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Premiere mit Dylan: Literaturnobelpreis für einen Rock-Poeten. Foto: Lieberwirth
Premiere mit Dylan: Literaturnobelpreis für einen Rock-Poeten. Foto: Lieberwirth
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Premiere mit Dylan: Literaturnobelpreis für einen Rock-Poeten

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Berlin - Rund 20 Jahre lang wurde Bob Dylan mit schöner Regelmäßigkeit für den Nobelpreis vorgeschlagen, doch stets ging der Kandidat leer aus. Zu gewagt erschien es wohl der Jury, einem Musiker - und sei es auch der berühmteste Songschreiber der Welt - die höchste Literaturauszeichnung zuzuerkennen. Nun hat sie sich getraut, jetzt hat der Rock-Poet wirklich alles erreicht. Damit haben freilich diesmal favorisierte Romanautoren und Dramatiker das Nachsehen, was bei einer Reihe von Literatur-Puristen zumindest Stirnrunzeln hervorrief.

Der 75-jährige Dylan erhalte den Nobelpreis für seine «poetischen Neuschöpfungen» in der großen amerikanischen Songtradition, gab die Jury am Donnerstag bekannt. Manche rümpften die Nase und fragten, ob diese Songtexte nun hohe Literatur im eigentlichen Sinn seien. Konnte die Jury diesmal wirklich keinen «echten» Schriftsteller finden, dessen literarische Leistungen höher zu bewerten sind als die des kauzigen alten Sängers mit der Krächzstimme?

Von solchen Skeptikern (und manchen enttäuschten Verlegern) abgesehen, erkennen viele Experten gut 50 Jahre nach Dylans Karrierestart aber wohl an, dass der Autor von Folk-, Blues- und Rock-Lyrik wie «The Lonesome Death Of Hattie Carroll», «Like A Rolling Stone» oder «Visions Of Johanna» ein würdiger Preisträger ist. Den Pulitzer-Preis für «lyrische Kompositionen von außerordentlicher poetischer Kraft» hatte er ja bereits.

Den Nobelpreis bekomme Dylan für den weltliterarischen Anspruch seiner Songs, sagte Heinrich Detering, Präsident der Akademie der deutschen Sprache und Dichtung und Dylan-Biograf, dem Deutschlandradio Kultur. «Eine schöne Entscheidung», denn wie kein anderer Musiker verstehe es Dylan, den Unterschied zwischen Lyrik und musikalischen Lyrics zu verwischen. So habe er etwa Zitate von Homer und Ovid in seinen Texten kunstvoll verarbeitet. Dylan selbst bezog sich im Vorjahr bei einer Preisverleihung auf die Mysterienspiele von William Shakespeare.

Der Nobelpreis komme auch «zu einem sehr richtigen Zeitpunkt, weil es scheint, als hätte Dylan sein facettenreiches Werk im Wesentlichen abgeschlossen», sagte Detering. Und Deutschrock-Poet Heinz Rudolf Kunze jubelte mit Blick auf frühere, eher unbekannte Gewinner: «Es war höchste Zeit, dass mal wieder jemand den Preis bekommt, der Millionen Menschen erreicht hat.»

Seinen Ruf als Revolutionär der Folk- und Rockmusik, aber auch als Literat unter den Songschreibern erwirbt sich Dylan Anfang der 60er Jahre, als er die Zeichen einer unruhigen Zeit richtig deutet. Seinen Start beschreibt er später in der literarisch anspruchsvollen Autobiografie «Chronicles» (2004) so: «Amerika wandelte sich. Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung.»

Noch unter seinem Geburtsnamen Robert («Bobby») Allen Zimmerman spielt der aus Duluth/Minnesota stammende Dylan zunächst in regionalen Highschool-Bands Rock'n'Roll. Er benennt sich alsbald um - vermutlich nach einem literarischen Idol, dem walisischen Dichter Dylan Thomas. Sein Faible für die neue Folk-Bewegung entdeckt der aus einer jüdischen Familie stammende junge Mann 1959 in Minneapolis. Dann treibt ihn besagter «Strom der Veränderung» in den New Yorker Szene-Stadtteil Greenwich Village.

Der Erfolg stellt sich mit dem Song «Blowin' In The Wind» (1963) ein. Wütende Lieder wie «Masters Of War» oder «A Hard Rain's A-Gonna Fall» qualifizieren Dylan für die weltweite Jugend- und Protestbewegung. Doch weder die Rolle eines Folk-Idols mag Dylan auf Dauer annehmen noch die der politischen Symbolfigur. Also mutiert er zum zweiten Mal - diesmal zum Rockmusiker mit elektrischer Gitarre. Für seinen «Verrat» am akustischen Folk wird er von Fans als «Judas» beschimpft.

