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Das Stück wird geboren wie ein Kind

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Die Koreanerin Sun-Young Pahg ist die erste „Composer in Residence“ des Archivs Frau und Musik in Frankfurt
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52 Komponistinnen aus aller Welt und jeden Alters hatten sich mit Partituren und Tonaufnahmen beworben. Die erste „Composer in Residence“ in Frankfurt am Main ist nun Sun-Young Pahg. Sie gehört noch nicht zu den Etablierten, erhielt aber schon etliche Kompositionsaufträge, und seit zehn Jahren werden ihre Werke an renommierten Orten wie Krakau, Göteborg, Straßburg, Berlin, Darmstadt, Köln, Frankfurt und Witten aufgeführt. Auch dass sie eine gewisse Bandbreite von kompositorischen Ansätzen aufweist, habe die Auswahljury von der Kandidatin überzeugt, berichtet Julia Cloot vom Institut für Zeitgenössische Musik der Frankfurter Musikhochschule (HfMDK), das mit dem Archiv Frau und Musik an dem Residenzprogramm beteiligt ist, das ab 2009 jährlich durchgeführt wird.

Residenz: Das klingt ja hochherrschaftlich. Wie residiert die Komponistin? Die etwa 60 Quadratmeter der Zweizimmerwohnung sind so schlicht eingerichtet, so weiß und leer die Wände, so abwaschbar der Boden, dass jedes Geräusch hallt. In drei kleinen Töpfen behaupten ein paar Blumen tapfer etwas wie Natur und Schönheit. Draußen plätschert ununterbrochen ein Springbrunnen gegen die Kantigkeit der Fassaden an. So richtig gemütlich wirkt die Residenz in den Hoffmanns Höfen neben dem Frankfurter Universitäts-Klinikum nicht, doch Sun-Young Pahg ist froh, dass sie hier ist. Das Main-Ufer ist nah, sie geht gern spazieren oder fährt mit dem von Nextbike gesponserten Leihfahrrad umher, sie kocht sich was; bald wird sie auch Konzerte und Museen besuchen. Einen Fernseher wollte sie nicht. Das Klavier im Arbeitszimmer und der Laptop auf dem großen Schreibtisch sind für die stille Zeitgenossin genug der Gerätschaften. Und abends, wenn der Tagungsbetrieb der Höfe zur Ruhe kommt, spielt sie auf dem Flügel der Aula Mozart und Bach. „Mir zur Freude.“ Diese Residenz heißt für die Komponistin: „Die Zeit an einem Tag wird größer.“ Sie müsse nicht zerschnitten werden wie sonst im alltäglichen Leben in Paris, das ständig irgendwelche Erledigungen erfordert. „Die Distanz macht viel aus.“ Sun-Young Pahg kann in Ruhe arbeiten. Komponieren.

Das ist der Sinn solcher Residenzprogramme: eine Art, Künstler – und hier speziell: Künstlerinnen – zu fördern, indem man ihnen per Stipendium und Wohnung Zeit in einer möglichst inspirierenden Umgebung schenkt. Dass gerade Komponistinnen (und Dirigentinnen) im Kulturbetrieb immer noch auffallend unterrepräsentiert sind, obwohl Frauen in anderen Kunstbereichen relativ gut aufgeholt haben, gab den Anstoß für dieses Frankfurter Projekt. Das Archiv Frau und Musik heckte es zusammen mit dem Institut für Zeitgenössische Musik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt aus und führt es nun auch gemeinsam durch. Hessischer Rundfunk, Ensemble Modern und Hoffmanns Höfe (in denen auch das Archiv sitzt) sind kooperativ dabei; finanziert wird es aus Mitteln von Land und Stadt und von der privaten Maecenia-Stiftung, die ihre Förderung sogar schon für fünf Jahre zugesagt hat. Drei Monate Frankfurt bekommt eine Residentin und ist frei, damit zu tun, was sie möchte. Kein Druck.

Nun tut Sun-Young Pahg, worauf sie schon lange Lust hatte: komponiert ein Solostück für Klavier. „Ich weiß, was ich will. Es muss nur raus.“ Auf die Idee war sie, wie es ihr stets passiert, während der Arbeit an etwas anderem gekommen. Sie hat sich viel mit Geräuschen beschäftigt und mit Elektronik gearbeitet und will jetzt, „ohne Zupfen und Schlagen“, das Klavier ganz pur nur mit den Tasten bespielen lassen. Und, eine weitere Gabe zur Residenz: Das Stück wird aufgeführt und mitgeschnitten. Es wird Teil des von Julia Cloot konzipierten Porträt-Konzerts am 6. November sein mit vier von Pahgs Werken, einschließlich einer Klanginstallation im Foyer der Musikhochschule. All dies wird eingebunden in die zweitägigen Feierlichkeiten des Archivs Frau und Musik zu dessen 30-jährigem Bestehen mit Konzerten, Empfängen und Gesprächen.

