Als im vergangenen Jahr Bob Dylan der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wurde, war das sehr umstritten. Besonders ein Name tauchte immer wieder als Alternative auf: Chuck Berry, der gerade seinen 90. Geburtstag gefeiert hatte. Und der in Kritikerkreisen schon seit langer Zeit als der „Poet Laureate“ des Rock’n’Roll galt.
Geboren 1926 in St. Louis, Missouri, gestorben 2017 in St. Charles, Missouri: Chuck Berry war durch und durch ein Musiker des amerikanischen Südens. Wie kein zweiter verschmolz er den Hillbilly-Groove mit Rhythm’n’Blues. Über den Umweg Chicago hat er die Welt erobert. 1955 ist er dort in den Studios der legendären jüdischen Chess-Brüder aufgekreuzt, dem musikalischen Biotop von Blues-Musikern wie Muddy Waters oder Howlin’ Wolf. Eine alte Country-Swing-Nummer von Bob Wills, „Ida Red“, hat er sofort in einen klassischen Chuck-Berry-Song verwandelt: „Maybellene“. Ein Blueprint für all das, was da noch kommen würde. Im hämmernden Gitarrenrhythmus erzählt er von Liebe und Eifersucht, schnellen Autos und Verfolgungsjagden. Und das auf eine unglaublich „elegante“ und ökonomische Weise. Pure Teenagermusik, die wirklich an das große enigmatische Motto von Walt Whitman erinnert, „I sing the body electric“. Chuck Berry eroberte damit jedenfalls 1955 die Rhythm’n’Blues-Charts. 1972 schließlich schaffte er es auch zugleich, die Topposition der US-Pop-Hitparade und der britischen Charts zu besetzen, mit einem schmutzigen Liedchen namens „My Ding-a-Ling“. Seine „klassische“ Chess-Phase freilich war da längst vorbei gewesen.
Die Zeit dazwischen hatte er in den Studios, auf den Bühnen der Welt (im „Duck-Walk“!) und im Knast verbracht. Und er war zum Idol geworden für Teenager und Musiker wie Bob Dylan, Keith Richards oder Paul McCartney, die in ihm alle den größten amerikanischen Dichter sahen. Die ersten Langspielplatten der Beatles und der Rolling Stones waren gespickt mit seinen Liedern: „Roll Over Beethoven“, „Rock And Roll Music“ oder „Carol“, „Around And Around“, „You Can’t Catch Me“. John Lennon hat später gesagt, wenn man Rock’n’Roll einen anderen Namen geben müsste, sollte man ihn Chuck Berry nennen. Wobei dieser Überschwang nicht ganz gerechtfertigt war. Im Interview mit dem „Rolling Stone“ hat der wahre „King of Rock’n’Roll“ an seine Wurzeln erinnert, an den famosen Louis Jordan, den bouncenden Bandleader Count Basie, an den Crooner Nat ‚King‘ Cole, den Bluesman Muddy Waters oder an Frank Sinatra, von denen er seine „Inspiration“ bekommen habe. Durch das Kino hat Chuck Berry die Herzen neuer Generationen erobert, die jetzt bei „Zurück in die Zukunft“ zuerst an seinen „Johnny B. Goode“ denken oder nach dem Besuch von „Pulp Fiction“ versuchten, wie John Travolta und Uma Thurman zu „You Never Can Tell“ zu tanzen. Im großen Film über das Chess-Label, „Cadillac Records“ wurde Chuck Berry zuletzt von dem Rapper Mos Def verkörpert. Von der einstigen „race music“ zum HipHop – Chuck Berry hat diesen langen Weg der „black music“ als Inspirator entscheidend geprägt.