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ChorWerk Ruhr. Foto: Pedro Malinowski
ChorWerk Ruhr. Foto: Pedro Malinowski
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Das kleine Chorwunder von der Ruhr

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15 Jahre ChorWerk Ruhr – eine Gratulation
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Werk klingt nach Arbeit, was zumal im Ruhrgebiet (Strukturwandel hin oder her) immer noch gern mit Maloche verdolmetscht wird, ganz und gar ungeachtet der Tatsache, dass das schweißtreibende Untertagewerken nun längstens der Vergangenheit angehört. Doch auch wenn der Himmel mittlerweile blau geworden ist über der Großagglomeration von Ruhr und Emscher, die alten Namen Revier und Pott (gern auch mit den Präfixen Kohlen- und Ruhr-) verhalten sich wie die Etiketten längst geleerter Flaschen, sie verschwinden nicht so schnell.

Andererseits: So erdenschwer das Werk ist, in der Kombination mit Chor und Ruhr wird daraus etwas anderes. Vor allem klingt es nicht mehr nach Arbeit, sondern nach Kunst. Neulich noch konnten wir uns davon überzeugen. ChorWerk Ruhr in den Chorälen der Matthäuspassion wie der Flügelschlag eines sich formierenden Vogelzuges, in den Chören entfesselt und durchleuchtet: das Leidensgewicht von BWV 244 austariert mit Eleganz. Florian Helgath, künstlerischer Leiter seit 2011, hatte sich im Zusammengehen mit Concerto Köln einen Wunsch erfüllt. Atemlose Stille in einer ausverkauften Essener Philharmonie, Jubel am Ende.

Der Breite Spitze geben

Dass ChorWerk Ruhr in den fünfzehn Jahren seiner Existenz zu einem NRW-Spitzenensemble aufgestiegen ist, mit Leuchtkraft über die Landesgrenzen hinaus, hat mit einer Ausgangskonstellation zu tun, in der die richtigen Leute zur richtigen Zeit mit einer Vision zur Stelle waren, ohne sich dafür zu schämen, ohne sie aber auch in jedem Moment an die große Glocke zu hängen. Bojan Budisavljevic, Projektleiter in den ersten kritischen Jahren, und da so etwas wie die verkörperte List der Vernunft, spricht von einem „Kairos“, einem glücklichen Moment. Gemeint, die in einer Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) zu Tage getretene städtebauliche Umsteuerungspolitik, die Abkehr vom verwüs­tenden Bauwirtschafts-Funktionalismus hin zu einer sozial-ökologischen und – das war der Pfiff – eben auch zu einer kulturellen Erneuerung, nota bene Förderung. Auf einmal war er da, der, wie man sagte, ganzheitliche Blick, der das Kunstwollen nicht länger als Bedrohung fürs „Milieu“, nicht mehr als Fremdkörper wahrnahm, sondern in seiner Leucht- und Bindungsfunktion erkannte, um so den in die Hunderte gehenden Chören im Ruhrgebiet einen wirklichen Spitzenchor zur Seite zu stellen. Zum anspornenden Aufschauen und Aufsteigen, namentlich für die fähigsten unter den Choristen der Region: Chorgründung mit eingebauter Exzellenz-Initiative. Dass dies gelungen ist, erscheint in der Nachbetrachtung wie vor dem Hintergrund des bekannten sozialdemokratischen Fremdelns mit der „Hochkultur“ wie das kleine Chorwunder von der Ruhr.

Als 1998/99 die programmatischen wie die strukturellen Konturen des Ensembles abgesteckt und die Gründung unter Dach und Fach waren – eine Kultur Ruhr GmbH als Trägergesellschaft, mit im Boot Kommunalverband Ruhr, Stadt Essen und das damalige Landesministerium für Arbeit, Soziales, Stadt­entwicklung, Kultur und Sport – als das neue Chorkind ausgerechet mit dem Milleniumswechsel laufen lernen sollte, war dies in der Außendarstellung der Versuch, zu „qualifizieren“, zu „profilieren“. Das reichte. Und als man in Frieder Bernius glücklich den ersten künstlerischen Leiter gefunden hatte, war es ohnehin klar, wohin die Reise gehen würde. Parallel dazu war man auf Initiative von IBA-Leiter Karl Ganser auf Gerard Mortier zugegangen, als Gründungsintendanten der neuen Ruhrtriennale, in die ChorWerk Ruhr seinerseits von Anfang an eingebunden war. Dann, nach dem Ende der Bernius-Ära 2003 war es Budisavljevic gelungen, sein Konzept der „wechselnden Handschriften“ durchzusetzen. Dem Ensemble ist es ausgesprochen gut bekommen, dass mit Sylvain Cambreling, Reinhard Goebel, Robin Gritton, Susanna Mällki, Peter Neumann, Peter Rundel, Bruno Weil, Hans Zender nacheinander sehr unterschiedliche Projektdirigenten ans Pult getreten sind. Erst 2008 ist man dann in Gestalt von Rupert Huber wieder zur Institution der festen künstlerischen Leitung zurückgekehrt, seit 2011 besetzt mit dem jungen Florian Helgath.

Dem Chor geben, was Chor braucht

„Alles, was ich machen will, kann ich auch machen“, freut sich Helgath. Und in der Tat: Der Kompromiss, das Zurückstecken – so hilfreich derlei Tugenden im Zwischenmenschlichen und bei Laienchören sein mögen – für Formationen, die nach den Sternen greifen, verbieten sie sich. Problemlos kann Helgath denn auch kleinere Solopartien, wie in der Matthäuspassion gefordert, aus dem Chor besetzen, ohne dass daraus für ihn schon ein „Solisten­ensemble“ würde. Ein Ausdruck, den Helgath nicht wirklich mag, weil für ihn auch ein Chor mit ausgebildeten Stimmen rechtens ein Chor bleibt, der sich auch als solcher verstehen und verhalten muss. Andererseits – für die künstlerische Bewährung bei zurückliegenden Ruhrtriennale-Runden, gehörte schließlich auch die Fähigkeit, sich in dramaturgisch-choreografische Konzepte zu fügen. Etwa in Willy Deckers Moses und Aron, wo der Chor in den Zuschauerreihen platziert war und sich die Stimmen einzig über eine Monitorzuspielung orientieren konnten. Und doch saß alles wie angegossen. Bloß singen, war gestern. (s. nmz online 25.08.09) Was nicht heißt, dass alles und jedes schon denkbar rund liefe. An der Textverständlichkeit, insbesondere am Schließmechanismus der Endkonsonanten bleibt zu arbeiten, selbst wenn die Worte einer Matthäuspassion so geläufig sind wie sie sind. Helgaths Credo, wonach alles, was gesungen wird „einen Sinn, einen distinkten Ausdruck haben muss“, gilt eben für jeden Takt. Gleichwohl, das Fazit stimmt hoffnungsfroh: In gerade einmal fünfzehn Jahren ist ChorWerkRuhr zum Synonym geworden für Mut und Experimentierfreude, für Exzellenz und Eleganz. Das organisatorische Gegenstück dafür ist eine Projektstruktur, an der man bis heute festhält. Unbeschadet der von Helgath favorisierten 24er-Kernbesetzung und trotz des Umstands, dass man professionell unterwegs ist und auch in der Vergütung Augenhöhe hält mit den Rundfunkchören, engagiert und bezahlt wird nach wie vor fürs Einzelprojekt. Chor nicht als Versorgung für Choristen. Chor als Aufgabe, als Hingabe. Das ist Spitze.

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