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Label-Chef Manfred Eicher. Foto: Agostino/ECM
Label-Chef Manfred Eicher. Foto: Agostino/ECM
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Die Erkenntnis liegt im Dialog der Musiken

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40 Jahre ECM: Manfred Eicher geht mit seinem Label unbeirrt überraschende Wege
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Als Geschäftsmodell gehen in diesen Tagen – inmitten der größten Wirtschaftskrise seit Menschengedenken – erneut die aberwitzigsten Ideen durch, um ihrerseits eine neuerliche Steigerung des Wahnsinns (samt der Bonuszahlungsgierbefriedigung) zu generieren. Damit hat ECM nichts zu tun. Die drei (auch) global wirksamen Buchstaben bedeuten schlicht „Edition Of Contemporary Music“.

Und sie stehen schon auch für eine Art von Besessenheit, getragen freilich von Geradlinigkeit, von durchaus positiv zu bewertender Sturheit, von sagenumwobenem Qualitätsmanagement bis ins letzte und kleinste Detail. Um am Ende einer immer wieder neuen Wegstrecke immer wieder neu und immer wieder nur „Das Beste“ zu erreichen. Für die Musik, für die komponierenden oder improvisierenden Musiker, für „Das Produkt“ in totaler Schlüssigkeit, optisch, haptisch, akustisch. Besonders sorgfältige Aufnahmetechnik ist ein Kriterium der ECM-Philosophie. Der ECM-Sound liefert ein besonders klares und transparentes Klangbild, getreu dem Motto „The most beautiful sound next to silence“. Der grafischen Gestaltung galt von Anbeginn das ganz besondere Augenmerk. Und der Qualität der Musik jener unverwechselbare Ohrenblick. Garant für diesen facettenreichen „Dreiklang“ ist Manfred Eicher, geborener Lindauer, sozialisierter Kontrabassist im Umkreis des Joe-Viera-Free-Jazz-Trios, Gründer eben jener „Edition Of Contemporary Music“ im München des Jahres 1969. In jenem legendären „Swinging Munich“, das sich als erwachende und erwachsen-werden-wollende Metropole auf den Weg machte zur Olympiastadt, in einer Stadt, die nun ambitioniert unterwegs war Richtung Moderne. Am südwestlichen Stadtrand ergab sich in Kooperation mit einem Elektro-Audio-Video-Fachhandelsbetrieb die kaufmännische Basis für eine nun seit vierzig Jahren währende, durchaus antizyklisch aber aufs Ganze gesehen doch sehr erfolgreich laufende Arbeit mit weltweiten Stützpunkten zwischen Oslo, Tokyo, New York – frei von schierer Geschäftemacherei.

Die Persönlichkeit Manfred Eicher prägt unverwechselbar und unvergleichbar und authentisch das Label. So ausgeprägt, dass Abkupferer und Nachmacher, die sich ja allzu gerne an die erfolgreichen Modelle heften, haften bleiben im aneignenden Geifer. Ist Manfred Eicher ECM? „Zumindest mache ich das Programm“ sagt er frei von schüchternem Understatement. Und: „Musik ist das Unerklärbare, das Geheimnisvolle.“ Das Ideologische allerdings ist Eichers Sache nicht. Zwar schreiben bei ihm in den Booklets Artisten des Sprachlichen – und auch solche des Philosophischen. Doch dröseln die nicht weg ins Esoterische mancher Elfenbeimturmexistenz. Sie bleiben immer nah dran am Leisen, suchen nicht die hektisch-irrlichternde und blitzlichtdurchzuckte Times-Square-Tag-und-Nacht-Gleiche. Sie ertasten das Sensible, das Spirituelle, das „Geistige in der Kunst“ sprachlich – und lassen der Musik immer den ihr unvergleichlich eigenen Raum. Das ist Manfred Eicher pur. Er ist sich nachdrücklich im Klaren darüber, dass sich Erkenntnisgewinn nicht einzig dem Oberflächenglanz abtrotzen lässt. Nur in Verbindung mit dem Tiefenblick geht da etwas voran.

