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Wolf Loeckle, wie ihn seine Autoren kennen. Foto: Martin Hufner
Wolf Loeckle, wie ihn seine Autoren kennen. Foto: Martin Hufner
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Auch ungerecht sein ist wichtig

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Dem Radiomacher Wolf Loeckle zum Siebzigsten
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„...in welcher art das radio sich auch entwickelt, jenseits von trimedial ins X-plus-Mediale hinein: das aufklärerische, das magische, das überraschende, das künstlerische, das lehrreiche, das auratische zumal – das wird ihm erhalten bleiben...“

Wenn der Radiomacher Wolf Loeckle dieses Postulat in den Raum stellt, dann weiß er, dass die Radiowelt, die er in den vergangenen vier Jahrzehnten  mitgestaltet hat, unwiederbringliche Vergangenheit ist. Anstelle von UKW-Angeboten tritt das IP-Radio. Das heißt nicht nur, dass die regionalen Kulturprogramme online miteinander konkurrieren, sondern dass rund 50.000 IP-Radiostationen weltweit täglich auf Sendung sind. Mitte März beging Wolf Loeckle seinen 70. Geburtstag – für die neue musikzeitung ein Anlass, mit ihm zurückzublicken auf die Zeiten, in denen das Kulturradio noch auf hohem Niveau finanziell abgesichert und Quotendenken noch ein Fremdwort war.

Raus aus dem Studio

Seit 1980 existierte in der E-Musikabteilung des BR neben den „klassischen” Redaktionen wie Symphonik, Neue Musik oder Kammermusik die Redaktion Musikfeature: in dieser Eigenständigkeit eine weithin einmalige Erscheinung in der Welt der ARD. Die Gründung dieser Redaktion Musikfeature fällt nicht zufällig mit dem Eintritt

Loeckles in den Bayerischen Rundfunk zusammen: Er  wurde damals unter der Maßgabe eingestellt, Wort-Musiksendungen zu gestalten, die über das bis dahin übliche An- und Abmoderieren von Musik hinausgingen. Und er brachte neue Ideen mit: „Musik ist nicht nur eine Sache von Herz und Kopf, sondern auch eine von Geldströmen und gesellschaftlichen Organisationsformen.“
Loeckles kulturpolitische Überzeugung bestimmte seine Rundfunkarbeit und das bedeutete in der Praxis: raus aus dem Studio, weg vom perfekt geschnittenen Hörprodukt hin zum Live-Erlebnis mit Podiumsgästen, Musikern und Zuhörern an den unterschiedlichsten Orten. Loeckle setzte damit das klassische Sender-Empfängerprinzip außer Kraft und ging mit seiner Redaktionsstube mitten in die Gesellschaft.

Ende Januar 1993 hob er gemeinsam mit Brigitte von Welser vom Kulturreferat München und Albrecht Roeseler, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, das Format „Thema Musik live“ aus der Taufe. Die erste Sendung ging im Januar 1993 über den Äther und hieß „Musikstadt München – so gut wie ihr Ruf?“. Geleitet wurde sie von August Everding, dem „genialen Moderator“, zu den Gästen zählten Peter Girth, Intendant des Staatstheaters Darmstadt, Walter Levin vom ehemaligen LaSalle Quartett oder Dietrich Fischer-Dieskau. Eine besonders kreative Periode dieses Formats war die mit Christiane Zentgraf und der BMW-Kulturkommunikation.

„taktlos“ und die PPP „Thema Musik live“ lebt noch heute, wenn auch mit verändertem Profil. Seit 1997 findet die Live-Sendung nicht mehr in der Black Box im Münchner Gasteig statt, sondern reist über Land: zu den Bachtagen in Ansbach, nach Nürnberg in die Tafelhalle, nach Salzburg, Wien oder auch Tutzing am Starnberger See.

Es gab auch Projekte, die wieder verschwunden sind: Etwa die „Viererbande“ Anfang der 80er-Jahre. Das war ein Verbund von SFB, NDR, WDR und BR. Es taten sich die jeweiligen Redaktionen zusammen, um gemeinsam Dinge zu produzieren, die finanziell aus eigener Kraft heraus nicht möglich gewesen wären, etwa die musikalischen Städteporträts über Köln, München, Wien, New York, Paris, Rom, Tokyo, St. Petersburg unter dem Titel „Auf der Suche nach dem Klang“. Oder 1989, zweihundert Jahre nach der französischen Revolution. Damals fanden sich neun Redaktionen der ARD zusammen und produzierten mit dem Autor Michael Stegemann ein vierstündiges Riesenhörspiel. „Wir wollten allerdings keinesfalls das Bundesmusikfeature etablieren“, sagt Loeckle heute im Hinblick auf heutige Sparzwänge. Eine Herzensangelegenheit des BR-Musikfeature-Redakteurs war das „Laboratorium für Musik – angesiedelt zwischen Radiokunst und avantgardistischem Musikfeature –, das Loeckle auch gemeinsam mit dem Komponisten Josef Anton Riedl ins Leben rief. „taktlos“, das Musikmagazin des BR und der neuen musikzeitung entstand 1997. Loeckle erinnert sich: „Es war mir wichtig, dass die aufgeweckte, freche und unangepasste nmz aus der sogenannten Provinz Regensburg auch im BR zu hören war, und nicht nur nachzulesen.“

