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„In memoriam Giuseppe Sinopoli“: die Staatskapelle Dresden erinnert an ihren früheren Chefdirigenten

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Vor zehn Jahren ist Giuseppe Sinopoli, der italienische Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, in der Deutschen Oper Berlin an einem Herzinfarkt zusammengebrochen und wenig später gestorben. Christian Thielemann, einst Sinopolis Assistent und Korrepetitor, er hat mehrfach die Lebenslinien des Italieners gekreuzt. Ob Berlin, ob Bayreuth – immer wieder gab es Begegnungen. Zur Spielzeit 2012/13 wird er die Amtsnachfolge Sinopolis in Dresden antreten. Schon jetzt agiert er häufig in einer Übergangszeit am Pult der Kapelle. So auch in einem Gedenkkonzert, das dem vor zehn Jahren verstorbenen Meister gewidmet ist.

Ein Operntod, als wäre er inszeniert: Diese „Aida“ am 20. April 2001 sollte Giuseppe Sinopoli und Götz Friedrich endlich versöhnen. Jahre zuvor hatten sie einen Vertrag miteinander geschlossen, der nie realisiert worden ist. Zu unterschiedlich waren die künstlerischen Ansichten und Vorstellungen von einer Zusammenarbeit. Diese Meinungen haben sich niemals angenähert, aber beide Männer hatten inzwischen Erfahrungen gesammelt, waren älter geworden, da stand zumindest einer symbolischen Handreichung nichts mehr im Wege.

Doch als hätte ein diabolischer Meister dieses Libretto verfasst, sollte es zu solch einem Schulterschluss nie mehr kommen. Götz Friedrich verstarb bereits am 12. Dezember 2000. Er hätte sich über Sinopolis Nachruf im „Aida“-Programmheft sicherlich sehr gefreut – der aber wurde nun ungewollt zum eigenen Nekrolog.

Die Musikwelt war erschüttert, insbesondere die Sächsische Staatskapelle in Dresden stand fassungslos da. Sie hatte ihren Chefdirigenten verloren, der seit 1992 in diesem Amt war, seitdem viel bewegt hat und mit dem es weitreichende Pläne gab. Das 1548 gegründete Orchester scheint von „kopflosen“ Zeiten geradezu verfolgt zu sein (ohne dass sich dieses Manko freilich in der künstlerischen Qualität niederschlägt), auch Fabio Luisi, um nur ein Beispiel zu nennen, stieg vorzeitig aus seinem Vertrag aus und überließ den Klangkörper dem eigenen Schicksal. Mit dem 1950 in Berlin geborenen Dirigenten Christian Thielemann war aber rasch ein veritabler Ersatz gefunden. Wie es scheint, eine Liebesheirat zwischen Traditionsorchester und künftigem Chef. Bemerkenswert oft streifte Thielemann die Wirkungsstationen von Giuseppe Sinopoli und auch die von Fabio Luisi. Nun dirigiert er – nicht in der Semperoper, sondern in der Dresdner Lukaskirche – ein Gedenkkonzert für den zu früh verstorbenen Meister.

Sowohl im Publikum als auch im Orchester wird es viele geben, die sich an die Aufbruchszeiten erinnern. Einer jedoch, einer, den vieles mit Giuseppe Sinopoli verbindet, hält vor diesem Konzert eine Ansprache und erinnert darin an den viel zu früh verstorbenen Freund ebenso wie an die gemeinsamen Aufnahmen, Konzerte und Reisen.

Ewald Markl, langjähriger Deutsche-Grammophon-Produzent und in diesem Amt ein enger Partner Giuseppe Sinopolis, reist von Wien aus an die Elbe, um dem italienischen Maestro einen posthumen Freundschaftsdienst zu erweisen. Der 72jährige verspricht sich sehr viel von diesem Gedenkkonzert: „Viel Nostalgie wird es da geben: Die Lukaskirche war der Ort der ersten Begegnung von Sinopoli und der Staatskapelle, noch vor ihrem ersten Konzert wurde darin Bruckners 4. Sinfonie eingespielt.“ Sehr bewegend sei für ihn der Fakt, dass Ende 2000 die Strauss-Oper „Ariadne“ als Sinopolis letzte CD ebenfalls in diesem Gebäude aufgenommen worden ist. Das bleibe eben ein „bedeutungsschwangerer Ort“, meint Markl, an dem nicht nur jede Menge Aufnahmen unter Sinopoli, sondern auch unter Karl Böhm, Herbert von Karajan und Carlos Kleiber entstanden sind.
Denkwürdig sei auch, dass Sinopolis übernächster Nachfolger Christian Thielemann dieses Konzert dirigierten wird. Der kenne Sinopoli seit sehr jungen Jahren, war 1980 dessen Assistent und Korrepetitor an der Deutschen Oper Berlin. Hinzu komme noch das Programm des Gedenkkonzerts, das Strauss-„Metamorphosen“ und Schumanns „Frühlingssinfonie“ – zwei Werke, die Sinopoli auch mit der Staatskapelle aufgenommen hat – mit der deutschen Erstaufführung von Sinopolis „Klangfarben für Streichquintett“ verbindet. In Summa gehe dies alles über gewöhnliches Erinnern weit hinaus.

Keine Frage, dass Ewald Markl an diesem Tag dennoch mit all seinen Gedanken beim einstigen Musikerfreund weilen wird: „Wir kannten uns seit 1983, seit seiner ersten Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern, und haben uns auf Anhieb gut verstanden. Obendrein hatte ich die Ehre, Produzent auch seiner letzten Aufnahme zu sein. Giuseppe Sinopoli war das, was es heute nicht mehr gibt – Generalist und Humanist in jeder Hinsicht.“ Nie wieder habe Markl einen derart gebildeten Menschen kennengelernt, sagt er.