Eicher versteckt sich nicht hinter einer Global-Grimasse, sondern steht ein für jeden Ton, übernimmt persönlich die Verantwortung dafür. Da kann schon auch einmal ein „falscher“ Ton(Fall) dabei sein. Das bleibt nicht aus beim experimentellen Ansatz. Andererseits: Was ist schon richtig, was falsch? Jedenfalls ist die von ihm nach außen getragene Ruhe eine scheinbare. Hinter der Inszenierung seiner ins ECM-Image integrierten äußeren Erscheinung, die sich lückenlos verbindet mit dem, was Marketingleute als „corporate identity“ bezeichnen, lodern zeitgleich höchst heftig zahllose Flächenbrände. Und deren vernichtende Kraft gebiert als mittelfristige Folge davon ein Continuum an Innovationen. Aus dem resultierenden Humus erwächst Neues, der Kontakt zu neuen Musikern, Erneuertes für die Kombinatorik musikalischer Ideen.

Nach dem reinen Jazz der Anfangsjahre folgte die Gründung der NEW SERIES. Und immer auf der Suche nach dem Klang und seiner Vermittlung verfährt Eicher nach dem Motto: „Es gibt sie, eine Kunst des Hörens, und eine Kunst, den richtigen Augenblick wahrzunehmen und ihn technisch festhalten zu können.“ Wie  den „Free Jazz“, eine kammermusikalische Entwicklung, die mit den Klaviersolo-Aufnahmen eines Chick Corea, eines Keith Jarrett oder eines Paul Bley vom Beginn der siebziger Jahre gestartet war: Alle spielten auf demselben Steinway Flügel in Oslo. 1984 haben Gidon Kremer und Keith Jarrett mit Arvo Pärts Album „Tabula Rasa“ erstmals zusammengespielt, Traditionen von Jazz und Klassik begannen einen neuen Diskurs, jenseits von Strawinsky und Hindemith, neuerdings auch jenseits jenes ominösen „Third Stream“. Eicher will „keine konturlose Musik“. Auf dem Territorium der musikalischen Utopien etabliert er neben Kim Kashkashian und András Schiff das Bruckner Orchester Linz und Dennis Russell Davies, die Komponisten Steve Reich, Philip Glass, Giya Kancheli kontrastiert er den Kollegen Erkki-Sven Tüür, Valentin Silvestrow, Alexei Lubimov, Beethoven erscheint neben Carla Bley, Dino Saluzzi neben Stefano Battaglia neben Johann Sebastian Bach, Thomas Zehetmair mit Ysaye neben dem „Zehetmair Quartett“ mit Béla Bartók, das „Rosamunde Quartett“ spielt Haydns „Sieben letzte Worte“ in einer Referenz-Aufnahme und Tigran Mansurian-Quartette neben Thomas Larchers „IXXU“, und es interpretiert zusammen mit Christian Gerhaher Othmar Schoecks „Notturno“. Tausend Produktionen sind es aus vierzig Jahren, die ECM versucht präsent zu halten, von Abercrombie bis Zehetmair, von Jan  Garbarek über Egberto Gismonti über das Hilliard Ensemble über Heinz Holliger über Pat Metheny über Meredith Monk über Eicher’sche Tonspuren für Jean Luc Godards „nouvelle vague“ etwa – die Liste ließe sich ad infinitum fortführen.

Wichtigstes Kriterium ist der Dialog, ist die kontinuierliche gegenseitige Inspiration der Musiken untereinander, zwischen den Musikern und ihrem Publikum. Und da in kein populistisches Mischmasch zu verfallen, sondern Kurs zu halten: Das ist gelungen. Und ein paar Long-and-great-Seller sind auch passiert, das „Cologne Concert“ von Keith Jarrett, der eine Garbarek, und –  in jüngerer Zeit – Produktionen mit Nils Petter Molvaer oder Nik Bärtsch. Daraus finanziert sich dann der Weg ins unerprobte Gelände. Immer wieder neu, immer wieder getragen vom untrüglichen Qualitätswissen Manfred Eichers. Mit dem ECM-Festival „Der blaue Klang“ in Mannheim und dem Berliner Solokonzert des Keith Jarrett feiert sich die Münchener Institution ECM selbst in diesem Herbst. Da lässt sich von hier aus und äußerst herzlich formulieren: Glückwunsch und weiter so höchst eigensinnig auf der experimentellen Strecke, auf der das versucht wird, was es noch gar nicht gibt.

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