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Unfreiwilliger Kindersoldat und Musiker: Emmanuel Jal. Foto: Friends of Dresden Deutschland
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„Schweigen ist Gewalt“ – Verleihung des Internationalen Friedenspreises an Emmanuel Jal

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An einen engagierten Musiker wurde Mitte Februar 2014 der 5. Internationale Friedenspreis in Dresden vergeben, an einen Musiker, nicht an einen Mann des Militärs. Preisträger Emmanuel Jal war aber auch das, zum Soldat-Sein gezwungen, zum Töten missbraucht – als Kindersoldat!

Dresden im Februar, da treffen Jahr für Jahr Gedenken und Traurigkeit, Erinnerungen, Missbrauch und Wut aufeinander. Am 13. Februar 1945 versank die einstige Schönheit in Schutt und Asche, verloren Tausende Menschen ihr Leben.

Dieses Datum ist zu komplex, um in wenigen Worten beschrieben zu sein. Es steht für Unwiederbringlichkeit ebenso wie für vielfache Schuld. Der von Deutschland angezettelte Weltkrieg tobte längst am Hort seines Ursprungs. Und die britischen Bomberverbände kannten angesichts des 1940/41 zerstörten Coventry keinerlei Gnade. Ausgerechnet mit dem Tarnnamen „Mondscheinsonate“ flogen die Deutschen ihre Angriffe auf die mittelenglische Stadt. Goebbels' „Coventrieren“ war eine der widerlichsten Wortschöpfungen danach.

Eine „unschuldige“ Stadt, wie oft kolportiert, war der Militär- und Rüstungsstandort Dresden jedoch nicht. Umso entsetzlicher der seit den 1990er Jahren einsetzende Missbrauch des friedlichen Gedenkens durch Neonazis und deren Propaganda vom „Bombenholocaust“. Auch in diesem Jahr marschierten wieder braune Horden mit Fackeln und unter Polizeischutz durch die Stadt – von hohen Richtern unter dem Deckmantel der Demokratie genehmigte Demonstrationen.

Seit 1951 sind Gedenkkonzerte am 13. und 14. Februar eine feste Tradition in der Stadt. Dabei herrscht tunliches Applausverbot, anschließend läuten die Glocken zur selben Uhrzeit, an der die ersten Bomben fielen.

Die Dresdner Philharmonie führte diesmal Schostakowitschs 8. Sinfonie auf, der Chefdirigent Michael Sanderling passenderweise Arvo Pärts „Cantus in memoriam Benjamin Britten“ voranstellte. Der Kreuzchor ließ unter anderem Gabriel Faurés „Requiem“ sowie Rudolf Mauersbergers Kantate „Wie liegt die Stadt so wüst“ erklingen. Bei der Sächsischen Staatskapelle dirigierte Christian Thielemann erstmals das Verdi-Requiem. Drei ergreifende, tief beeindruckende Konzerte, denen nun die Verleihung des Internationalen Friedenspreises an Emmanuel Jal gefolgt ist.

Dieser sogenannte „Dresden-Preis“ wurde zum fünften Mal vergeben. Bisherige Preisträger der mit 25.000 Euro dotierten Ehrung waren Michail Gorbatschow und Daniel Barenboim, der Kriegsfotograf James Nachtwey sowie der ehemalige Sowjetoffizier Stanislaw Petrow, der 1983 statt Ernstfall einen Fehlalarm meldete, um so den Roten Knopf für einen 3. Weltkrieg zu vermeiden. Auch der diesjährige Preisträger war auf Schlachtfeldern „zu Hause“, allerdings nicht als sich damit freiwillig die geistige Blöße gebender Berufsmilitär, sondern als zum Töten gezwungener Kindersoldat.

„We want peace“

Emmanuel Jal wurde 1980 im Sudan geboren, ist als Siebenjähriger von der durch die Bush-Regierung unterstützte Sudanesische Befreiungsarmee SPLA in einem äthiopischen Trainingscamp zum Kindersoldaten rekrutiert worden, konnte mit elf Jahren fliehen und diesen Weg durch die Wüste als einer von sehr wenigen Jungen überlebt. Die 1993 mit nur 29 Jahren bei einem Autounfall in Nairobi ums Leben gekommene britische Sozialarbeiterin Emma McCune adoptierte ihn und bahnte ihm einen Weg zu Ausbildung und Schule. Inzwischen spricht er selber vor Schülern und Studenten, plädiert jungen Menschen in zahlreichen Ländern, dass eine umfassende Bildung das Wichtigste überhaupt sei, was sie für sich tun könnten.

Emmanuel Jal, der einstige Kindersoldat, er ist zu einem aufklärerischen Musiker geworden. Er hat bis heute drei Alben produziert, ist bei Live 8 in London aufgetreten, rappt für den Frieden, engagiert sich bei Amnesty International, setzt sich für die Kontrolle von Waffenexporten ein und wendet sich gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten. „We want peace“ postuliert Emmanuel Jal und spreizt zwei Finger zum Zeichen. Im Gegensatz zu vielen politischen Sonntagsgesichtern nimmt man ihm dieses Engagement ab, er will wiedergutmachen, was er gezwungenermaßen mitgetan hat. Er weiß, dass es ein langer Weg sein wird, aber unerschütterlich wird er ihn gehen.

Bei der diesjährigen Verleihung des Friedenspreises sprach neben Fatou Bensouda, der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (dem neben Nordkorea, dem Sudan und Syrien beispielsweise auch Russland und die USA nicht beigetreten sind) auch der einstige Bundesinnenminister Gerhart R. Baum, der 1932 in Dresden zur Welt kam und die Bombardierung seiner Stadt nie vergessen wird. Er bezeichnete Emmanuel Jal als Beispiel dafür, dass auch Einzelnen etwas bewegen können. Als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen ist Baum im Sudan gewesen, wo nach dem Morden von mehr als zwei Millionen Menschen und der Teilung des Landes heute eine neue Katastrophe herrscht. „Wir brauchen eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik“, forderte der engagierte Ex-Politiker und fragte, adressiert an Bundesregierung und EU, warum nicht ein Mandat für den Sudan übernommen werde? „Wollen wir immer erst dann aufwachen, wenn Leichenberge gefilmt werden?“

Emmanuel Jal ist als Neunjähriger in einem Flüchtlingscamp gefilmt worden. Ausschnitte aus diesem Material wurden zur Preisverleihung gezeigt, Jal sprach darin von seinen Träumen, vom Wunsch, immer lernen zu können. Auch in seinen Dankesworten betonte er, wie wichtig Bildung sei – Kinder gehörten schließlich in die Schule und nicht in den Krieg. Der heute 34-Jährige, mit Abstand der jüngste Friedenspreisträger, hat seine Stimme erhoben, hat gelernt: „Schweigen ist Gewalt!“ In seinen Songs, von denen er eine Auswahl auch in der Semperoper vortrug und das Publikum damit schier von den Stühlen riss, bekennt er sich zu seiner Geschichte als Kindersoldat und singt immer wieder von der Sehnsucht nach Frieden.

www.emmanueljal.org

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