Nach Isabel Mundry und Bernhard Lang ist nun die 1967 in London geborene Komponistin Rebecca Saunders ausgewählt worden, eine Spielzeit lang als „Capell-Compositeur“ an der Sächsischen Staatskapelle zu wirken und damit nicht nur eine bis auf Heinrich Schütz zurückgehende Tradition der vor 460 Jahren gegründeten Kapelle fortzusetzen, sondern vor allem auch, um deren Repertoire aktiv mitzuprägen. Zur Saisoneröffnung erklang als Uraufführung das Stück „traces“, eine musikalische Spurensuche für Kammerorchester.
Das Auftragswerk ging dann sofort mit auf Tournee und wurde von der Staatskapelle zu den London Proms in der Royal Albert Hall präsentiert. Im Laufe der Spielzeit werden mehrere Werke von Rebecca Saunders folgen, eine Herausforderung sowohl für sie als auch für das Orchester.
Dass die in Berlin lebende Komponistin in ihrer Geburtsstadt London derart gefeiert wurde und dieses Konzert dank einer Koproduktion von BBC und MDR Figaro im Rahmen des ARD-Radiofestivals deutschlandweit zu hören war, erfüllt sie mit nachvollziehbarer Freude: „Ja, darüber habe ich mich natürlich sehr gefreut. Die Staatskapelle hat das so überzeugend in London gespielt, dass ich denke, es ist eine klare Abbildung von dem gelungen, was ich mit dem Stück vermitteln wollte. Da kam wirklich das Ganze herüber und beim Publikum an.“
Allerdings falle es ihr nachhaltig schwer, in Worten beschreiben zu müssen, was mit Musik vermittelt werden sollte. Vor allem im 1. Satz sei es Saunders um eine leise Musik gegangen, ganz aus der Stille heraus, um so „das Erscheinen und Verschwinden von Klang, von Klangfarben und deren Perspektiven physisch spürbar zu machen.“ Da müsse viel Atem und Raum sein, denn „traces“ erwarte ja auch sehr viel vom Zuhörer, um sich in all seiner Sinnlichkeit entfalten zu können. Weitere Ausdeutungs- und Beschreibungsversuche lehnt Rebecca Saunders so entschieden wie überzeugend ab: „Wenn das für mich in Worten zu sagen wäre, hätte ich ja die Musik nicht schreiben müssen.“
Allerdings sei ihr klar, dass die London Proms als ein großes internationales Festival mit Partyatmosphäre in einem ganz anderen Kontext des Zuhörens stünden als ein Konzert der Staatskapelle in Dresden. Da wäre jeder Vergleich unfair, meint sie und räumt ihre Freude darüber ein, wie konzentriert das Publikum in der Semperoper gewesen sei. „Das hatte ich so nicht erwartet.“
Gut möglich, dass es inzwischen ja doch eine gewisse Neugierde auf den Capell-Compositeur beziehungsweise, in Rebecca Saunders' Fall, auf die Capell-Compositrice gibt. Die von GMD Fabio Luisi eingeführte Neuerung scheint ja von Jahr zu Jahr aus mehr Aufmerksamkeit zu treffen. Dass es in der geschlechtsspezifischen Begrifflichkeit einen jährlichen Wechsel gab, amüsiert die Musikerin: „Eigentlich würde ich ja Composer-in-Residence dazu sagen. Aber dieser so traditionsbeladene Begriff klingt hier in Dresden irgendwie süß, da setzt sich was fort, das tatsächlich an eine uralte Vergangenheit anknüpft.“ Dass dieses Amt nun seit drei Jahren wiederbelebt worden ist, finde sie großartig, freilich auch für das Orchester. Denn der in aller Welt renommierte Klangkörper begibt sich ja ebenso wie die jeweiligen Komponisten mit in einen Lernprozess hinein; eine mutige Beschäftigung der Kapelle, deren Arbeit dadurch zu einer fortwährenden Suche nach immer wieder neuen klanglichen Lösungen gerät.