1979 wurde der Internationale Arbeitskreis Frau und Musik und sein Archiv gegründet, das inzwischen 20.000 Medien-Einheiten – Noten, Bücher, Nachlässe, Tonträger – beherbergt und sich unermüdlich für die Sichtbarkeit und Hörbarkeit von Frauen und ihrer Werke im Musikleben einsetzt. Damals begann die Koreanerin gerade, Klavier zu lernen. Geboren 1974 in Wonju, geht sie einige Jahre zur Musikschule, „bis klar war, dass ich keine erfolgreiche Pianistin werden würde“. Die Lehrer empfehlen ihr, Komposition zu lernen. Aus Ratlosigkeit macht sie das mit. Absolviert das Studium in einem Land, in dem Künste und Künstler nicht sehr angesehen sind, so dass sich hauptsächlich Frauen auf dem Gebiet tummeln, wie sie berichtet. Die drei Professoren für Komposition sind Männer. Für weitere Studien kann Sun-Young Pahg von 1999 bis 2003 an die Hochschule in Weimar gehen. Fast als Einzige interessierte sie sich in der Klasse von Robin Minard für Instrumental- und für Elektroakustik-Komposition. Erstmals werden dort ihre Stücke gespielt, und das ändert ihr Leben. „Dass Musik mein Weg ist“, fand sie erst hier heraus.
„Beim ersten Hören lerne ich das Stück kennen. Deshalb sind die Aufführungen so wichtig. Es gibt immer Stellen, die gelungen sind, so wie ich es haben wollte, und andere, wo es nicht so ist.“ Ändert sie dann etwas? „Nein. Das Stück wird geboren wie ein Kind.“

Sie arbeitet langsam. Nicht für die Schublade, sondern immer auf Basis eines Auftrags oder einer Vereinbarung. Als nächstes wird sie für das
Seoul Symphony Orchestra ein Stück für ein 17-köpfiges Ensemble schreiben. Nach weiterführenden Studien am IRCAM in Paris, Stipendienresidenzen in Straßburg und Annecy und einigen Auftragskompositionen hat sie nun den offiziellen Künstlerstatus, der sie zum Bleiben in Frankreich berechtigt. Einen Mann, ebenfalls Komponist, hat sie auch in Paris. Die Konzertszene der Neuen Musik dort findet sie allerdings zu sehr dominiert von immer denselben Namen. So wenig sie sich selbst auf einen Stil festlegen lassen will, so schätzt sie auch, je nach Phase und Interesse, unterschiedliche Komponisten. Hörte Lachenmann und Varèse, als sie Geräuschen nachging; Ligeti und Ferneyhough, als sie Harmonie und Komplexität verfolgte. Immer wieder Beet-hoven und die anderen Alten. Da sie Klänge mit Räumlichkeiten verbindet, holt sie sich Inspirationen auch aus der Bildenden Kunst.

Wie Sun-Young Pahg Prinzipien aus dem elektroakustischen Komponieren auf Instrumente überträgt, wird das Konzert im November zeigen. Der Schlagzeuger des Ensemble Modern, Rainer Römer, wird den 2006 für ihn komponierten „Monolog: aus dem Denken von Lucky“ wiederaufführen, wo Live-Elektronik kleine Lautsprecher auf vier ums Publikum herum aufgestellten Snaredrums steuern lässt, so dass (vom Band) Teile des „Think“-Monologs der ansonsten so stummen Beckett-„Godot“-Figur hörbar werden. „Ich spreche dir nach“ übersetzt diese Signaltechnik, genannt Envelope following, auf ein Instrumentalensemble. Dessen Klänge treten nur auf, wenn das Signalgeberinstrument Schlagzeug eine bestimmte Lautstärke erreicht. Dieses Changieren zwischen Vordergrund und Hintergrund, vorübergehendem Erscheinen und Verschwinden, scheint ein Kennzeichen von Sun-Young Pahgs Musik zu sein.
Dass sie und andere Musik von Frauen nicht nur strichweise an die Öffentlichkeit gelangen, braucht wiederum handfeste Aktionen. Renate Matthei vom Vorstand des Archivs Frau und Musik: „Nichts verändert sich von allein, sondern immer durch Engagement und durch gezielte Förderung.“

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