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George Tabori 100. Motiv: Hufner
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Überall fremd und seitdem gerne vereinnahmt: George Tabori 100

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Das Berliner Ensemble hat dem Jubilar eine ganze Gedenkwoche gewidmet. Mit gutem Grund, schließlich war das traditionsreiche Haus die letzte Wirkungsstätte von George Tabori. Der ewig überall Fremde war mit Mitte 80 seinem Freund und Kollegen Claus Peymann von Wien an die Spree gefolgt. Er ist einer der ganz großen Theaterleute gewesen: George Tabori, der im Weltkriegsjahr 1914 in Ungarn geborene Grand Seigneur der Bühnenkunst.

Er hat am Broadway gewirkt und in Hollywood gearbeitet, er hat für Skandale und großartige Einsichten gesorgt, vor allem aber hat er das deutschsprachige Nachkriegstheater ganz wesentlich mitgeprägt. Dabei konnten viele seiner Zeitgenossen überhaupt nicht verstehen, wieso einer wie er – mit seinem jüdischen Schicksal! – nach 1945 überhaupt wieder deutschen Boden betreten wollte. Schließlich hatte er fast seine gesamte Familie in Auschwitz verloren. Diese Tatsachen blieben sein Leben lang ein Trauma für ihn, verbunden mit der Scham, als beinahe einziger den Naziterror überlebt zu haben.

Doch George Tabori war durch und durch Theatermann und wurde wohl schon vor und während der Kriegsjahre da herangeführt. Nach journalistischen Eskapaden, die ihn von London via Sofia und Istanbul auch nach Jerusalem führten, ging er in die USA, wo er mit Brecht, Hitchcock und zahlreichen anderen großen Namen zusammenwirkte. Doch bleibende Heimat fand er auch dort nicht. Also zurück nach Europa. Er gründete das Bremer Theaterlabor, war später in München und viele sehr fruchtbare Jahre am Burgtheater in Wien tätig („die böseste Stadt der Welt“), bevor er – als 85jähriger! – mit Claus Peymann ans Berliner Ensemble wechselte.

Dort ist er im Sommer 2007 mit 93 Jahren gestorben, dort wurde dem Jubilar jetzt eine ganze Gedenkwoche gewidmet. Der Autor und Regisseur hat freilich nicht nur am BE seine Spuren hinterlassen. Mit seinen Stücken – am bekanntesten wohl die anspielungsreiche Farce „Mein Kampf“, das frühe Skandalon „Die Kannibalen“ oder die genialen „Goldberg-Variationen“ – ist er nach wie vor auf vielen Bühnen präsent. Hörstücke seiner Arbeiten liegen auf CD vor, was fehlt, sind seine frühen Romane. Dass George Tabori nämlich auch ein Romanautor war, ist wenig bekannt. Dabei hat er mitten im 2. Weltkrieg sein erstes Buch veröffentlicht, „Beneath the Stone the Scorpion“, das auch heute noch sehr lesenswert ist. Ebenso die späteren Werke „Ein guter Mord“, „Gefährten zur linken Hand“, „Tod in Port Arif“.

Immer wieder ist George Tabori von Weggefährten und Freunden ermuntert worden, doch endlich mal seine Autobiografie zu schreiben. Er hat das stets abgelehnt, denn sein Leben, so meinte er, stehe doch in den Stücken und Büchern geschrieben.

Der kürzeste Witz des „ewigen Fremden“

In der Tat sind seine gutbürgerliche ungarisch-jüdische Herkunft in „Mutters Courage“ dargestellt, spiegeln die Romane seine umtriebigen Kriegsjahre wider. Aber im Nachlass des „ewigen Fremden“, wie er sich gern nannte und nennen ließ, da fanden sich nun doch einige Aufzeichnungen über diese ferne Vergangenheit.

Der Berliner Verlag Klaus Wagenbach, der sich schon länger um das schriftstellerische Schaffen George Taboris kümmert, hat diese Erinnerungen nun pünktlich zum Jubiläum veröffentlicht. Unter dem Titel „Exodus“ sind diese in einem lesenswerten Band zusammen mit dem bereits 2002 erschienenen „Autodafé“ vereint. Ein Novum auch insofern, dass der Ungar mit seinem unvergesslichen Idiom sowohl in der deutschen als auch in der englischen Sprache diese mit deftigem Sarkasmus gespickten Notate auf deutsch verfasst hat. Bei fast allen anderen Texten musste aus dem Amerikanischen übersetzt werden.

Angeregt zum Reflektieren über sein langes Leben – und über die Scham, als nahezu einziger aus seiner großen Familie den organisierten Judenmord der Deutschen zu überleben – dürfte ihn ein später Besuch in Auschwitz haben. Dort wollte er den letzten Spuren seines Vaters Cormelius Tabori nachspüren. In einer Traumsequenz erinnert er sich an ihn: „Zwei Männer, darunter ein Doktor Fischer, kamen nach dem Krieg zu mir und erzählten, wie du die Gaskammer betreten habest, begleitet von dem Lagerorchester, das irgendeine fröhliche Zigeunerweise spielte, du seist am Eingang stehengeblieben, und man habe dich zu einem älteren Mitbewohner sagen hören, ‚Nach Ihnen, Herr Mandelbaum‘. Also, hast du das gesagt, oder hast du das nicht gesagt?“

George Tabori hatte zeitlebens einen ganz besonderen Bezug zum Humor. Manche Dinge durfte wohl nur er so auf den Punkt bringen: „Kennst du den kürzesten Witz? – Auschwitz.“

Tabori konnte immer wieder überraschen. Aber auch ihm bot das Leben bis zuletzt herbe Momente. Als er sich Ende der 1990er Jahre doch einmal nach Auschwitz fahren ließ, wurde das Fahrzeug – österreichisches Nummernschild – just in Sachsen von nationalistischen Dummköpfen attackiert.

Tabori und die Oper: „Ich liebe diese Musik“

Sprichwörtlich bekannt ist George Taboris Liebe zum schönen Geschlecht – er war viermal verheiratet und meinte, „für mein Alter ist das nicht besonders viel“. Legendär sind seine Anekdoten von Hollywood-Stars: „Von der Garbo war ich enttäuscht.“ Die Begründung, weil nicht ganz stubenrein, muss hier entfallen.

Er hatte aber auch einen tiefen Bezug zur Musik, konnte ihr stundenlang lauschen. In Wien inszenierte er 1986 an der Kammeroper erstmals Musiktheater („Der Bajazzo“), in den frühen 1990ern folgte als Koproduktion der Oper Leipzig mit den Salzburger Festspielen das herrliche „Satyricon“ von Bruno Maderna, Ende 1994 sorgten dann ebenfalls in Leipzig Arnold Schönbergs Opern-Oratorium „Moses und Aron“ in Taboris Handschrift („Ich liebe diese Musik!“) für Aufsehen. Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in der Berliner Gedächtniskirche brachte der wohl dienstälteste Regisseur 2002 als Politikum dreier Weltreligionen heraus.

George Tabori ist ein Meister gewesen, der in einem Leben voller Schmerz stets dem Scherz eine Chance gab. Dass am BE nun zu seinem 100. Geburtstag „Ein Fest für George“ gegeben wird, wäre bestimmt in seinem Sinne gewesen.

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