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Céline Rudolph. Foto: Promo
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Seelenverwandtschaft ist ein großes Wort: die Sängerin Céline Rudolph im Gespräch über ihre Henri-Salvador-Hommage

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Multikulturelle Einflüsse, wie sie den Jazz von Anfang an mitgeprägt haben, finden sich im Schaffen von Céline Rudolph in besonderer Weise. Die 1969 in Berlin geborene Sängerin – seit 2003 Professorin der Dresdens Musikhochschule, Abteilung Jazz-, Rock-, Pop-Gesang – hat Folklore im Blut, in der Stimme, als Leidenschaft in ihrer Musik. Nach ihrer preisgekrönten CD „Metamorflores“, die 2009 in Brasilien produziert wurde, hat sie nun mit „Salvador“ einen Ausflug zum französischen Chanson unternommen. Während ihrer aktuellen Tour sprach Céline Rudolph mit Michael Ernst über dieses zweisprachige Projekt.

Bei Salvador denkt man zunächst an El Salvador oder an die Bahamas-Insel San Salvador. Sie zielen aber auf etwas anderes?

Céline Rudolph: Ich hätte zuerst an Salvador de Bahia in Brasilien gedacht, einem Sehnsuchtsort auch von mir. Meine neue CD ist aber vom französischen Chansonnier Henri Salvador geprägt, der in seiner Heimat nach wie vor eine Berühmtheit ist, ein Monument. In Deutschland ist seine Musik erstaunlich wenig präsent. Ich hoffe, da etwas ändern zu können. Immerhin hat er ein halbes Jahrhundert Musikgeschichte mitgeprägt. Bis jetzt haben sich noch nicht viele Interpreten an sein Schaffen gewagt.

Wie sind Sie auf Henri Salvador gekommen?

Ich habe ihn über den Umweg Brasilien entdeckt. Meine Mutter ist ja Französin, insofern gab es sowieso einen engen Bezug zum Chanson. Henri Salvadors Bedeutung ist mir aber erst bei einer Recherche zu den Hintergründen der Bossa Nova bewusst geworden. Da bin ich auf eine Anekdote gestoßen, die mir Frau Salvador jetzt bestätigen konnte: Henris Lied „Dans mon íle“, von mir als „Meine Insel“ übersetzt, ist in den 1950er Jahren in einer Filmmusik verwendet worden. Diesen Film hat damals Antonio Carlos Jobim in Rio gesehen und soll von der Musik total angetan gewesen sein. Das hat ihn dann auf die Idee gebracht, aus dieser Verbindung zwischen europäischem Bolero und verlangsamter Samba den Weg in Richtung Bossa Nova zu gehen. Dieser Umweg hat mich neugierig auf Henri Salvador gemacht, da habe ich mich auf die Suche nach seinem gesamten Repertoire begeben. Das war eine völlig neue Begegnung!

Den Bezug zu Brasilien gibt es bei Ihnen aber schon länger?

Was meine eigenen Produktionen betrifft, gibt es diesen Bezug seit etwa zehn Jahren. Aber die Liebe zu dieser Musik muss mir in die Wiege gelegt worden sein. Das kommt sicherlich daher, dass ich sie schon sehr früh zu Hause gehört habe. Joao Gilberto hat da einen großen Einfluss gehabt, dessen Musik war für mich eigentlich immer da. Ich kann mich selbst nicht mehr daran erinnern, sondern weiß es nur aus den Erzählungen meiner Eltern, dass ich seine Lieder schon mit fünf Jahren gehört und sogar mitgesungen habe, ohne irgendwas davon zu verstehen. Zehn Jahre später habe ich dann angefangen, Portugiesisch zu lernen, weil ich wissen wollte, worum es da geht. Als ich dann viel später in Brasilien war, kam es mir überhaupt nicht fremd vor, sondern fast wie zu Hause. Das hat natürlich geholfen, mir diese Musik als kulturelles Gut wirklich anzueignen. Das Wissen um eine Kultur ist unglaublich wichtig, erst dann gehört sie zum eigenen Wortschatz.
Natürlich muss man auch Sehnsüchte offen lassen, eigene Gedanken und Wünsche behalten, denn wenn sich ein Paradies vollends erfüllt, ist es ja keines mehr. Was ich frühzeitig gespürt haben muss, ist diese innere Spannung in dieser Musik. Ich komme ja auch von der kleinen Geste, vom intimen Miteinander beim Musizieren. Vielleicht liegt es ja daran.

Sie singen Salvadors Chansons sowohl im französischen Original als auch in eigener Übersetzung auf deutsch. Ist das noch authentisch?

Oh ja. Als ich die Lieder dieser CD kürzlich in Paris präsentieren durfte, ist auch Frau Salvador dagewesen, die Witwe von Henri. Eine ganz tolle Begegnung für mich! Sie hat sowohl die französische als auch die deutsche Version gehört und sagte mir, dass sie überrascht sei, obwohl sie deutsch gar nicht versteht, in beiden die Atmosphäre, das Flair von Henri zu spüren. Da steckt einfach seine innige Kraft drin. Es war mir auch wichtig, dass da kein Bruch entsteht. Dass also der Charme des Französischen nicht nur in der Interpretation, sondern auch in meinen Übertragungen der Texte erhalten bleibt. Vielleicht ist das mein Ausdruck einer Seelenverwandtschaft.

Ist das nicht ein sehr großes Wort?

