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„Ein deutsches Requiem“ in Bogotá: Matthias Oliver Kelemen vom Dresdner Festspielorchester. Foto: Juan Diego Castillo
„Ein deutsches Requiem“ in Bogotá: Matthias Oliver Kelemen vom Dresdner Festspielorchester. Foto: Juan Diego Castillo
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Bogotá liebt Brahms, Schubert und Schumann

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Eindrücke vom internationalen Musikfestival in Kolumbiens Hauptstadt
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Kolumbien und Klassik, das scheint - aus eurozentristischer Sicht - ein ungleiches Paar zu sein. Mitnichten, wie das Festival „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“ bewies. Die Wege sind weit in Bogotá, denn die Zehn-Millionen-Stadt (verlässliche Angaben zum anhaltenden Bevölkerungswachstum gibt es nicht) hat sich in den vergangenen Jahrzehnten exorbitant in der kolumbianischen Anden-Hochebene erweitert.

Auf gut 2.600 Metern Höhe mäandern heute die Straßen und Siedlungen ins Berggrün hinein Richtung Himmel, während die europäischen Kolonisatoren ihre Eroberung noch mit rechten Winkeln und Parallelen überzogen hatten. Es ist laut in Bogotá, der zähe Verkehr kennt kaum eine Pause, der Motorenlärm wird nur von permanenten Hupkonzerten übertönt. Dennoch verlangt die Musik in Bogotá ihr gutes Recht, ob Straßenmusiker oder Tänzer, just in der Osterzeit zogen freilich auch lautstarke Blaskapellen und singende Prozessionen über die Plätze.

Bogotá ist Musik. Seit 2013 wird dies in besonderer Weise mit einem internationalen Festival betont: „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“ war es in diesem Jahr überschrieben. Zuvor widmeten sich die Veranstalter im Zwei-Jahres-Rhythmus Beethoven, Mozart und der Russischen Romantik. Bogotá ist also Brahms, ist Schubert, ist Schumann? Und obendrein auch Schumanns Frau? Deren vier Gesichter prägten Mitte April das Stadtbild, waren auf Fahnen, Plakaten und Programmheften präsent. Auf den ersten Blick mag all das – zumal aus eurozentristischer Sicht – überraschen. Doch schon die puren Zahlen belegen, wie sehr dieses Festivalmotto stimmt: „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“ dauerte lediglich vier Tage, beinhaltete aber 50 Konzerte, zwölf davon gar bei freiem Eintritt, die an 15 Spielstätten mit sieben Orchestern, sechs Chören, zahlreichen Kammermusikensembles und über 30 Solisten stattfanden.

Yalilé Cardona, die perfekt deutsch sprechende Ko-Direktorin des Festivals, sieht diese Programmatik als ein Muss: „Es ist wirklich ein großer Wunsch von uns, hier die großen Komponisten der deutschen Romantik zu ehren. Man kennt natürlich die Namen, aber man würde nicht immer sofort erkennen, ob eine Melodie zu Schubert, zu Schumann oder zu Brahms gehört. Das ist also auch eine Aufgabe, die wir uns gestellt haben, das Publikum in dieser Richtung ein bisschen zu bilden.“

Das international besetzte Festival, je zur Hälfte mit öffentlichen und privaten Mitteln finanziert, wirkt wie ein Magnet. Ob das altehrwürdige Teatro Colón im Herzen der historischen Altstadt von Bogotá, La Candelaria, ob das vor neun Jahren eröffnete Teatro Mayor, das als Kulturzentrum mit Bibliothek und zwei Konzertsälen den Namen seines Stifters Julio Mario Santo Domingo trägt, ob Auditorien in Kirchen und Museen – die Veranstaltungen waren gut bis sehr gut besucht. Das Publikum vereinte Jung und Alt, war neugierig interessiert und reagierte begeistert bis „aus dem Häuschen“ auf die Musik. Im Gegensatz zu so manch etabliertem Festival Europas fehlten aber jene Festspielgäste, die nur um des Sehens und Gesehenwerdens willen erscheinen, was absolut nicht als Verlust empfunden wurde.

Als zentraler Ort dieses Musikfestes darf das Hotel Estelar La Fontana gelten. Es ist mit dem Festival eng verzahnt, hier logieren die auswärtigen Künstlerinnen und Künstler. In den Zimmern und manchmal auch in den mit Brunnen bestandenen Innenhöfen ist kräftig geübt worden, bestens organisiert waren von dort aus die Shuttles zu den einzelnen Spielstätten. Die sind de facto nicht sehr entfernt, doch 15 Kilometer Wegstrecke konnten in Spitzenzeiten schon mal eine ganze Stunde dauern. Was aber Spitzenzeiten sind, kann niemand vorhersagen, denn die können gleichermaßen durch einen kräftigen Regenguss wie durch einen plötzlichen Streik oder schlicht durch hohes Verkehrsaufkommen entstehen. Dennoch begannen die meisten Veranstaltungen so überraschend wie relativ pünktlich.

