Den Eisernen Vorhang vom Osten her zu passieren, war nur herausragenden Künstlern möglich. Der am 17. Januar 2010 verstorbene Tenor Andrej Kucharsky hatte es schon in relativ jungen Jahren geschafft und blieb schließlich seit 1968 in Deutschland, wo er an nahezu allen bedeutenden Opernhäusern große Erfolge feiern konnte. Von 1987 bis 2004 unterrichtete er das Fach slawische Vokalmusik an der Münchner Musikhochschule. Am diesjährigen Dreikönigstag wäre er 80 Jahre alt geworden.
Mit seiner Passion zum slawischen Opern- und Liedfach wurde Andrej Kucharsky zum Botschafter osteuropäischer Kultur. Als Sohn der russischen Opernsängerin Valentina Kondratjewa und des slowakischen Offiziers Andrej Kucharsky am 6. Januar 1932 in Žilina (Slowakei) geboren, war er in enger Verbundenheit mit der slawischen Kultur aufgewachsen. Schon während seines Veterinärstudiums an der Universität in Košice (Kaschau) nahm er Gesangsunterricht, um anschließend an der Musikhochschule in Bratislava (Pressburg) als Schüler und Assistent von Emmerich von Godin Gesang zu studieren. Gemeinsam veröffentlichten sie 1960 auch das „Handbuch des Operngesanges Gesangsausbildung“ in slowakischer Sprache.
Schon bald konnte der Tenor Andrej Kucharsky seine ersten Wettbewerbserfolge feiern. Erste Preise errang er 1954 beim internationalen Wettbewerb Prager Frühling, 1955 beim Wettbewerb in Warschau, 1956 in Genf und 1957 in Moskau. Nach Abschluss des Studiums war ihm ein festes Engagement an der Staatsoper in Bratislava sicher, wo er 1956 als Lenski in Tschaikowskys „Eugen Onegin“ sein Bühnendebüt gab. Aufgrund dieser Erfolge ermöglichte Kucharsky aber auch ein staatliches Stipentium 1958/59 ein Weiterstudium an der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Dort arbeitete er in den Klassen von Tito Schipa und Tullio Serafin vor allem an italienisch-veristischen Opernrollen von Verdi und Puccini. Zurück in der Tschechoslowakei wurde ihm 1959 der Titel des Kammersängers verliehen.
Das russische Repertoire erweiterte Kucharsky indes während seines Engagements in der Sowjetunion, wo er unter anderem am Moskauer Bolschoj-Theater sang und den Tschaikowsky-Preis für die Interpretation des Hermann in „Pique Dame“ verliehen bekam. 1966 wurde er auch zum russischen Kammersänger ernannt. In allen übrigen Ländern des Ostblocks gastierte er dann von Bratislava aus, wo er von 1963 bis 1965 ansässig war. Anschließend folgten Engagements in Klagenfurt und Salzburg.
Mit dem BRD-Debüt 1966 an der Stuttgarter Oper in einer Tosca-Aufführung an der Seite von Sena Jurinac schlug Andrej Kucharsky ein neues Kapitel seiner Künstlervita auf. Ständige Gastaufträge an der Staatsoper München waren Folge des dortigen Erfolgs. So stand er wenige Wochen später neben Astrid Varnay als Turiddu in „Cavalleria Rusticana“ auf der Münchner Opernbühne. Kucharsky blieb in Deutschland, „legal aus der CSSR ausgewandert“, wie er in seinem Lebenslauf betonte. 1974 folgte die Einbürgerung in die BRD.
Eine feste Verpflichtung bekam Andrej Kucharsky 1968 an den Städtischen Bühnen in Dortmund. Dort wurde auch sein Sohn, der Geiger Boris Kucharsky geboren. 1977 entschied sich dann Andrej Kucharsky dafür, seine Karriere als freischaffender Künstler fortzusetzen, „mit Verpflichtungen in ganz Europa (u.a. auch in der CSSR)“, heißt es in seiner Vita. Die größten Erfolge in Westdeutschland feierte Andrej Kucharsky an der Deutschen Oper Berlin, an den Staatsopern von Hamburg, München und Stuttgart, an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, an den Opernhäusern von Frankfurt a.M., Köln und Nürnberg, in Kassel und Mannheim. Besondere Beachtung im Ausland fanden indes Gastspiele am Teatro Liceo Barcelona, in Basel und Genf.
1982 verlegte Andrej Kucharsky seinen Wohnsitz nach Oberhaching bei München. Fünf Jahre später trat er seinen Lehrauftrag an der Musikhochschule München an, wo er schließlich das Fach Slawische Vokalmusik begründete und als Professor bis 2004 leitete. „Andrej Kucharsky war mit ganzem Herzen Slawe. Er litt darunter, dass die slawische Musik und Literatur, ja die slawische Seele insgesamt, durch den eisernen Vorhang im Westen sehr vernachlässigt wurde“, formuliert Petra Kucharsky, die Ehefrau des Tenors. Weiterhin heißt es, ihm sei ebenfalls zu Verdanken, dass die Oper „Krútnava“ des slowakischen Nationalkomponisten des 20. Jahrhunderts, Eugen Suchoň, am Münchner Gärtnerplatztheater zur Aufführung gelangte. Wo er nur konnte, warb er für die slawische Kultur. Mit seinen umfangreichen Sprachkenntnissen – „Neben meinen beiden Muttersprachen Slowakisch und Russisch beherrsche ich auch Tschechisch, Jugoslawisch, Polnisch, Ungarisch, Englisch sowie einigermaßen Italienisch“, heißt es in seiner Vita – brachte er eine enorme Bandbreite der Möglichkeiten mit.
Aus Anlass des 80. Geburtstags von Andrej Kucharsky (Kucharskij) sendet der Bayerische Rundfunk am 8. Januar auf BR-Klassik um 20 Uhr Archivaufnahmen mit dem Tenor im „Sonntagskonzert da capo“.