„Was macht der Mann am Mischpult mitten in der Berliner Philharmonie?“ mag sich mancher Zuhörer gefragt haben, der neulich ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern und Simon Rattle besuchte. Auf dem Programm „Surrogate Cities“ von Heiner Goebbels. Würde es nicht reichen, wenn die Tonband- und Sampleraufnahmen von einem Pult aus dem Off eingespielt würden?
Norbert Ommer ist die skeptischen Blicke gewohnt. Er hat gelernt, mit seiner Tätigkeit den Respekt der Mitwirkenden zu gewinnen. Die Zuhörer wissen oft nicht, was seine Aufgabe ist, denn hören im eigentlichen Sinne soll man das, was er macht, nicht. Dabei beeinflusst seine Arbeit am Pult in nicht unerheblichem Maße den Eindruck, den ein Musikstück beim Hörer erweckt und könnte doch Komponisten, Dirigenten und Musikern erheblich ins Handwerk pfuschen. Norbert Ommer will „das Unhörbare hörbar machen“ so liest man auf seiner Web-Seite.
Es geht um Sounddesign. Auch in der akustisch wunderbaren Berliner Philharmonie gilt es, den Stücken, die mit Elektronik arbeiten, ihre optimale Klangbalance und Dynamik zu geben. Im Sinne des Komponisten müssen die verschiedenen Klangquellen miteinander verschmolzen oder gegeneinander abgesetzt werden. Es geht um das Verhältnis der Instrumente und anderer Klangquellen zueinander, zum optischen Geschehen und zum Raum.
In „Surrogate Cities“ müssen zum Beispiel alle Klangquellen (Solisten, Orchester und Sampler) verstärkt werden. Norbert Ommer gibt hierzu den Sängern drahtlose Mikrofone und Monitorboxen auf der Bühne, wie man es in der Pop-Musik kennt. Der so verstärkte und über Lautsprecher zu hörende Klang muss sich mit dem akustischen Klang des Orchesters vermischen und von jedem Platz der Philharmonie aus optimal zu hören sein. Dazu brauchen einige Instrumente Unterstützung, damit sie nicht ganz im Klangbild verschwinden. Um diese Synthese zu erreichen, sind Kenntnisse und Erfahrungen aus der Aufnahmetechnik von Klassik und Pop Musik sowie aus der Raum-/Elektroakustik gefragt.
Beim jüngsten Erfolgsstück von Heiner Goebbels und dem Ensemble Modern „Landschaft mit entfernten Verwandten“ laufen etwa hundert Kanäle auf dem Mischpult auf. Es gibt allein 50 Mikrofone im Orchestergraben und auf der Bühne sowie 35 drahtlose Mikrofone, die nach einem festgelegten Plan Spieler und Instrumente wechseln. 6 Assistenten arbeiten hinter der Bühne, um den reibungslosen Ablauf, das präzise An- und Umstecken bei den 235 wechselnden Kostümen zu ermöglichen. Hinzu kommen noch CDs, die vom Pult exakt abgefahren und moduliert werden müssen. Klangdesign, das heißt nicht, eine glatte Oberfläche zu schaffen, das heißt, differenzierte Wahrnehmung zu ermöglichen, Wahrnehmung einer Musik, wie der Komponist sie im Kopf hat, das heißt bei Heiner Goebbels auch ganz speziell, immer wieder größtmögliche Textverständlichkeit. In der Partitur steht das nicht. Das muss der Klangregisseur am jeweiligen Ort unter den jeweiligen Bedingungen entwickeln. Was bedeutet das für den Klangregisseur? Partiturlesen, Zuhören, technisches Handwerkszeug und Erfahrung. Norbert Ommer ist Musiker, Klangregisseur und Sounddesigner. Er studierte Klavier und Klarinette in Köln und im Anschluss daran Musik und Nachrichtentechnik an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf, wo er sein Examen als Diplom-Ton- und Bildingenieur abschloss.
Schon als Schüler hatte ihn die Arbeit mit der Elektronik fasziniert, als 17-Jähriger saß er bei Stockhausens „Mixtur“ auf der Bühne an einem kleinen Mischpult, Peter Eötvös hat dirigiert. Überhaupt hat er viel von Stockhausen gelernt und bedauert, dass der Meister ihn nicht tiefer in seine Arbeit hat blicken lassen. Aber die Präzision des Handwerklichen hat er auf jeden Fall von ihm gelernt.
Mit 18 Jahren hat Norbert Ommer als Tontechniker die Sendungen des WWF-Club im Fernsehen gefahren, damals wurde der Sound noch Halb-Play-Back oder live gesendet, man musste oft ohne Probe den richtigen Sound produziern. 1992 arbeitete er beim Ensemble Modern am legendären Zappa-Projekt „Yellow Shark“ mit und machte bald die Klangregie bei Produktionen des Ensemble Modern mit Heiner Goebbels wie „Black on White“ und „Atlantis“. Seit 1992 verbindet ihn eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern – seit 1997 ist er dort Gesellschafter.
Als Sounddesigner und Klangregisseur hat Norbert Ommer sich bei zahlreichen Uraufführungen international einen Namen gemacht, darunter auch Frank Zappas „Greggery Peccary & Other Persuasions“, Peter Eötvös’ „Atlantis“, Heiner Goebbels’ „Eislermaterial“ und „Walden“, Mark Anthony Turnages „Blood on the Floor“, Steve Reichs „Proverb“, „City Life“ und „Three Tales“ oder Michael Gordons „Decasia“. Und er taucht auch gern mal ein in eine „andere Welt“ wie er es nennt, die Welt von Patti Austin, die neulich mit der WDR- Bigband Konzerte in Montreux gab. Zu den Komponisten, für die er regelmäßig arbeitet, gehören Peter Eötvös, Steve Reich, John Adams, Louis Andriessen, Kaja Saariaho und Fred Frith.
Dabei geht es ihm häufig wie bei Helmut Lachenmanns „Schwankungen am Rand“, dass die anfängliche Skepsis der Komponisten gegenüber der Technik schnell in Begeisterung des Komponisten für seine Arbeit umschlägt. Was bei der CD-Aufnahme selbstverständlich ist, dass man den Klang im nachhinein optimal abmischt, bedarf bei der Aufführung im Konzert noch der Überzeugungsarbeit. Man spürt schnell, dass Norbert Ommer die Macht der Technik nicht ausnutzt, im Dienste der Musik unaufdringlich, aber mit klarem Konzept arbeitet und dabei aus einem großen Fundus an Möglichkeiten und Erfahrungen schöpft.
Das Wichtigste ist für den Musiker und Klangregisseur immer wieder, das Vertrauen der Komponisten und Dirigenten zu gewinnen. Bei alledem geht er keine faulen Kompromisse ein.
Unmißssverständlich erklärt er auf seiner Homepage: „Klangregie ist die kompromißsslose Umsetzung von Partitur, Raumakustik und Elektronik.“ Für seine Arbeit an der Video-Oper von Steve Reich „Three Tales“ wurde Norbert Ommer im November 2002 der „Goldenen Bobby“ des Verbandes Deutscher Tonmeister für „herausragendes Sounddesign und Klangregie“ verliehen. Das schönste Kompliment aber ist für Norbert Ommer, wenn man von der Technik im Konzert gar nichts bemerkt hat. Dann hat er das Ziel seiner Arbeit erreicht: den Klang im Sinne des Komponisten und seines Werkes so für den Zuhörer zu designen, wie es unseren heutigen Hörgewohnheiten und den ästhetischen Vorstellungen des Komponisten entspricht.