Das Eröffnungskonzert mit dem Philharmonieorchester Bogotá – einem jungen Klangkörper voller Spielfreude und Enthusiasmus – kostete unter der Leitung des deutschen Dirigenten Eckart Preu das Festivalthema schon einmal aus. Schuberts „Rosamunde“-Ouvertüre, Schumanns Klavierkonzert op. 54 mit der Französin Lise de la Salle sowie die 4. Sinfonie von Brahms setzten Maßstäbe für die folgenden 49 Programmpunkte. Wer angesichts dieser Fülle freilich erwartete, das gesamte Œuv­re der namensgebenden Komponisten in Bogotá erleben zu können, hat deren Schaffenskraft wohl unterschätzt. Dass passend zu ihrem Jubiläumsjahr auch Clara Schumann eine Würdigung erfuhr und Lise de la Salle tags darauf mit der Jugendphilharmonie auch deren Klavierkonzert op. 7 aufführte, war mehr als nur eine feine Geste.

Unter den vier kolumbianischen und drei europäischen Orchestern stach mit dem Dresdner Festspielorchester ein Klangkörper hörbar heraus, denn in diesem 2012 als „Botschafter“ der Dresdner Musikfestspiele gegründeten Ensemble sind Spitzenkräfte der historisch informierten beziehungsweise der nach eigener Angabe authentischen Musikweise versammelt. Diese besondere Interpretationsform kam mit ihrer Frische beim kolumbianischen Publikum bestens an. Begeisterungsstürme mit Bravorufen waren die Folge – und gerne auch mal ein Ungarischer Tanz von Brahms als mit großem Jubel aufgenommene Zugabe. Gleich drei Konzerte wurden von den Dresdnern, dies freilich aus vielen europäischen Ländern und mit dem Bassisten Ricardo Pinilla Morales sogar aus Kolumbien selbst stammen, gestaltet. Unter Leitung des international geschätzten Dirigenten Josep Caballé-Domenech wurden Schumanns 2. Sinfonie sowie Orchesterlieder von Brahms gegeben, mit Johannes Klumpp am Pult gab es die Tragische Ouvertüre von Brahms, die 7. Sinfonie von Schubert sowie Schumanns Cellokonzert mit dem Solisten Jan Vogler, der darin gerne ein „Schicksalsstück“ für sich sieht und es im Teatro Mayor so risikofreudig und schwungvoll darbot, dass er sich mit einem Ausflug zu Bach für den immensen Applaus bedanken musste. Bach geht immer – und verbindet Europa mit der ganzen Welt.
Gemeinsam mit dem Geiger Ray Chen führte Vogler auch Brahms’ Doppelkonzert auf, begleitet vom Sinfonieorchester Antwerpen unter Robert Trevino. Dessen Interpretation von Schuberts 9. Sinfonie war naturgemäß von einem ganz anderen Stil geprägt als die Konzerte des Festspielorchesters, dem auch das Abschlusskonzert von „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“ zukam, in dem „Ein Deutsches Requiem“ von Brahms aufgeführt wurde. Unter Mitwirkung der spanischen Solisten Elena Copons (Sopran) und José Antonio López (Bariton) sowie des kolumbianischen Opernchores und des Philharmonischen Jugendchores gestaltete sich dieses Finale zu einem musikalischen Höhepunkt, der die künstlerische Qualität des Festivals ebenso wie dessen Internationalität noch einmal deutlich betonte. Mag sein, dass stehende Ovationen nach einem Requiem überraschend erscheinen, doch es war den etwa 1.300 Konzertbesuchern im ausverkauften Großen Saal des Teatro Mayor ganz offenbar ein Herzensbedürfnis, sich für die überwältigende Darbietung in dieser Form zu bedanken. Brahms würde Bogotá lieben, gar keine Frage.

Doch auch die kammermusikalischen Matineen, Nachmittagskonzerte und Soireen waren vom Feinsten, zumal mit Ensembles wie dem deutschen Mandelring-Quartett, den einheimischen Cuarteto M4Nolov und Q-Arte, dem französischen Modigliani-Quartett und dem Trio Alba aus Österreich ebenfalls hochkarätige Besetzungen vertreten gewesen sind. Klassische Musik lebt also unüberhörbar auf in Kolumbien. Während in Venezuela das einst vielbeachtete Erblühen musikalischer Breitenförderung derzeit aus fatalen wirtschaftspolitischen Gründen wieder welkt, legt sich das südamerikanische Nachbarland gerade mächtig ins Zeug. Publikumszuspruch und künstlerische Erfolge beim Musikfestival „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“ geben den Veranstaltern Recht.

Dass sie sich nicht nur mit einer konzisen Programmatik, nicht nur mit künstlerischer Qualität und nicht nur mit überbordendem Angebot schmückten, spricht für sich. Darüber hinaus sind die kolumbianische Herzlichkeit sowie das professionelle Management erwähnenswert. Generaldirektor Ramiro Osorio Fonseca war berechtigterweise sehr stolz, als er vor dem Abschlusskonzert eine überaus positive Bilanz zog und das mit Spannung erwartete Festival-Thema für 2021 bekanntgeben konnte: „Bogotá es Barock“.


  • Der Autor reiste auf Einladung der Dresdner Musikfestspiele nach Bogotá.

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