Ja, das ist ein großes Wort. Aber ich habe das Gefühl, ein Teil von mir liegt in der Ferne. Ich glaube, diese Verbindung zwischen französischem Chanson und brasilianischer Musik, die Salvador ja auch gesucht hat, die teilen wir. Diesen Mix aus Sehnsucht, Saudade, und großem Gefühl. Weil ich da eine Parallele entdeckt habe, vielleicht sogar dieselbe Schwingung spüre, habe ich das machen können. Sonst wäre die Übersetzung gar nicht möglich gewesen.

Die „Salvador“-CD gibt es in zwei Varianten – wie original ist die französische Fassung, wieviel Céline Rudolph steckt in der deutschen?

In seiner Sprache bin ich absolut am Original geblieben, da ist nichts verändert. Aber das Übersetzen von Dichtung ist immer ein Stück Neuentwurf, der Versuch, etwas in eine andere Kultur zu übertragen. Das geht nicht eins zu eins, da braucht man neue Bilder. Jede Sprache hat ja einen anderen kulturellen Hintergrund. Wenn ich dieselbe Größe wie im Französischen benutzt hätte, wäre ich im Schlager gelandet. Das hätte ich nicht über die Lippen gebracht. Also musste ich einen anderen Zugang finden. Wenn man die Texte genau hört, glaube ich, lernt man mich ganz gut kennen. Die sind schon sehr persönlich. Trotzdem bin ich insgesamt nicht von seinen Themen abgedriftet. Es sollen ja irgendwann beide Versionen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland erscheinen. Dann kann man vergleichen. Auf meiner Website sind jetzt schon beide Sprachen nebeneinander zu lesen.

Sie sind Henri Salvador nie persönlich begegnet, soll die CD dies posthum nachholen?

Ihn habe ich leider verpasst, ja. Das kann man nicht nachholen. Aber als ich seine Frau traf und sie von der geglückten Aufnahme und Interpretation sprach, da hatte ich schon das Gefühl, jetzt steht er hier mit im Raum. Das war mit ziemlich viel Gänsehaut verbunden. Auch beim Konzert in Paris war er natürlich sehr präsent. Inzwischen fühle ich allerdings, dass die Stücke, vor allem durch die Textübertragung, irgendwie meine geworden sind. So eine Art musikalisches Aneignen, Einverleiben.

Bedeutet Ihre Hinwendung zum Chanson nun eine Abkehr von Jazz?

Nein, überhaupt nicht. Da bin ich Freidenkerin und fühle mich überhaupt nicht festgelegt. Es kann durchaus sein, dass ich als nächstes in einer ganz anderen Sprache arbeite, da bin ich ganz und gar Jazzsängerin.

Wie fügt sich Ihre Salvador-Hommage in Jazzkonzerte?

Jazz war ja immer schon sehr weitgefasst und hat weniger mit dem Was als mit dem Wie zu tun. Das ist eine Haltung, kein abgekartetes Spiel. Wir überraschen uns selbst auf der Bühne, das Publikum hoffentlich auch – damit ist es natürlich Jazz.

Zwei Fragen noch an die Professorin: Momentan ruht Ihre Unterrichtstätigkeit?

In diesem Semester, ja. Das ist ein projektorientiertes Freisemester, da konzentriere ich mich voll auf diese Tourneen. Anfang nächsten Jahres geht es auch wieder nach Brasilien, da bin ich schon sehr gespannt.

Bevor es wieder an die Hochschule geht: Wie ist der Stand der Jazzausbildung in Dresden?

Ich finde, dass der Standort Dresden immer interessanter wird. Inzwischen haben wir ein tolles Kollegium hier, das ein weites Spektrum abdeckt, von der jungen Szene bis zu ganz Großen, Erfahrenen. Damit können wir die Studenten gut auf ihren Wegen begleiten. Das ist für mich ganz wichtig, sie zu unterstützen, dass sie eigene Formen und Stile entwickeln. Immer wieder eine ganz spannende Erfahrung! Und der Zuspruch gibt uns offenbar Recht, wir erleben oft, dass Studienplätze in Berlin oder Köln zugunsten von Dresden ausgeschlagen werden. Das scheint ein wichtiger Gradmesser zu sein, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Aktuelle CD:
Céline Rudolph „Salvador“ (Verve 0602527621531)

Offizielle Homepage:
www.celinerudolph.com

 

Bio Céline Rudolph:
· geb. 1969 in Berlin
· studierte dort erst Rhetorik und Philosophie, dann an der Hochschule der Künste Jazzgesang und Komposition
· 1990 erste Band Out of Print, mit der sie das 1. Leipziger Jazznachwuchsfestival gewinnt und u.a. durch Afrika und den Balkan tourt
· Zusammenarbeit u.a. mit Lee Konitz, Bobby McFerrin, Nils Petter Molvaer und Gary Peacock
· 2003 Professur an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, leitet die Abteilung Jazzgesang
· CD-Veröffentlichungen (Auswahl) 2007 „Brazaventure“, 2009 „Metamorflores“ (beide Enja), 2011 „Salvador“ (Verve)

Bio Henri Salvador:
· geb. 1917 in Französisch-Guayana
· zog als Siebenjähriger mit seinen Eltern und Geschwistern nach Paris
 · frühe Zusammenarbeit u.a. mit Django Reinhardt und Boris Vian
· große Erfolge als Texter, Komponist und Interpret in aller Welt
 · hohe Auszeichnungen u.a. in Brasilien und Frankreich
· starb 2008 in Paris

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