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In Berlin war sie 1997 in der Philharmonie zu erleben, auch im Konzerthaus am Gendarmenmarkt stand sie auf der Bühne. In Paris kämpft sie als Gründungsmitglied von "SOS Saint-Germaine-des-Près" gegen die Verschandelung und Kommerzialisierung des einstigen Existenzialistenviertels. Juliette Gréco wird 75 Jahre alt.
Berlin (ddp). "Man muss leise schreien - sonst hört einen keiner." Das ist ein Credo Juliette Grécos. Die Frau mit vielen Spitz- und Kosenamen - "Schwarze Sonne", "Unsere schwarze Katze" und "Schwarzer Kolibri", auch "Muse der Existenzialisten" und "Inbegriff des Bürgerschrecks" - wird am Donnerstag 75 Jahre alt. Gréco, Tochter korsischer Eltern, lebt in Paris. Sie ist eine Jahrhundertinterpretin des Chansons. Und sie steht noch immer unverdrossen auf der Bühne.In Berlin war sie 1997 in der Philharmonie zu erleben, auch im Konzerthaus am Gendarmenmarkt stand sie auf der Bühne. Zu Hause an der Seine kämpft sie als Gründungsmitglied von "SOS Saint-Germaine-des-Près" gegen die Verschandelung und Kommerzialisierung des einstigen Existenzialistenviertels.
In dessen Atmosphäre, im Umkreis von Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Boris Vian, Jean Cocteau und Albert Camus, war sie groß geworden. Das Singen kam erst später. Begonnen hat Juliette Gréco auf der Bühne, 1945 noch als Statistin im Théâtre Francais. Schon ein Jahr später spielte sie eine Hauptrolle in Roger Vitracs Komödie "Victor ou les enfants de pouvoir". Es folgte 1949 ein Film, Jean Cocteaus "Ophée" an der Seite von Jean Marais, bald Julien Duvivers "Au royaume des cieux".
Anfang der 50er Jahre kam das Chanson hinzu. Das erste schrieb ihr Jean- Paul Sartre. Joseph Kosma vertonte es. Es wandte sich gegen Verräter und Kollaborateure, hatte doch Juliettes Mutter in der Réstisance gekämpft, war 1943 verhaftet worden, bald darauf auch Juliette und ihre Schwester. Das hat sie ihr Leben lang nicht vergessen. Sie hat immer wieder auch Chansons gegen den Krieg und jedwedes Unrecht gesungen - neben den vielen über die Liebe und den Alltag der kleinen Leute.
Ihr Verhältnis zu Deutschland hat sie einmal so definiert: "Vergessen darf man auf keinen Fall. Aber die Jungen können nichts für die Grausamkeiten ihrer Väter." In die Bundesrepublik kam sie erstmals 1959, also bald nach dem heimatlichen Start, der sie ins "Bobino" und 1954 ins berühmte Pariser "Olympia" geführt hatte. Riesige Erfolge feierte sie dann 1965 und 1966 im Ost-Berliner alten Friedrichstadtpalast - direkt neben dem Berliner Ensemble Bertolt Brechts.
Auch von diesem Autor hatte sie Texte in ihrem Repertoire, vor allem aber Musik und Worte ihrer Landsleute Charles Aznavour, Charles Trenet, Jacques Brel, Léo Ferré und George Brassens, auch ihrer langjährigen Freundin Francoise Sagan, in deren Beststeller-Verfilmung "Bonjour Tristesse" sie eine Hauptrolle spielte. Viele berühmte Filmemacher und Schauspieler haben mit ihr gearbeitet: Simone Signoret, Charles Aznavour in "C\'est arrivé à 36 chandelles", O. W. Fischer in "Die schwarze Lorelei", Orson Welles in "Die Wurzeln des Himmels" und "Drama im Spiegel"; hinter der Kamera standen außer Cocteau Jean Renoir und John Houston. Zeitweilig hatte die Gréco auch einen Vertrag mit der 20th Fox in Hollywood.
Schließlich aber baute sie ganz auf die vertonten Drei-Minuten-Geschichten: in frivolen, tragischen, melancholischen, vor allem aber optimistischen Liedern. Berühmt wurden unter anderem "Accordéon", "La musique", "La fourmi". Aber sie griff auch aufs Repertoire großer Vorgängerinnen zurück. Schon 1951 gab es den ersten Grand Prix für ein Aznavour-Chanson. Aber bevor die großen Plattenerfolge, die umjubelten Tourneen durch vier Kontinente folgten, hatte sie Jahre lang in kleinen Pariser Lokalen gesungen, etwa im "Tabu", in der "Rose Rouge" und im "Club Germain". 1972 und 1974 gab es viel beachtete große Album-Veröffentlichungen. Da war sie längst ein Weltstar. Zuvor hatte der Rundfunk ihre unverkennbare, mal zarte, mal harte Stimme entdeckt.
Heute singt sie "Ich bin keine 20 mehr" und "Alte Liebende". Das gilt auch privat. Gérard Jouannest ist ihr Pianist und seit einem Vierteljahrhundert ihr (dritter) Ehemann. Über Ex-Gatten Michel Piccoli sagte sie einmal: "Ein wunderbarer Freund - ein unmöglicher Ehemann." Meist schließen die Auftritte Juliette Grécos nun mit Jacques Brels eindringlichem "Ne me quitte pas" (Verlass mich nicht).
Klaus Klingbeil