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Foto: Martin Hufner
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Der Blick aufs Detail und aufs Ganze

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Zum Tod des Musik- und Kulturkritikers Claus-Henning Bachmann
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Sein Ziel war die Einstimmung auf ein neues Hören. Mit Artikeln und Essays setzte sich Claus-Henning Bachmann ab 1978 in den großen Tageszeitungen und Musikzeitschriften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz für die Avantgarde ein, für das noch nicht Etablierte, gegenüber dem herrschenden Geschmack Unangepasste. Bevorzugte Komponisten waren Helmut Lachenmann, Vinko Globokar, Mathias Spahlinger und Silvia Fómina. Bei aller Genauigkeit im Detail stellte er die Musik immer in einen größeren kulturpolitischen Zusammenhang, vor dem Vordringen der Spaßkultur und der Verdrängung des Wortes durch das Bild nicht resignierend. Über mehr als zwei Jahrzehnte gehörte er zu den profiliertesten Musik- und Kulturkritikern im deutschsprachigen Raum. Für die neue musikzeitung schrieb er bis 1999 ein kritisches Tagebuch.

Dass dabei die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit immer wieder eine Rolle spielte, hing mit seiner Biographie zusammen. Als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und einer „arischen“ Mutter wurde Claus-Henning Bachmann 1928 in Hamburg geboren. Er musste erleben, wie der Vater das Berufsverbot erhielt, 1939 von seiner Frau verlassen und 1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Wie der Vater dabei dichtgedrängt auf einem Lastwagen stand, aufrecht, mit Hut, den Namen „Claus-Henning“ schreiend, blieb dem Sohn unvergesslich. Dem Vater zuliebe, der sich mit Arbeitsrecht befasst hatte, gründete Bachmann 1945 eine Ortsgruppe der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und versuchte sich als Unternehmer, bevor er schließlich zum Schauspiel fand.

Von 1962–1967 war er Chefdramaturg am Staatstheater Braunschweig, danach Lehrer für Schauspiel am Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, bis er 1970 vom Theater zur Musik überwechselte und Ende der siebziger Jahre nach Berlin zog.

Die Suche nach dem Vater und die Beschäftigung mit den Nazi-Verbrechen ließen ihn nicht los. Betroffen vom Musikleben in Theresienstadt, wurde er 1990 Mitbegründer des Fördervereins „musica reanimata“. 2008 veröffentlichte er seine psychoanalytisch erzählende Autobiographie „Freiheitsberaubung. Eine Vatersuche“.  Schon zuvor hatte er dem Archiv der Akademie der Künste seine umfangreichen Arbeitsunterlagen aus 50-jähriger Berufstätigkeit überlassen. Nach schwerer Krankheit ist Claus-Henning Bachmann am 1. Oktober in Berlin verstorben.

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