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Georg Kreisler 2009. Foto: Wikimedia Commons
Georg Kreisler 2009. Foto: Wikimedia Commons
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„Nichtarische Arien“ für die Ewigkeit. Abschied von Georg Kreisler, dem großen bösen Mann des Wiener Cabaret

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Er war das dickköpfige Genie des Wiener Cabaret-Triumvirats Bronner-Qualtinger-Kreisler. Seine „alten, bösen Lieder“ wie „Tauben vergiften“ oder „Zwei alte Tanzen tanzen Tango“ wurden zu Klassikern. Und seine Stimme erklang in jedem musikalischen Haushalt in den 60er- und 70er-Jahren wie die von Franz Josef Degenhardt. Eine Woche nach dem „Väterchen Franz“ starb nun am Dienstag in Salzburg auch Georg Kreisler im Alter von 89 Jahren. Während der linke Liedermacher Degenhardt ein Nachfahre von Georges Brassens war, hatte der antikonformistische Kreisler seine Wurzeln im jüdischen Musikcabaret der Roaring Twenties. Und vielleicht war es kein Zufall, dass Friedrich Hollaenders älteste Tochter Philine seine erste Ehefrau wurde.

Es war eine kleine diskografische Sensation (die kaum einer bemerkte), als 2005 als „Zugabe“ zur ersten Biografie über den jüdischen Kabarettisten Georg Kreisler auf einer CD zum ersten Mal die sechs Lieder erschienen, die er 1947 in den New Yorker RCA-Studios aufgenommen hatte und die als verschollen galten. Ein kleiner Songzyklus, der das „link“ darstellt zwischen dem Wiener Cabaret der Vorkriegs- und Nachkriegszeit. Lieder wie „I Hate You“ oder „My Psychoanalyst Is An Idiot“ sind die Blueprints für all die großen „nichtarischen Arien“, die er bis zuletzt komponierte und textete. Und eine Nummer wie „Please, Shoot Your Husband“ war natürlich inspiriert von Billy Wilders Film-Noir-Klassiker „Double Indemnity“. Wilders Co-Autor Walter Reisch war der Cousin von Kreisler gewesen und durch ihn kam er nach dem „Anschluss“ 1938 als 16-Jähriger nach Hollywood. Dort hat er Anfang der vierziger Jahre Philine Hollaender geheiratet, die älteste Tochter des großen Cabaret-Tausendsassas Friedrich Hollaender.

Während sein Cousin Walter Reisch für die Garbo und Ernst Lubitsch das Drehbuch zu „Ninotschka“ schrieb und sein Schwiegervater Friedrich Hollaender für Warner Brothers komponierte – und privat als großer Erotomane schmutzige Lieder am Klavier sang – engagierte ihn ein winziges Filmstudio, „Boots and Saddles Pictures“. Wohl deshalb, weil ihr Präsident die Revolutionsetüde von Chopin liebte, wie sich Kreisler erinnert, und er sie spielen konnte: „Ich stellte hauptsächlich Verfolgungs- oder Liebespaarmusik zusammen, teilweise von Schallplatten, teilweise schrieb ich was dazu oder spielte es auf dem Klavier.“ Als musikalisches Mädchen für alles traf Kreisler schließlich auch Charlie Chaplin bei „Monsieur Verdoux“. Wie immer komponierte Chaplin die Musik für seinen Film selbst. Seine „Neger“, so Kreisler, mussten den Rest machen: „Er pfiff mir die Melodie vor, ich schrieb sie auf und brachte sie zu Hanns Eisler, der damals in Malibu lebte und sie instrumentierte.“ Im Vorspann des fertigen Films tauchte freilich keiner der beiden auf, Eisler wohl auch deshalb, weil er Kommunist war, und die McCarthy-Ära in den USA begann.