Aber Dylan lässt sich nicht beirren, komponiert und textet Mitte, Ende der 60er Klassiker in Serie: Alben wie «Bringing It All Back Home», «Highway 61 Revisited», «Blonde On Blonde», weltkluge Songs wie «Desolation Row» oder «Like A Rolling Stone», den das (danach benannte) Fachblatt «Rolling Stone» später zum besten Lied aller Zeiten kürt. Seine mit Metaphern, Symbolen und Anspielungen durchsetzten Lyrics sind von beispielloser Qualität.

Nach einem Motorradunfall im Sommer 1966 zieht sich Dylan aus der Öffentlichkeit zurück und lebt mit seiner Ehefrau Sara Lowndes und den gemeinsamen Kindern in der Nähe von Woodstock bei New York. Als dort 1969 das wichtigste Festival des Jahrzehnts über die Bühne geht, ist ausgerechnet der neben den Beatles und den Rolling Stones wichtigste Rock- und Pop-Pionier nicht dabei.

Die 70er Jahre sind eine wechselvolle, schwierige Zeit für Dylan: die Trennung von Sara Lowndes, künstlerische Stagnation (abgesehen vom Album «Blood On The Tracks» und in Teilen «Desire»). Auch für die 80er fällt die Bilanz eher durchwachsen aus: Auf der Habenseite stehen immerhin Erfolge mit der All-Star-Band Traveling Wilburys und der Beginn der «Never Ending Tour», einer bis heute andauernden Konzertreise rund um den Erdball mit 100 Autritten pro Jahr.

Dylans künstlerische Rehabilitierung kommt 1997 mit dem ersten großen Alterswerk «Time Out Of Mind» - einer Platte voller düsterer, anspruchsvoller Texte, die zu seinen besten zählen. Seitdem hat er einen Lauf, setzt alle paar Jahre Ausrufezeichen wie «Modern Times» (2006) oder das erneut von literarischen, geschichtlichen und biblischen Anspielungen wimmelnde «Tempest» (2012). Seine Alben steigen in den Charts so hoch wie nie zuvor. Rund 100 Millionen Tonträger soll Dylan verkauft haben.

Die Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: neben den Literaturpreisen elf Grammys, ein Song-Oscar, die von Barack Obama höchstpersönlich verliehene «Presidential Medal of Freedom». Der US-Historiker Sean Wilentz, Autor des Buchs «Bob Dylan und Amerika», sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Seine Arbeit, damals wie heute, inspiriert, gefällt, unterhält und baut Menschen weltweit auf. Er ist ein großartiges amerikanisches Kulturgut.»

Allemal Grund genug, den Dichter Dylan mit den höchsten Weihen zu ehren - auch wenn Literaturkritiker Denis Scheck von einem «Späßken» spricht. Um es mit den Worten von Außenminister und Rock-Fan Frank-Walter Steinmeier zu sagen: «Die Stockholmer Jury hat eine mutige Entscheidung getroffen, mit der sie auch in diesem Jahr wieder die Genregrenzen sprengt. Sie ehrt einen der größten Musiker des 20. Jahrhunderts, der wie kein anderer Millionen Menschen auf der ganzen Welt mitgerissen und mit seinen Texten und ihren tiefen Wahrheiten direkt ihre Herzen erreicht hat.»

 

Jubel und Enttäuschung über Literaturnobelpreis für Bob Dylan

Die Vergabe des Literaturnobelpreises an Bob Dylan hat viele Prominente überrascht. Einige sind voll des Lobes, andere wundern sich über die höchste Literaturauszeichnung der Welt für einen Musiker. Eine Auswahl von Zitaten vom Donnerstag:

«Glückwunsch! «Blowing in the wind» habe ich als 13-jähriger auf Konfirmandenfreizeit auf Ameland gelernt. Und: ich kann es noch singen.»