Komplimente hin oder her, Tatsache ist, dass „taktlos“ die Frühzeit des trimedialen Zeitalters markiert: Loeckle war es gelungen, eine Sondervereinbarung zwischen BR und nmz zu fixieren, so dass „taktlos“ von der Sendung eins an auf der Website der nmz im Netz stand. Anfänglich nur akustisch, dann mit Bilderstrecken, heute auch mit Vidoeclips. Versenden nicht länger möglich, hieß das im Klartext. Quasi per Handschlag war damals das Modell einer Public Private Partnership entstanden, die im Bereich des öffentlich rechtlichen Rundfunks immer noch außergewöhnlich ist. Das jüngste Produkt in dieser „Machart“ ist die halbjährliche Sendung „Contrapunkt“, eine Koproduktion des Bayerischen Rundfunks und des Goethe-Forums München.

Neben all diesen Formaten darf eines nicht vergessen werden: Wolf Loeckle hat in seiner Redaktion Musikfeature über Jahrzehnte experimentelle Spielformen entwickelt, mitentwickelt und – eine sehr wichtige und seltene Fähigkeit – zugelassen. Sein Antrieb hieß Neugier: Neben einem Stamm fester Edelfedern, die für ihn arbeiteten, war er immer auf der Suche nach neuen Autorinnen und Autoren. Er gab ihnen  die Möglichkeit, sich auszuprobieren im Medium Funk. Und zurück bekam er von ihnen neue Impulse, neuen „Content“.

Autoren wie Uli Aumüller und Wiebke Matyschok machten „mutiges, lebendiges, experimentelles Radio“. Im Zusammenhang mit der nmz darf ein Autor nicht unterschlagen werden: Reinhard Schulz, der über 100 Sendungen für Loeckle produzierte, unter anderem den aufwändig gemachten Zwölfteiler „Schnittpunkte – 1.000 Jahre Musik in zwölf Szenen“ (nach der Ausstrahlung schmolz Schulz die Tonträger in Glas ein und begrub sie in einer Felsspalte im Bayerischen Wald). „Mir war es wichtig“, so Loeckle, „nicht alle Spielzeiten denselben Kreis von Autoren  zu beschäftigen, nicht eine Mannschaft heranzuzüchten, die sich 30 Jahre ihre Brötchen für das immer Gleiche abholt, sondern sehr ungerecht zu sein, und immer wieder neue Autoren auszuprobieren.“ Bei Loeckle fand journalistischer Nachwuchs immer ein offenes Ohr. Umgekehrt wollte er dafür immer nah dran sein an den Gedanken der jungen Generation und auch an den technischen Entwicklungen des Mediums. Diese Haltung drückt sich auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Dozent beim Lernradio der Musikhochschule Karlsruhe aus. Auch im Ruhestand ist er ein leidenschaftlicher Radiohörer geblieben, der alle Sendeplätze kennt, verfolgt und auch vor Hör-Selbstversuchen nicht zurückschreckt, wenn es um die Qualität von Radio geht: „Ich habe einmal 36 Stunden BR-Klassik laufen lassen, Tag und Nacht … und habe keine einzige Ecke oder Kante zu hören bekommen – das ist unter den aktuellen ästhetischen Vorgaben nicht so sehr erwünscht.“ Trotzdem schwärmt er noch immer vom „idealen Kanal“ Bayern2 und von der einzigen deutschen Klassikwelle, BR-Klassik. Doch der Konzertbetrieb ermüdet ihn: Es gebe heute ein viel größeres Musikangebot, doch es sei „viel marktwirtschaftliches Denken dazugekommen. Es herrscht eine Kreisverkehrssituation: Dieselben Künstler spielen dieselben Programme an denselben Orten.“

Alpiner Fernblick

Wolf Loeckle ist als Autor weiterhin tätig für nmz, nmz-Online, Neue Zeitschrift für Musik und andere. Für das Tiroler Festival Klangspuren betreut er die Herausgabe der Programmhefte und der Klangspurenzeitung.

Und dass die Klangspuren in Tirol sind, passt. Nicht dass Loeckle vom Stadtmenschen zum Naturburschen geworden wäre. Doch die Berge vor den Türen Münchens und auch der Silberstadt Schwaz geben ihm seit jeher neue Lebenskraft. Der Blick auf die Welt vom Gipfel eines Berges aus ist Wolf Loeckles Tor zur Welt.

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