Hannes Beckmann war mit einer schier übermenschlichen Vitalität gesegnet. Sein Musizieren lebte von seiner Mischung aus jener zähen Willenskraft, die er auch als Persönlichkeit ausstrahlte, ausgelassenem Musikantentum, vulkanischem Feuer und natürlich einer wachen Neugier für fremde Kulturen und Wissen um die Geschichte und Möglichkeiten seines Instruments. Er spielte so intensiv, dass man manchmal das Gefühl hatte, jetzt müsse die Geige bersten.
Wo andere Geiger einfach ein Vibrato verwenden, brachte er die Saiten zum Glühen, denn sein Vibrato konnte einen unheimlichen Radius mehrerer naheliegender Töne umfassen. Und wo andere wohlüberlegt einen schnellen perlenden Lauf hinlegen, purzelten die Töne in einer Dringlichkeit wild und scheinbar blindlings, nach konventionellen Begriffen auch mal „falsch“ daher, doch stets war es stimmig, als könne es nicht anders sein. Er strich wild über die Saiten, als ginge es ums Leben, und in der Tat war es auch so, kämpfte er doch seit 15 Jahren gegen schwere Erkrankungen.
Diese Lebens- und Durchsetzungskraft kam jahrzehntelang nicht nur seinem Spiel, sondern dem Jazz zu Gute, denn der umtriebige Organisator war unter anderem Mitbegründer der Jazzmusikerinitiative München J.I.M. und des Jazzfestes München. Ein Jurastudium hatte ihn mit 20 nach München gebracht, von wo aus der „Teufelsgeiger“, der auch Schlagzeug und Gitarre beherrschte, zu internationalem Ruhm aufstieg. Zu Recht kam er trotz seiner ganz unorthodoxen Spielweise zu pädagogischen Ehren, ab 1995 als Jazzviolin-Professor in Belgrad, ab 2001 als Lehrbeauftragter der Münchner Musikhochschule. Dem Spiel des 1950 in Bielefeld Geborenen haftete trotz seines Studiums am Düsseldorfer Konservatorium freilich nichts Akademisches an. Nicht nur die Musik der Sinti und Roma, mit denen er viel musizierte, hinterließ Spuren. Wie bei seinem Jugendidol Stuff Smith hatten seine Improvisationen den Stallgeruch des Blues.
Im Gedächtnis bleiben wird das seit 1985 bestehende Hannes Beckmann Quartett und vor allem seine afrobrasilianische Band Sinto, in der die Perkussionisten Charles Campbell, Pery dos Santos und Edir dos Santos für den richtigen Beat sorgten, und von 1972 bis 1985 nicht nur die deutsche Jazzszene prägte. Eines ihrer Alben, „Tango des Friedens“, ist einem „Zustand gewidmet, den wir immer brauchen“ – eine Botschaft, die sich durch sein Werk zieht, das in den letzten Jahren auch von der Beschäftigung mit den Weltreligionen geprägt war.
Beckmanns Sicht auf die Musik war weltumspannend. Seine Musik war nicht einfach Jazz eines klassisch ausgebildeten Geigers. Sie speiste sich auch aus Quellen, die ihm aus Balkan, Lateinamerika, der Karibik, dem nahen Osten, Afrika oder von sonstwo zuflossen.
Sein Hauptwerk „Canto Migrando“, in dem sein eigens dafür gegründetes „Philharmonisches Jazzorchester“ mit Chor und allen erdenklichen Instrumenten, ja einem Rapper aufwartet, nennt sich „Ein musikalisches Spiegelbild des orientalischen, migrantischen Viertels rund um die Landwehrstraße in München“. Es entstand schon vor etwa zehn Jahren, lange vor den heutigen Flüchtlingsströmen und gibt uns Hoffnung, dass das, was in seiner stilistisch bunten Musik, in den internationalen Besetzungen seiner Bands so leicht fiel, auch im täglichen Leben möglich sei: das Miteinander des scheinbar Unvereinbaren. Am 17. März hat er seine Geige für immer aus der Hand gelegt, doch seine Botschaft aus „Canto Migrando“ wird noch lange nachhallen: „Die Kunst kann uns Brücke sein, vom Vorurteil sich zu befrei’n, lässt uns den Wert im andren seh’n, hilft so die Vielfalt zu versteh’n.“