(Der SPD-Vorsitzende, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Donnerstag bei Twitter)

 

«A welcome surprise! Nobel Prize to Bob Dylan celebrates poetic and engaged contribution to music and Literature over the last half century» (Eine willkommene Überraschung. Der Nobelpreis für Bob Dylan feiert einen poetischen und engagierten Beitrag zu Musik und Literatur im letzten halben Jahrhundert)

(EU-Parlamenstpräsident Martin Schulz am Donnerstag bei Twitter)

 

«Die Stockholmer Jury hat eine mutige Entscheidung getroffen, mit der sie auch in diesem Jahr wieder die Genregrenzen sprengt. Sie ehrt einen der größten Musiker des 20. Jahrhunderts, der wie kein anderer Millionen Menschen auf der ganzen Welt mitgerissen und mit seinen Texten und ihren tiefen Wahrheiten direkt ihre Herzen erreicht hat.»

(Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in einer schriftlichen Stellungnahme des Auswärtigen Amtes)

 

«Gelegentlich erlaubt sich die Akademie ein «Späßken». Die Auszeichnung von Bob Dylan ist genauso ein Witz wie es die von Dario Fo war. Am besten, man lacht mit.»

(Literaturkritiker Denis Scheck in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur)

 

«Noh all dänne Johre.....endlich: Bob Dylan bekommt den Literaturnobelpreis. Ich freue mich riesig !»

(Die Kölsch-Rock-Band BAP auf ihrer Facebookseite)

 

«?Niemand bestreitet, dass er ?ein genialer Musiker und ein großer Dichter ist, ich selbst habe ihn übersetzt (...) Aber es tut mir so Leid um die wahren Schriftsteller, Adonis, Ngugi, DeLillo und weitere 2-3, die den Preis beinahe in der Tasche hatten.»

(Der rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu bei Facebook)

 

«Don't think twice it's all right.»

(Deutschrocker Peter Maffay reagierte mit dem Titel eines Dylan-Songs).

 

«Ich habe den Eindruck, dass die schwedische Akademie seit einiger Zeit sich interesant machen will und zwar durch besonders ausgefallene und extravagante Namen, die sie da kürt. (...) Selbstverständlich sind Liedtexte, gerade die von Bob Dylan, natürlich wunderbar (...). Nur: Diese Texte sind keine eigenständige Lyrik, denn sie funktioneren nur, wenn sie gesungen sind.»

(Literaturkriterin Sigrid Löffler bei MDR aktuell)

 

«Ich finde es gut, wenn auch obskure Autoren den Preis bekommen, aber es war höchste Zeit, dass mal wieder jemand den Preis bekommt, der Millionen Menschen erreicht hat. Seit meiner Studentenzeit war er für mich eine Messlatte und ein Trost. Er hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, komplexe Texte mit Musik zu verbinden - man kann damit Menschen erreichen.»

(Der Deutsch-Rocker Heinz Rudolf Kunze im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur)

 

«Hat es das schon mal gegeben...? Den Literaturnobelpreis für einen Singer-Songwriter...? Egal - ich finde es wunderbar, dass Bob Dylan diesen Preis bekommt. Nichts könnte gerechtfertigter sein als die Vergabe des bedeutendsten Literaturpreises an den (meiner Meinung nach) größten lebenden Songpoeten der Welt.»

(Liedermacher Hannes Wader in einem schriftlichen Statement)

 

«Es ist eine große Genugtuung, dass endlich der überragende Vertreter der modernen Musikkultur und einer der größten Rockpoeten mit dem Nobelpreis Literatur geehrt wurde. Das war längst überfällig.»

(Konzertveranstalter Marek Lieberberg)

 

«Ich bin ein Dylan-Fan, aber dies ist ein schlecht durchdachter Nostalgie-Preis, herausgerissen aus den ranzigen Prostatas seniler, sabbernder Hippies.»

(Der britische Schriftsteller Irvine Welsh («Trainspotting») bei Twitter)

 

 «Etwas Gutes inmitten dieser Sintflut schlechter Nachrichten. Gut gespielt, Bob.»

(Der ehemalige englische Fußballnationalspieler Gary Lineker bei Twitter)

 

«die chancen für mich, den Nobelpreis in Physik zu bekommen, haben sich gerade dramatisch erhöht»

(Schriftstellerin Sibylle Berg bei Twitter)

 

«Auch beim Literaturnobelpreis gilt: The times they are changing.»

(Der frühere Universal Music Geschäftsführer und heutige Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner in Anspielung auf den Dylan-Song «The Times they are a-changin'»))

 

«Endlich!!!»

(Schauspieler Armin Rohde bei Twitter)

 

 «Bob Dylan, Booooooob Dylan, Bobdylan!»

(TV-Moderator Jan Böhmermann bei Twitter)

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