Der Komponist Josef Anton Riedl erhält den Preis der Christoph und Stephan Kaske-Stiftung +++ Zum Tode von Hans Landesmann +++ Zum Tode der israelischen Pianistin und Pädagogin Edith Kraus +++ Unser Mann am Klavier: Swinglegende Paul Kuhn +++ Udo Zimmermann wird 70
Experimentator maximus Münchens – Der Komponist Josef Anton Riedl erhält den Preis der Christoph und Stephan Kaske-Stiftung
Seit 1988 wird die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichung an Interpreten und Komponisten zeitgenössischer Musik vergeben. Am 19. September 2013 wurde der 1929 in München geborene Josef Anton Riedl mit einem Festakt im Südlichen Schlossrondell der Carl Friedrich von Siemens Stiftung geehrt.
Der „Experimentator maximus Münchens“ – so Wolfgang Schreiber in seiner Laudatio – war ein Pionier des Neuen und Überraschenden in der Welt der Klänge. Er betonte Riedls rastlose Suche nach innovativen Formen, Materialien und Klängen und gleichzeitig die Ruhe, die Riedl inmitten einer aufbrechenden musikalischen Szene ausstrahlte. Gerade die Musikstadt München verdanke Riedl ihr vielfältiges Angebot an experimenteller Musik.
Neben seinem Studium an der Münchener Musikhochschule besuchte Riedl Kurse bei Hermann Scherchen und lernte in dessen Studio die Klangspektren der elektronischen Musik kennen, die er Zeit seines Lebens immer wieder erforschte. Anstoß zur Beschäftigung mit dem Schlagwerk und perkussiver „Nicht-Instrumente“, zum Beispiel in seiner Paper Music, gab sein Förderer Carl Orff. 1959 wurde Riedl musikalischer Leiter des unter anderem von Carl Orff initiierten Siemens-Studios für elektronische Musik. Weitere Anregungen erhielt er durch Pierre Schaeffer und die Musique concrète. Auch seine Tätigkeiten als Konzertveranstalter stellte Riedl ganz in den Dienst der zeitgenössischen Musik. Mit seiner Reihe „Neue Musik München/Klang-Aktionen“ prägte er das kulturelle Leben Münchens genauso wie in seiner Zeit als Programmgestalter der „musica viva“. Zahlreiche Ur- und Erstaufführungen internationaler Künstler fanden dank Riedls Engagement in der bayerischen Hauptstadt statt.
Im Rahmen der Preisverleihung führten die Musiker Thomas Hastreiter und Erina Goto zusammen mit Cornelius Hirsch und Siegfried Mauser „pup-puplopopulop“, eine Auswahl an instrumentalen und vokalen Lautgedichten, auf – moderiert von dem künstlerischen Weggefährten Riedls, Cornelius Hirsch. Riedls Musik sei immer „ein anderer Weg gewesen, ein Suchen zwischen den Grenzen“, so Mauser in seiner Begrüßungsrede. Auch die Lautgedichte zeigten Grenzüberschreitungen zwischen perkussiven Klängen, Performances und Lautpoesie.
Neben der Verleihung des Hauptpreises an Josef Anton Riedl vergab die Kaske-Stiftung erstmals zwei Förderpreise an junge Künstler. Geehrt wurden Nico Sauer und Luis Codera Puzo – beide Schüler von Wolfgang Rihm, Mitglied des Stiftungsbeirats –, deren Werke den Festabend beschlossen. [Jelena Rothermel]
Weltbürger der Musik – Zum Tode von Hans Landesmann
Als wir ihn bei der Biennale in Salzburg in diesem Frühjahr trafen, wirkte er zwar leidend, doch lächelte er unverändert liebenswert, so wie man ihn seit Jahrzehnten kannte. Es waren ja auch nur gute Erinnerungen, die an Hans Landesmann im Gespräch wieder lebendig wurden. Und über die ständigen Querelen heute bei den Salzburger Festspielen schüttelte er, ebenfalls lächelnd, bloß den Kopf. Das war damals, als er von 1992 bis 2001, zusammen mit Gerard Mortier, die Festspiele leitete, geradezu paradiesisch anders.