In der Tat, Giuseppe Sinopoli wirkte nicht nur als Komponist und Dirigent, sondern hat auch als Psychiater und Archäologe für Aufsehen gesorgt. Möglicherweise was dies alles zu viel für ein nicht mal 55jähriges Leben? Gut möglich, meint Markl, doch an solchen Spekulationen wolle er sich erst gar nicht beteiligen. Natürlich habe der Maestro für all seine Interessen sehr intensiv und im positiven Sinne auch exzessiv gelebt. Über die Medizin sei er zum Komponieren gekommen und erst von da aus zum Dirigieren. Seine zweite Liebe war bekanntlich die Archäologie, Markl dazu: „Ich werde nie vergessen, wie er mir auf einer Konzertreise in Yokohama die uralten Pläne von Ninive ausgebreitet hat! All das hat ihn außerordentlich bewegt, die Mythologie, die alten Sprachen, von denen er mehrere erlernt hat, und obendrein war er ein begeisterter Sammler.“ Giuseppe Sinopoli müsse wohl einen Großteil seiner Gagen bei Versteigerungen ausgegeben haben, vermutet der Produzent im Ruhestand, fügt aber sofort hinzu: „Er hat die Antiken nicht wie ein bornierter englischer Landlord erworben, er war ein echter Missionar!“

Und dazu muss er wohl auch ein großer Zivilisationskritiker gewesen sein, der die Geschichte nie als Event missverstand. Markl kenne unter den Dirigenten jedenfalls „keinen zweiten mit derartigen Einsichten“. Zudem sei er ein hilfsbereiter Mensch gewesen, der „auch mal kostenlos Vorträge hielt, wenn es um die Sache ging“. Wertschätzung muss Sinopoli wohl stets wichtiger als Höchstgage gewesen sein.

Vor allem aber ist der Italiener natürlich Verdi- und Puccini-Experte gewesen, er hat sich das Repertoire von Wagner und Strauss erarbeitet, wirkte überhaupt zunehmend in der deutschen Literatur. Freilich, wo er künstlerisch keinen Zugang fand, da hielt er sich als Dirigent auch zurück. Welcher Pultstar kann das heute schon noch?

Ursprünglich war Giuseppe Sinopoli in Dresden lediglich Orchesterchef und damit für die Sinfoniekonzerte verantwortlich. Ab 2003 sollte er dann auch die Verantwortung für den Opernbetrieb übernehmen. Ewald Markl erinnert sich, dass der Meister gern die weniger gespielten Strauss-Opern wie „Capriccio“ und „Ägyptische Helena“ aufgeführt hätte. Als ganz speziellen Wunsch für das Mozart-Jahr 2006 habe er einen „Idomeneo“ in der opulenten Orchestrierung von Richard Strauss gehegt.

Verdienste habe er sich bei der traditionsreichen Kapelle vor allem um Einspielungen von bleibender Gültigkeit sowie um die Gastspieltätigkeit erworben. Zudem belebte er die von seinem Vorvorgänger Richard Wagner ins Leben gerufenen Palmsonntagskonzerte wieder. An die daraus resultierenden Mitschnitte etwa von Bruckners 5., Liszts „Faust“- und Beethovens 9. Sinfonie sowie dem Stabat Mater von Dvorák erinnert sich der einstige Weggefährte Sinopolis heute noch gern. Und fügt bescheiden hinzu, er sei ja nur involviert gewesen, wenn eine CD dabei herauskam. Etwa Mahlers „Lied von der Erde“ oder Sinfonische Dichtungen von Strauss.

Er sei sich aber sicher, dass ein Mann wie Christian Thielemann unbedingt an solche Aufnahme-Erfolge anknüpfen kann. „Der ist schließlich kein Newcomer, sondern hat schon alle Trümpfe in der Hand“; Thielemann könne jetzt zum ersten Mal ernten, was er in bewegten Zeiten in Berlin und München eingebracht habe. Markl hält ihn für den größten lebenden deutschen Dirigenten. „Mit Abstand!“ Thielemann bringe für die Sächsische Staatskapelle enorme Repertoirekenntnis vor allem der Dresdner Säulenheiligen Strauss und Wagner mit, komme dem Orchester also sehr, sehr zupass. „So viele Konzerte können die gar nicht spielen, wie sie an guten Plänen haben, eine Idealkonstellation für beide Seiten!“ Man könne nur hoffen, dass aus so viel Vorschusslorbeer dann auch eine Musterehe resultiert, gibt sich Ewald Markl hoffnungsvoll zuversichtlich.

Angesichts des Gedenkkonzertes kommt er noch einmal auf den tragischen Tod von Sinopoli zu sprechen: „Er hat mir mal erklärt, dass jeder Mensch nur sehr wenig Feinde habe, auf die er stolz sein könne. So war es auch zwischen ihm und Götz Friedrich.“ Zwar hätten sich die Standpunkte der beiden nie verändert oder gar angenähert, aber sie seien halt älter geworden und hätten längst über ihren Divergenzen gestanden. Das war Sinopolis Ausgangspunkt für die „Aida“ 2001. Kein Mensch konnte da ahnen, dass sein Nachruf für Friedrich auch sein eigener werden würde. „Nur die allerwenigsten Dirigenten sterben so dramatisch“, resümiert Markl. Am Tag nach der „Aida“ sollte Giuseppe Sinopoli nach Rom fliegen, um zu seinem Doktor der Medizin auch den für Archäologie verliehen zu bekommen. Diese letzte Reise trat er im Sarg an …


In memoriam Giuseppe Sinopoli: 21.4., 19.30 Uhr, Lukaskirche Dresden
MDR Figaro überträgt das Konzert live
www.staatskapelle-dresden.de
 

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