Ende 1946 begann Georg Kreisler in der New Yorker Clubszene sein Glück zu suchen. Und dort traf er dann auch bald den Mann, der ihn entscheidend prägen sollte. Nein, hier folgt nicht der Auftritt von Tom Lehrer, von dem er angeblich das „Tauben vergiften“ geklaut haben soll, obwohl dessen bizarres Chanson „Poisoning Pigeons In The Park“ erst 1959 auf Platte erschienen ist, drei Jahre nach Kreislers „Tauben“-Lied. Ein alternder Entertainer namens Murray Kane nahm ihn unter seine Fittiche, gegen 25 Prozent Provision. Aber dieses Geschäft lohnte sich für Kreisler: „Da lernte ich das Timing, den Gesichtsausdruck, die Gestik, die Lautstärke, die Akzente, die am Klavier zu setzen waren – es ist gar nicht zu beschreiben, wie viele Feinheiten und auch weniger feine Tricks er mir mühsam aufzwang. Bei jeder Zeile hatte er etwas auszusetzen, manchmal trieb er mich zur Verzweiflung, weil er mich bei jedem Wort unterbrach, wenn ich nicht auf die Sekunde genau seinen Vorschlägen folgen konnte. Und immer wieder betonte er, dass ein guter Komiker das Publikum zum Lachen bringen müsse, auch wenn seine Pointen schlecht oder gar nicht vorhanden waren.“

So wurde Georg Kreisler zum „amerikanischsten“ aller Wiener Kabarettisten der Nachkriegszeit, auch wenn er mit seinen makabren Liedern, die damals ja von RCA nie veröffentlicht wurden, in New York nie richtig ankam. Aber seine „Performance“ gefiel schon damals dem Publikum und der Presse. Bereits 1950 wurde er von der Showbiz-Gazette „Variety“ gelobt: „Georg Kreisler geht in intelligenter Weise an seine Themen heran. In seiner Musik steckt viel Raffinesse. Er hat einen ausgefeilten Stil des Vortrags. Das ist wie geschaffen für Eastsider.“ Fünf Jahre später war dieser Stil auch wie geschaffen für die Wiener Cabaret-Szene, die Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger gerade begannen, heftig aufzumischen. Nach ersten Auftritten in Bronners Marietta Bar schreibt der Musikkritiker Hans Weigel: „In einer Wiener Bar wirkt einer namens Georg Kreisler, der etwas unendlich Seltenes, Schwieriges, Köstliches und Kostbares beherrscht, eine wienerische Mischung aus Frank Wedekind, Maurice Chevalier und Kurt Weill. Geht hin und bewundert ihn! Und wenn nicht alles trügt, wird er bald sehr berühmt sein.“ Und er wurde berühmt, erst in der Bronner/Qualtinger-Cabaretrevue „Blattl vorm Mund“ (mit seinem berühmten „Karajanuskopf“ und dem „Triangel“) und später auch mit seinen „Everblacks“ wie „Opernboogie“, „Der Musikkritiker“, „Gelsenkirchen“ oder „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“.

Ende der fünfziger Jahre zog Kreisler mit seiner neuen Frau Topsy Küppers nach München um. Für sie schrieb er dann auch die wunderbare One-Woman-Show „Heute abend: Lola Blau“, die seit 1971 zum festen Repertoire vieler Diseusen gehört. Eine durch und durch amerikanische Show, die geprägt ist von seinen Erfahrungen nach dem „Anschluss“. Zieht man heute durch die „Medienkaufhäuser“ von Wien, jener Stadt aus der ihn die Nazis 1938 vertrieben haben, lächelt einen aus vielen Regalen sein gezeichnetes Gesicht an, auf dem Cover einer Wiederauflage seiner grandiosen „nichtarischen Arien“. Eine gute Entscheidung war das vom Hoanzl-Vertrieb, ausgerechnet diesen Kreisler-Liederzyklus auszuwählen für die neue „Best of Kabarett“-Reihe. Gewissermaßen als späte Rache. Was wäre das Wiener Cabaret ohne Kreisler gewesen?

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