Berlin - Wie viel Vielfalt passt in bürgerlich? Eine Antwort könnte Joe Chialo geben. Der frühere Ordensschüler, Hardrocker und Musikmanager soll Kultursenator in Berlin werden. Keine leichte Aufgabe, zumal Vorgänger Lederer als äußerst beliebt gilt.
Die Töne sind knallhart. Drums wie Schüsse, vom Gitarrenriff brutal aufgegriffen. Der Sänger steigt ein. Laut, nah, dunkle Sonnenbrille, Stimme zwischen schwarzem Funk und blanker Aggression. Passt alles zum Song «One By One». Die Band Blue Manner Haze schildert darin ein zu schnelles Leben. Der Mann am Mikro heißt Joe Chialo. Der Sänger der 1995 aufgelösten Band irgendwo zwischen Heavy Metal, Funk und Hip-Hop hat schon einige Stationen hinter sich gebracht. Nun wird er Kultursenator von Berlin. Parteibuch: CDU.
Kulturpolitik in der Hauptstadt ist oft mehr als nur Ländersache. Der millionenschwere Hauptstadtkulturfonds etwa wird von Bund und Land verwaltet. Zudem endet die Bundeskompetenz selbst bei sündhaft teuren Prestigeobjekten wie dem Humboldt Forum oder dem geplanten Museum des 20. Jahrhunderts jeweils an der Tür der Einrichtung. Inhaltlich und für den Bau ist dort der Bund am Zug, draußen - also bei allem, was die Einbeziehung der Umgebung angeht - ist wieder Berlin am Zug. Auch international viel beachtete Personalien wie etwa die Nachfolge von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden fallen in Chialos künftigen Aufgabenbereich. Davor hat Chialo «persönlich sehr viel Respekt».
Sollte die als konservativ geltende Berliner Union ihre Vielseitigkeit zeigen wollen, mit dem 52-jährigen scheint sie dafür die geeignete Personalie zu haben. 1970 wird er in Bonn in eine tansanische Diplomatenfamilie geboren. Abitur macht Chialo im Kölner Ordensinternat der Salesianer Don Boscos. Die Salesianer sehen sich als Helfer, Berater, Freunde. Der Verbund, der auf den italienischen Priester und Erzieher Johannes Bosco (1815-1888) zurückgeht, zählt sich zu den größten Männerorden der katholischen Kirche.
Auf Bass, Posaune und Chor im Internat folgen härtere Gerätschaften. Chialo macht eine Lehre als CNC Fräser, wo er den Umgang mit rechnergesteuerten Werkzeugmaschinen erlernt. Ein neuerlicher Schwenk steht mit dem Studium in Erlangen an: ein paar Semester geht es um Geschichte, Politik und wirtschaftliche Staatswissenschaften. In dieser Zeit entdeckt das musikalische Herz Chialos auch Metal. Blue Manner Haze bekommt rasch einen Plattenvertrag, Sänger Chialo lässt das Studium dafür sausen.
Mit dem Ende der Band steigt Chialo in die Kreativ- und Kulturwirtschaft ein mit Stationen in Köln, Amsterdam und München. 2002 wird er für Universal Music erst in Hamburg, später in Berlin aktiv. In dem Musikkonzern gründet er das Label Airforce1 Records, bei dem etwa die Kelly Family, Ben Zucker oder Matthias Schweighöfer unter Vertrag sind. Seit drei Jahren nennt sich der Musikmanager «Senior Vice President A&R Universal Music Central Europa & Africa». Er weiß um die wirtschaftliche Bedeutung der Branche. «Hier in Berlin geht es um richtig, richtig viel, wenn wir von der Kultur reden.»
Nicht nur im eigenen Laden gilt Chialo als kommunikativ und gut vernetzt. Die Verankerung in der Kulturszene dürfte ihm helfen. Sein Vorgänger Klaus Lederer ist bei vielen Kulturschaffenden sehr geschätzt. In der freien Szene wird der Linke-Politiker ebenso gefeiert wie in der Oper, gerade auch nach der Unterstützung in der Corona-Zeit. «Mir ist völlig klar, dass der scheidende Kultursenator hier in der Stadt eine große Beliebtheit hat und dass die kommenden Jahre voller Herausforderungen sein werden», sagt Chialo.
Parteipolitisch sind seine Erfahrungen bisher wenig ausgeprägt. Der verheiratete Vater einer Tochter geht 2016 in die CDU. Es ist seine Form der Unterstützung für die Flüchtlingspolitik der damaligen Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Chialo ist im Bundesvorstand, gehört zum Team von Kanzlerkandidat Armin Laschet, scheitert selbst als Direktkandidat für den Bundestag in Berlin-Spandau.
Chialo ist sportlich. Er läuft, im Tiergarten. Und boxt, auch schon mal in Afrika bei Habib Kinyogoli, Kapitän der Olympiamannschaft aus Tansania bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Chialo postet sowas auf Instagram: «Ich habe mich sehr gefreut, dass ich mit ihm in Daressalam Trainingseinheiten absolvieren durfte.»