Landesmann agierte als kaufmännischer Direktor, übernahm aber gleichzeitig, was ihm besonders am Herzen lag: das Konzertdepartment. „Salzburg modern” lautete die Parole. Neue Musik erklang nicht nur in Spezialistenkonzerten, sondern durchwirkte das ganze Programm. Boulez dirigierte die Wiener Philharmoniker, den Freund Pollini animierte er zu zwei großen „Progetti” über seine musikalische Weltsicht, die „Next Generation” diente besonders der jungen österreichischen Komponistengeneration als Forum. Und die Integration des von Markus Hinterhäuser gegründeten „Zeitfluss”-Festivals durfte man als Großtat bezeichnen – man denke nur an die grandiosen Aufführungen von Luigi Nonos „Prometeo” in der Salzburger Kollegienkirche. Landesmann, in Wien am 1. März 1932 geboren, trat nach einem Musikstudium und dem Studium der Chemie (an der Sorbonne und der Columbia University NewYork) zunächst in das Familienunternehmen Alexander Landesmann ein – was ihn nicht hinderte, von 1964 bis 1983 in verschiedenen Funktionen der Musik zu dienen, zuletzt als Generalsekretär der Wiener Konzerthaus-Gesellschaft. Die Liste seiner künstlerischen Aktivitäten ist lang: Er war Mitbegründer des „Wien Modern”-Festivals, Gründer des Gustav-Mahler-Jugendorchesters. Als Berater setzte er sich für das Barbican Centre ein, organisierte diverse Musikfestivals in London, in Brüssel und die „Mondseer Musiktage”. Nachdem seine Salzburger Festspielzeit vorüber war, ging Landesmann nach Wien als Musikchef der dortigen Festwochen, und auch Salzburg ließ er nicht aus dem Blick: Dort gründete er 2007 die Biennale für Neue Musik.
Jetzt ist Landesmann am vergangenen Mittwoch auf dem Weg nach Salzburg einem Herzstillstand erlegen.
Im Zeitalter der Musikmanager wirkte eine Gestalt wie Hans Landesmann immer wie eine schöne Erinnerung an bessere Zeiten, als Musik wie eine Selbstverständlichkeit im Zentrum menschlichen Lebens stand. Der Musikweltbürger Hans Landesmann war ein wunderbarer Liebhaber der Frau Musica und zugleich ihr gehorsamster Diener und Spiritus Rector. Seine Autobiographie trug deshalb auch zu Recht den nietzsche-anischen Titel: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum”.
[Gerhard Rohde]
Leiser geht immer – Zum Tode der israelischen Pianistin und Pädagogin Edith Kraus
Am 3. September 2013 starb in Jerusalem nach kurzer schwerer Krankheit im Kreise ihrer Nächsten die Pianistin und Pädagogin Edith Kraus. Noch vor vier Monaten, im Mai dieses Jahres, hatte sie sehr vergnüglich und im großen Stile ihren 100. Geburtstag gefeiert.Edith Kraus wurde 1913 als eine Großnichte Gustav Mahlers in Wien geboren, wuchs in Karlsbad auf und galt schon früh als Wunderkind. Im Alter von 13 Jahren ging sie auf Empfehlung Alma Mahlers als jüngste Meisterstudentin zu Artur Schnabel nach Berlin. Dort beendete sie bereits 1930 ihre Studien und wirkte als Pianistin in Prag, bis der Einmarsch der Nationalsozialisten ihrer Karriere ein Ende bereitete. Inhaftiert im Getto Theresienstadt war sie dort eine der angesehensten und aktivsten Pianistinnen, sie spielte zwischen 1942 und 1945 über 300 öffentliche Konzerte. Viktor Ullmann bat sie darum, seine 6. Klaviersonate in Theresienstadt uraufzuführen, auch Pavel Haas, Alice Herz-Sommer, Karel Berman und viele weitere prominente Häftlinge gehörten zu ihrem engsten Bewunderer- und Freundeskreis. Wie durch ein Wunder entkam Edith Kraus der Deportation nach Auschwitz, sie wurde 1945 befreit und kehrte zunächst nach Prag zurück. Erneut aufkommender Antisemitismus veranlasste sie, zusammen mit ihrem zweiten Mann und der gemeinsamen kleinen Tochter 1948 nach Israel auszuwandern. Es folgten viele - inzwischen verschollene – Mitschnitte des israelischen Rundfunks, eine rege Konzerttätigkeit innerhalb Israels und ein vielfältiges pädagogisches Engagement. So lehrte sie bis zu ihrer Pensionierung an der Musik-akademie in Tel Aviv und während einer Gastprofessur in den siebziger Jahren an der University of Western Ontario in Kanada.
Im hohen Alter von 80 Jahren nahm Edith Kraus in einer vielbeachteten Einspielung der Edition Abseits Berlin die ersten vier Klaviersonaten von Viktor Ullmann in einem Prager Studio auf, doch während weiterer Planungen zur Einspielung des Klavierwerks Erwin Schulhoffs erlitt sie einen Schlaganfall, der ihr als Spätfolge die virtuosen Fähigkeiten ihrer linken Hand nahm.
Eine Dekade später, in den Jahren 2002 und 2004 kam sie erstmals wieder nach Deutschland und nahm an dem Festival Verfemte Musik in Schwerin aktiv als Jurorin und Pädagogin teil. Sie unterrichte zuletzt vor allem israelische und deutsche Studenten bei den internationalen Meisterkursen History, Music & Remembrance, die in Givat Chaim Ichud, Israel, sowie in Prag und Schwerin zwischen 1999 und 2003 stattfanden. Ihr ganz persönliches Anliegen nach 1945 war die Vermittlung der Werke ihrer beiden Lieblingskomponisten Viktor Ullmann und Pavel Haas, mit denen sie intensiv in Theresienstadt zusammengearbeitet, und deren Klavierkompositionen sie selbst auf CD eingespielt hatte, um sie so vor dem Vergessen zu bewahren. Beide waren in Auschwitz ermordet worden.
