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Und der Wein war jung

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Zum Tod des genialen Popkomponisten Burt Bacharach
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Er hat sein Handwerk bei Darius Milhaud und Marlene Dietrich gelernt und den Soundtrack der Swinging Sixties geliefert: Burt Bacharach. Die Liste der Interpreten, die seine oft vertrackten Songs gesungen haben, ist sehr lang: The Beatles, Dionne Warwick, The Drifters, Herb Alpert, The Carpenters, Aretha Franklin, Smokey Robinson, Isaac Hayes, Elvis Costello, Dusty Springfield, Tom Jones, Doris Day, Cat Power oder eben Marlene Dietrich. Seit über sechs Jahrzehnten spuken seine Lieder, die meistens zusammen mit seinem kongenialen Texter Hal David entstanden sind, nun schon im Popuniversum herum. Und vermutlich hatte jeder, der vom Tod von Burt Bacharach am 8. Februar erfahren hat, ein paar Liedzeilen von Hal David auf den Lippen: aus „Walk On By“, „I Say A Little Prayer“ oder „What The World Needs Now Is Love“.

Geboren wurde Burt Bacharach 1928 nicht in Bacharach am Rhein, der „heimlichen Stadt der Rheinromantik“, sondern in Kansas City, der vielbesungenen Stadt am Missouri. Aber es war eine „Teutonin“, die seine erste Phase stark geprägt hat: Marlene Dietrich. In den späten Fifties, als Bacharach noch Titelsongs für B-Pictures wie „The Blob“ geliefert hat und ihm mit „Magic Moments“ ein erster Nr.1-Hit gelungen war, hat er die Dietrich, die einen neuen Pianisten für ihre One-Woman-Show suchte, kennengelernt. Burt Bacharach wurde zu Marlenes musikalischem Svengali, wie es vor ihm im Berlin der Roaring Twenties Mischa Spoliansky und Friedrich Hollaender gewesen waren. Und Bacharach nutzte diese Zeit, um seinen eigenen „Sound“ zu entwickeln. Weil das Sprechen bei der Dietrich nie vom Singen zu trennen war, musste er tief in seine Trickkiste greifen. Konrad Heidkamp hat Bacharachs gewichtigen Beitrag zu Marlenes zweiter Karriere einmal sehr genau beschrieben: „Bacharachs Arrangements begleiten ihre Stimme mit der hohen Kunst der Grammatik und Lautmalerei amerikanischer Jazz-Symphonik. Mit Pausen, Dehnungen und Verdichtungen setzt die Musik Ausrufezeichen, Gedankenstriche und Doppelpunkte, unterlegt ihren Texten kleine Leitmotive, grundiert die Sprechstimme und schafft Komplementärfarben für die Singstimme. Burt Bacharach malt ihr die Kulissen für ihre neuen Filme, er wird zum Josef von Sternberg ihrer Musik.“ Und Marlene hat dann auch Bacharach so verehrt wie ihren eins­tigen „Svengali Jo“.

Wie George Gershwin, Harold Arlen oder Friedrich Hollaender gehört Burt Bacharach zu den großen jüdischen Popkomponisten des 20. Jahrhunderts. So wird er es vermutlich als befremdlich empfunden haben, als die Dietrich 1960 bei ihrem Auftritt in Berlin mit „Marlene go home!“-Schildern begrüßt wurde. Als  musikalischer Begleiter war Bacharach mit der Dietrich um die Welt gereist, hatte Rio, Warschau oder Tel Aviv besucht, als es zu einer zweiten schicksalhaften Begegnung kam. Bei einer Plattensession mit den Drifters hatte er eine Backgroundsängerin entdeckt, die zu seiner musikalischen Muse werden sollte: Dionne Warwick. Schnell wurden Burt & Dionne zum „perfect match“ des Sixties-Pop. Sein musikalisches Handwerk hatte er bei der Dietrich gelernt, aber so richtig austoben konnte er sich erst bei Dionne Warwick. Mit ihrer geschmeidigen Stimme sang sie im Studio mühelos all die oft vertrackten Melodien ein, die ihr der Songschmied auf den Leib schneiderte. Als „Easy Listening“ oder schlimmer noch als „Fahrstuhlmusik“ hat man damals in Deutschland ihre gemeinsamen Hits bezeichnet. Weil man nur die vermeintliche „Leichtfüßigkeit“ an der Oberfläche gehört hatte. Die plötzlichen Akkord- und Taktwechsel dagegen hatte man überhört. Dabei hatte der Kabarettist und Musikkenner Gerhard Bronner für dieses Genre einen sehr treffenden Begriff geprägt: „Schlager für Fortgeschrittene“. Auf Youtube gibt es einen sehr schönen Einblick in diese „Schlagerwerkstatt“. Für ein TV-Special studiert Bacharach gemeinsam mit der Warwick einen neuen Song („Loneliness Remembers“) ein. Am Klavier inszeniert er den Song für sie. Er scherzt mit ihr herum und gibt ihr dabei genaue Anweisungen („no really hard syncopation“). Und natürlich setzt Dionne seine Ideen sofort perfekt um. Am Ende sieht und hört man den komplett orchestrierten Song, der sich im Finale sehr steigert.

Ab Mitte der Sixties war Burt Bacharach auch als Filmkomponist sehr gefragt. Er orchestrierte Komödien wie „What’s New Pussycat?“ (mit Woody Allen und Romy Schneider), die Bond-Parodie „Casino Royale“ (mit „The Look Of Love“) oder den Neo-Western „Butch Cassidy & The Sundance Kid“ (mit dem „Oscar“-Song „Raindrops Keep Fallin’ On My Head“). Diese Erfolgsserie wurde allerdings jäh beendet mit einem der großen Kinoflops der Siebzigerjahre, einem Remake des Frank-Capra-Klassikers „Lost Horizon“ als Musical. Der Flop führte zum Bruch des Traumteams Bacharach/David und in Folge auch zum vorläufigen Bruch mit Dionne Warwick. Bacharach brauchte Jahre, um sich von diesem Schlag zu erholen. Zwar gelang ihm in den Achtzigerjahren zusammen mit seiner Ehefrau Carole Bayer Sager als Texterin  eine weitere kleine Hitserie („Arthur’s Theme“, „On My Own“), aber die Magie war verschwunden. Als er schließlich in den Neunzigern von britischen Gruppen wiederentdeckt wurde, erlebte er einen zweiten musikalischen Frühling, der in einer kongenialen Zusammenarbeit mit Elvis Costello gipfelte. Ihr gemeinsamer Songzyklus „Painted From Memory“ gehört zu den großen Alben der Neunzigerjahre.

Im Alter von 90 Jahren schließlich machte er sich noch einmal, beflügelt von der Liebe seiner Fans, zu einer Welttournee auf. Dabei kehrte er auch in die Stadt zurück, in der die Dietrich 1960 als „Vaterlandsverräterin“ ausgebuht wurde: nach Berlin. Burt Bacharach starb am 8. Februar im Alter von 94 Jahren in Los Angeles.

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