Als Pianist spielte Alfred Brendel rund um den Globus Konzerte in ausverkauften Häusern. Als Autor erfreut er seine Leser mit klugen Analysen und groteskem Humor.
Einen einzelnen Höhepunkt in seiner langen Karriere vermag Alfred Brendel nicht auszumachen. „Ich bin dankbar dafür, dass ich mich über 60 Jahre hinweg ohne Überstürzung entwickeln konnte“, sagt der renommierte österreichische Pianist und Autor vor seinem 90. Geburtstag (5.1.) der Deutschen Presse-Agentur. Brendel gilt als einer der bedeutendsten Musiker des 20. und 21. Jahrhunderts und wirkt doch beinahe bescheiden. „Ich war weder ein Wunderkind, noch hatte ich eine allzu frühe sensationelle Karriere auszustehen.“
Die Operettenarie „Ob blond ob braun“ und das Berliner Chanson „Ich reiß mir eine Wimper aus/Und stech Dich damit tot“, gesungen von seiner Mutter, waren die ersten musikalischen Eindrücke des jungen Brendel. Geboren wurde er am 5. Januar 1931 in Wiesenberg, das heute zu Tschechien gehört. „Meine Eltern waren nicht musisch“, erinnert sich Brendel, „aber es gab zu Hause einen Flügel, und ich bekam Klavierstunden, wie es sich für eine bürgerliche Familie gehört.“
Seine Familie, die zeitweise in Jugoslawien lebte, kehrte nach dem Krieg nach Österreich zurück. Dort nahm Brendels Karriere ihren Lauf. „Mit sechzehn sagte meine Lehrerin, ich könne mich nun allein fortbewegen, solle einen ersten Klavierabend geben, und dem großen Pianisten Edwin Fischer vorspielen“, erzählt Brendel. „Von meinem siebzehnten bis zum siebenundsiebzigsten Jahr gab ich Konzerte.“
In den 50er Jahren erlangte er als Konzertpianist internationales Ansehen. In dieser Zeit machte er auch seine ersten Aufnahmen, denen über die Jahrzehnte unzählige Tonträger folgten. Brendels Interpretationen von Haydn, Mozart, Beethoven oder Schubert wurden weltberühmt. Schuberts Musik sei für ihn „die am unmittelbarsten berührende“, sagt er, die Gesamtheit seiner Lieder sei „einer der Gipfel der Musik“.
Dem Werk und der Absicht seines Komponisten gerecht zu werden, war dem Pianisten, den die „Süddeutsche Zeitung“ einmal als „Lordsiegelbewahrer der Klassik“ bezeichnete, das höchste Anliegen.
In seinem Buch „Nach dem Schlussakkord“ entschuldigt sich Brendel – wohl auch mit einem Augenzwinkern – bei den Komponisten „für alles, was ich ihnen angetan habe“. Weiter schreibt er: „Dem Werk gerecht zu werden, ist schwierig genug, gelingt selten genug und ist, wie ich finde, aufregend genug.“
Geholfen habe ihm dabei ein Ratschlag, den er in seiner Jugend erhalten hatte – selbst komponieren zu lernen. „Diesen Rat möchte ich auch heute meinen jungen Kollegen ans Herz legen“, betont Brendel. „Die Erfahrung, ein Musikstück zum ersten bis zum letzten Ton zu führen und niederzuschreiben, wird dem Interpreten helfen, fremde Texte besser zu verstehen.“
Neben dem Spielen und dem Komponieren zählen die Malerei und besonders das Schreiben – „mein zweiter Lebenszweck“ – zu Alfred Brendels Leidenschaften. Er schrieb zahlreiche Bücher und Essays über Musik, dazu skurrile Gedichte, etwa über „ein Speckschwein, ein richtiges Speckschwein“, das täglich bei ihm anruft. „Grunzend erzählt es mir sein Leben, wühlt metaphorisch gesprochen im eigenen Schlamm.“ Das Lachen ist auch eine Leidenschaft Brendels.
Seine gefeierten Konzertreisen führten den vielfach ausgezeichneten Musiker sechs Jahrzehnte lang um den Globus. Am besten habe es ihm dort gefallen, „wo die Säle am schönsten klingen“ und „wo alte und neue Musik aufgeführt wird“, sagt Brendel und fügt hinzu. „Und wo das Publikum am wenigsten hustet.“ Der Ausnahmepianist war bekannt dafür, auch mal ein Konzert zu unterbrechen, wenn ihn das Husten zu sehr störte.
Seit den 70er Jahren lebt der Familienvater, der in zweiter Ehe verheiratet ist, in London. „Wien war damals provinziell. Ich sehnte mich nach einer großen lebendigen Stadt. Aber es gab auch persönliche Gründe“, sagt er kurz vor dem Brexit. „Und ich hatte große Hoffnungen für das nicht mehr so große Britannien innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben mich allerdings ernüchtert.“
Im Dezember 2008 verabschiedete sich Alfred Brendel endgültig vom Konzertpodium. „Es wäre schön, wenn die eine oder andere meiner eigenen Aufnahmen auch in Zukunft ihre Hörer fände“, wünscht er sich fast zu bescheiden. Aktiv blieb er nach dem Abschied von der Bühne weiterhin und will es auch in den kommenden Jahren bleiben.
„Schreiben – das geht auf jeden Fall“, sagt er und verrät seine weiteren Pläne: „Vorträge halten, Quartette beraten, zu reisen, wenn Covid das gestattet, und im Sommer am Altausseer See auszuatmen.“