Edith Kraus diente gänzlich ohne Starallüren und persönlichen Eitelkeiten nur der Musik. Schwerpunkte ihrer künstlerischen und pädagogischen Arbeit bildeten die Wiener Klassik und die Musik des 20. Jahrhunderts, beides vermittelte sie überzeugt und leidenschaftlich. Sie stand hierin ganz in der Tradition des großen Artur Schnabels. Aus dem Nahen Osten brachte sie uns zur Jahrtausendwende fast neunzigjährig als begnadete Pädagogin ein großes Stück europäischer Klaviertradition zurück, das durch die Zeit des Nationalsozialismus unwiderruflich zerstört gewesen zu sein schien. So lautete ihr Credo „Leiser geht immer“, befragte man sie zur adäquaten Behandlung der dynamischen Spannbreite auf dem modernen Konzertflügel. [Friederike Haufe]
Unser Mann am Klavier: Swinglegende Paul Kuhn
Paul Kuhn, geboren am 12. März 1928 in Wiesbaden, war ein vielseitiger Künstler: Während des Zweiten Weltkrieges spielte Kuhn bei der Truppenbetreuung im besetzten Frankreich. Dann kam der „echte“ Jazz: Nach dem Krieg spielte Kuhn im Club der amerikanischen Streitkräfte in Heidelberg. Die Amerikaner besorgten Kuhn die in Deutschland raren Noten, stellten ihn dann sogar fest im Sender AFN (American Forces Network) an. Er spielte die Überleitungen zwischen den Sendungen am Klavier – „We take over to studio B. Paul Kuhn is ready to play for you ‚Night and Day‘“. In dieser Zeit erarbeitete Kuhn sich sein beeindruckend großes Repertoire an Standards, mit denen er vor allem im Nachkriegs-Berlin Karriere machte. Doch er blieb dem Jazz nicht treu: „Paulchen“ Kuhn machte Unterhaltungsshows im deutschen Fernsehen wie „Pauls Party“, ab 1968 war er Bigband-Leader des damaligen Senders Freies Berlin (SFB) mit zahlreichen Schallplattenaufnahmen. Kuhn verkörperte ein gutes Stück Fernsehunterhaltung und Showgeschichte der alten Bundesrepublik. Ende der 90er-Jahre kehrte er zu seinen Jazzwurzeln zurück und tourte hauptsächlich mit dem Paul Kuhn Trio (Willy Ketzer am Schlagzeug sowie Martin Gjakonovski oder auch Gary Todd am Bass). Seit Sommer 2000 war der ehemalige Leader häufig mit der SWR Big Band unterwegs. Mit zwei weiteren Junggebliebenen, dem Tenorsaxofonisten Max Greger (geb. 1926) und dem Klarinettisten Hugo Strasser (geb. 1922) mischte Kuhn das Publikum auf, meist junges Gemüse zwischen 40 und 60. Am 23. September ist Paul Kuhn im Alter von 85 Jahren gestorben. [ak]
Mehr Zimmermann, bitte!
Udo Zimmermann wird 70: Mein Gott, das pusseln landauf landab die Intendanten, Musikdirektoren, Festivalchefs eifrig vor sich hin, jammern über gekürzte Etats, den Unverstand der Politiker, das Publikum, das sich wenig für alles Moderne interessiert. Und setzen unentwegt Bewährtes auf ihre Spielpläne. Da kommt der siebzigste Geburtstag Udo Zimmermanns gerade recht, um daran zu erinnern, was eigentlich einen kreativen, inspirierenden und vor allem verantwortungsvollen Künstler auszeichnet: Fantasie, Wagemut, Nach-vorn-Blicken, weil jede künstlerische Arbeit stets auch etwas mit der Gestaltung unserer Zukunft zu tun hat. Nur das ist wahre Produktivität, alles andere G‘schaftlhuberei.
Die Vita des Komponisten, Dirigenten, Intendanten Udo Zimmermann ausführlicher zu beschreiben, würde mehrere Zeitungsseiten beanspruchen. Am 6. Oktober 1943 in Dresden geboren, wuchs Zimmermann in der DDR auf, was ihn nicht hinderte, sich von Strawinsky, Henze, Penderecki und Lutoslawski beeinflussen zu lassen. Für die musikalische Moderne war und ist Udo Zimmermann ein leuchtendes Vorbild: als Leipziger Opernintendant, als Leiter der Münchner Musica Viva und des Festspielhauses Hellerau – und als Komponist hat er gezeigt, worauf es in der Kunst ankommt: unablässig nach dem höheren Sinn des Lebens zu fragen. gr