Das Orchester ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen steht die „Capell-Compositrice“, die sich nun ein Jahr lang auf diese besondere Aufgabe einlassen soll. Kann sie da noch aus dem Bauch heraus komponieren oder fühlt sie sich nicht schon fest eingebunden in eine Art von Auftragskunst? Geradezu salomonisch meint sie dazu, dass in dieser für sie nun völlig ungewöhnlichen Saison sowieso alles vollkommen anders sei als sonst, denn all ihre kreative Kraft fließe nun in die Arbeit für die Staatskapelle. Sonst sei ja normalerweise jeder Auftrag auf ein unterschiedliches Festival oder Orchester gerichtet. Immer aber schreibe Rebecca Saunders „aus dem Bauch auf Aufträge hin.“ Es sei für sie eine gute Sache und sehr wichtig, stets genug Aufträge zu haben, die es zu erfüllen gelte: „So funktioniere ich ganz gut und kann auch spontane Eingebungen in vorhandene Projekte einfließen lassen.“
Ihr Repertoire ist für eine 41-jährige Komponistin sehr weit gefasst und vor allem längst anerkannt. Die Londonerin aus Berlin, jetzt Berlinerin aus London, weiß sich in dieser speziellen Profession bestens zu behaupten. Hilfreich seien dabei beizeiten gute Stipendien gewesen, die ihr genug Zeit verschafft haben, ungestört komponieren zu können. Sie hat zudem eine Reihe von Preisen erhalten und damit enormen Zuspruch erfahren.
Persönliches Glück für derart beruflichen Erfolg musste Rebecca Saunders aber nie aufopfern, im Gegenteil, wie sie betont: „Ich habe zwei Kinder, die sind die Quelle all meiner Kraft. Ich kann mir ein Leben ohne Kinder gar nicht vorstellen. Natürlich ist das Leben anstrengend, gerade in diesem Beruf. Komponieren ist aber nie leicht, ob mit Kindern ohne ohne. Man muss sich sehr disziplinieren, konzentriert sein und möglichst gut organisieren können, dann klappt es. Ich würde gern jüngere Frauen dazu ermutigen, früh Kinder zu haben. Vor allem hoffe ich, dass die nächsten Generationen an sich glauben und wieder etwas riskieren. Ich habe so tolle Studentinnen, da kann ich nur hoffen, dass die auch niemals aufgeben.“ Sie ist davon überzeugt, dass Frauen besser mit Aggressionen umgehen können – „und das Kanalisieren von kreativer Energie hat, wie ich denke, ganz direkt damit zu tun.“
Ein knappes Jahr lang wird die „Capell-Compositrice“ Rebecca Saunders nun an die Sächsische Staatskapelle gebunden sein, erstmals gehört hatte sie das Orchester vor einigen Jahren jedoch in ihrer Wahlheimat Berlin – „und da habe ich sofort eine Art Arbeitsverhältnis gespürt. Umso mehr macht es mich froh, jetzt für dieses Orchester schreiben zu können!“ Zunächst wird das ein Konzert für Kontrabass sein, ein Instrument, dem sie aufgrund seiner Klangfarben sehr verbunden sei, dann ein Trio für Trompete, Klarinette und Oboe sowie schließlich ein weiteres großes Orchesterwerk. Bereits im nächsten Konzert der Staatskapelle, Mitte September, wird aber ein zwölf Jahre altes Stück von ihr aufgeführt, das für 27 Spieldosen geschrieben wurde, die auf- und zugemacht werden und einen magischen, ja träumerischen Klang in die Orchestertextur einbringen sollen.
2. Sinfoniekonzert: 13., 14. und 15. September, u.a. mit „G and E on A“ für Orchester und 27 Spieluhren von Rebecca Saunders (Nachtrag nmz - wurde wegen Erkrankung des Dirigenten Fabio Luisi abgesagt. Christian Thielemann wird statt seiner die Konzerte mit verändertem Programm dirigieren. Auf dem Programm steht jetzt Anton Bruckners 8. Sinfonie)
Rebecca Saunders
geboren 1967 in London, studierte Violine und Komposition an der Universität Edinburgh, dank eines Stipendiums dann an der Musikhochschule Karlsruhe bei Wolfgang Rihm
Busoni-Förderpreis der Akademie der Künste Berlin
Erst-von-Siemens-Förderpreis für Komposition
musica-viva-Kompositionspreis von ARD und BMW AG
Paul-Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals
Royal Philharmonic Society Composition Award
2005/06 Composer-in-Residence am Konzerthaus Dortmund
seit Saisonbeginn 2009/10 Composer-in-Residence der Sächsischen Staatskapelle Dresden