hans-Otto-Theater. Thema ist unter anderem die wachsende Zahl der Bürgerbühnen, die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft gemeinsam mit Schauspielern auf die Bühne bringen. Zudem geht es um die Übertragungen großer Opern- und Orchesteraufführungen im Internet, die mit urheberrechtlichen und finanziellen Problemen verbunden sind.
Barbara Kisseler: Kulturpowerfrau mit Charme und Kompetenz
Von Carola Große-Wilde, dpa
Sie gilt als charmant, zielstrebig und durchsetzungsstark: Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). Die elegante Powerfrau mit der grauen Kurzhaarfrisur hat schon viele Hürden gemeistert, nicht zuletzt das Millionenprojekt Elbphilharmonie. Jetzt wird die erfahrene Kulturpolitikerin Präsidentin des Deutschen Bühnenvereins - als erste Frau in einer langen Reihe von zahlreichen Männern in der mehr als 150 Jahre langen Geschichte des Vereins.
Für die 65-Jährige ist Kulturpolitik Gesellschaftspolitik. Die daher nicht in der Vermeidung von Debatten bestehe, «sondern darin, sie anzustoßen, vielleicht sogar, sie zu erzeugen», wie sie einmal sagte. Es gehe darum, den «Eigensinn, die Subversion, die produktiven Zweifel in den Künsten» für die Gesellschaft zu nutzen. Die mehr als 470 Mitglieder im Bühnenverein, darunter Stadt- und Staatstheater einschließlich aller Opernhäuser, dürften mit ihr eine starke Fürsprecherin bekommen.
Kisseler genießt in der Kulturszene einen hervorragenden Ruf und ist ausgezeichnet vernetzt. In der Kulturverwaltung hat sie ihr gesamtes berufliches Leben zugebracht. Nach dem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln leitete sie zunächst das Kulturamt in Hilden, dann in Düsseldorf. 1993 wurde Kisseler zur Abteilungsleiterin für Kultur im niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur berufen. Zehn Jahre später wechselte sie als Staatssekretärin für Kultur nach Berlin. Als erste Frau stieg sie im Herbst 2006 an die Spitze der Berliner Senatskanzlei unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auf.
Im März 2011 übernahm sie in Hamburg das schwere Erbe von Reinhard Stuth (CDU), der durch Kürzungen und Schließungen die Hamburger Kulturszene gegen sich aufgebracht hatte. Innerhalb kürzester Zeit schaffte es die welt- und wortgewandte Senatorin, Vertrauen zurückzugewinnen und sich Respekt zu verschaffen.
Sie holte Stardirigent Kent Nagano als Nachfolger von Simone Young an die Elbe, verlängerte den Vertrag von Ballettintendant John Neumeier (73) und sicherte zugleich sein Erbe für Hamburg. Für die Intendanten der beiden Staatstheater, Joachim Lux am Thalia Theater und Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus, handelte sie gute Konditionen aus.
Ihr größter Coup war jedoch - gemeinsam mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) - die Einigung mit dem Baukonzern Hochtief beim Millionenprojekt Elbphilharmonie, das durch schwere Fehler des CDU-Senats völlig aus dem Ruder gelaufen war und vor Gericht zu enden drohte. Tatsächlich wurden seit dem Deal Ende Dezember 2012 alle Bauabschnitte eingehalten. Das spektakuläre Konzerthaus soll nun drei Monate früher als geplant im Januar 2017 eröffnet werden.