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Klaus Lauer. Foto: Charlotte Oswald
Klaus Lauer. Foto: Charlotte Oswald
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Aus den Gebäuden der Erinnerung in die Zukunft

Untertitel
Klaus Lauer wird siebzig Jahre alt und gestaltet in Bad Reichenhall ein wunderbares Kammermusikfestspiel
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Seit vier Jahren gibt es im beschaulichen Bad Reichenhall ein kleines, feines Musikfestspiel. Kein Festival, diese abgegriffene Klassifizierung wird heutzutage für alles Mögliche benutzt. Was Klaus Lauer nach dem Ende seiner unvergessenen Badenweiler Römerbad-Musiktage in Reichenhall wieder erstehen ließ, ist nicht mehr und nicht weniger als die sinnvolle Weiterführung seiner Römerbad-Dramaturgie: die so genannte „Neue Musik“ führt kein abgesondertes Einzeldasein, sie erscheint vielmehr als organische Weiterentwicklung der abendländischen Musikgeschichte, zu der als „Große Bs“ nicht nur Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner zählen, sondern auch Bartók, Berg, Boulez, Britten, um es bei diesem Buchstaben zu belassen.

Klaus Lauers Kunstverständnis, sein Gespür für Qualität, sein reiches Wissen, vor allem aber seine große Liebe zur Musik schlechthin „zauberten“ förmlich hinreißende Konzertabende in die Säle, damals in das berühmte „Achteck“ im Römerbad-Hotel, jetzt in das Alte Kurhaus in Bad Reichenhall, in dem es einen intimen, für Kammermusik ideal proportionierten Saal gibt. Dass es Klaus Lauer gelungen ist, die Reichenhaller Stadtväter davon zu überzeugen, die Musiktage aus der zeitlichen Verankerung mit den benachbarten Salzburger Festspielen zu lösen und in den, wie in diesem Jahr, „Goldenen Herbst“ zu verlegen, verleiht dem „Festspiel“ auch eine äußerlich sichtbare Einmaligkeit. Wenn der „normale“ Musikfreund in Salzburg am Tag von einem Event ins nächste Konzert eilt oder bei den Festivals der Neuen Musik à la Donaueschingen wie auf einer Mustermesse durch den Ort gehetzt wird, dann darf er in Bad Reichenhall den „Kurschritt“ pflegen. Die Möglichkeiten, den Tag angenehm zu verbringen, sind hinreichend vorhanden. Und abends geht es dann ins Konzert: Jeden Tag eine gute Musik hören – das genügt, um die Aufnahmefähigkeit nicht überzustrapazieren. Schon Goethe gab diesen Rat.

Klaus Lauers Programmgestaltung schätzt so genannte Zwischentitel. „Gebäude der Erinnerung“ hieß der erste. Das Vogler-Quartett interpretierte zwei späte Beethoven-Streichquartette – Erinnerung auch an große Beethoven-Zyklen in Badenweiler. Giovanni Bellucci spielte zwei späte Klaviersonaten des Komponisten sowie Liszts Adaption der siebten Sinfonie. Solo-Klavierabende gaben François-Frédéric Guy und die Georgierin Angelina Gadeliya (unter anderem mit Schönbergs Drei Klavierstücken op. 11). 

Eine Huldigung darf in einem Lauer-Konzept nicht fehlen: „Hommage à György Ligeti“ lautete der zweite Titel. Sie sind schon bei ihm in Badenweiler aufgetreten und hielten Klaus Lauer nun auch hier die Treue: das Arditti String Quartet kombinierte Ligetis Erstes und Zweites Streichquartett mit Bartóks Nr. 3 von 1927 und Conlon Nancarrows Streichquartett Nr. 3 von 1967. In Reichenhall präsentierte es sich in Höchstform. Perfekt in der Ausführung, energiestrotzend die klangliche Entfaltung, hochgespannt im Ausdruck: Vier atemversetzende Darstellungen – alles Schwierige wird einfach, wenn wirkliche Meister am Werke sind.

Die Geigerin Isabelle Faust, der Hornist Teunis van der Zwart und der Pianist Alexander Melnikov fanden sich in Trios von Brahms und Ligeti zusammen. Das GrauSchumacher Piano Duo exzellierte mit Werken von Liszt, Bartók, Rachmaninow und Ligeti sowie in einem Konzert mit der Bad Reichenhaller Philharmonie in Mozarts Konzert für 2 Klaviere Es-Dur KV 365.  Das Orchester, unter Thomas J. Mandl zu einem wirklich professionellen Ensemble gewachsen, bewies seine Spielqualitäten bei Liszts „Concerto pathétique“ (für 2 Klaviere) in der Orchesterfassung von Stefan Heucke und in der Uraufführung eines neuen Werkes von Jan Masanetz. Mandl hat inzwischen seinen Chefposten verlassen. Warum? Darüber kursieren im Ort etliche Gerüchte. Auch von Intrigen ist die Rede. Alles klingt ziemlich kleinstädtisch.

Die große weite Welt trat dann zum Schluss auf: New York zu Gast, so der Untertitel, brachte „The Chamber Music Society of Lincoln Center“ in den Kurort. Klaus Lauer hat nach dem Ende in Badenweiler ein Stück Römerbad auch nach New York exportiert. Von dort kam es als Gastspiel zu Besuch nach Reichenhall. Was die Pianisten Gilbert Kalish und die in Taiwan geborene Wu Han, die Cellisten David Finckel und Nicolas Altstaedt, die Geigerin Lily Francis und  der Bratscher Arnaud Sussmann an drei Abenden in Werken von Ludwig van Beethoven, Georg Crumb, Charles Ives, Elliott Carter, Antonin Dvorák (Klavierquartett Es-Dur op. 87), Robert Schumann, Samuel Barber, John Corigliano und George Gershwin („Rhapsody in Blue“ für zwei Klaviere) im Alten Kurhaus, man muss schon sagen: hinlegten – das war Musik in Vollendung. Souverän im Zugriff auf ihr jeweiliges Instrument, mitreißender Musizierelan, intellektuelle Geschliffenheit. In jedem Takt spürte man: hier sind großartige Musiker am Werk, die sich bei aller Perfektion auch noch einen unbändigen Spaß am Musizieren bewahrt haben. Es war im Voraus ein passendes Geschenk auch an Klaus Lauer zu seinem siebzigsten Geburtstag, den er jetzt am 5. Dezember 2011  an seinem Wohnort in Badenweiler feiern kann. Im nächsten Herbst (17. bis 28. Oktober 2012) wird, wie könnte es anders sein, Klaus Lauers Freund Wolfgang Rihm zu dessen sechzigstem Geburtstag gefeiert, unter anderem mit den Geschwistern Jörg und Carolin Widmann. Davor gibt es sieben Konzerte mit Brahms-, Schostakowitsch-, Schubert-und Debussy-Schwerpunkten.

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