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Lockere Saiten. Foto: Beethoven bei uns
Lockere Saiten. Foto: Beethoven bei uns
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Die Saiten lockern, über die Revolution reden

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Vier ganz besondere Hauskonzerte des Projekts „Beethoven bei uns“
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Am Wochenende vom 14. bis 15. Dezember wird Beethovens Musik in zahlreichen gemütlichen Wohnzimmern, in Ateliers und auf kleinen Bühnen und mancherorts sogar auf öffentlichen Plätzen erklingen. Mit der Hauskonzertreihe „Beethoven bei uns“ möchte Andreas Kern, der unter anderem auch die „Piano City“ – eine ähnliche Konzertreihe rund um Klaviermusik – ins Leben gerufen hatte, einen besonders vielfältigen Auftakt mit möglichst vielen Beethoven-Begeisterten auf die Beine stellen. Gerade diese Vielfalt soll das Wochenende auszeichnen: Nicht nur „klassische“ Konzertformate mit hochkarätigen Künstlern, sondern auch viele Crossover-Projekte mit anderen künstlerischen Disziplinen, beispielsweise das Konzert des Klenke Quartetts, das von Axel Milberg um literarische Texte aus verschiedenen Epochen ergänzt wird, zahlreiche Schülerprojekte und gemeinsames Musizieren, Diskutieren und Reflektieren stehen auf dem Programm.

Gleich mehrfach kommt Beethoven in Bayern an und zwar mit dem Zug: Das Streichquartett Lockere Saiten tingelt am 14. Dezember mit ganz eigenen Interpretationen bekannter Beethoven-Stücke durch die bayerischen Bahnhöfe mit Halt in Ingolstadt, Bamberg, München, Schweinfurt, Würzburg, Landshut, Nürnberg und Regensburg. Die Violinisten Abel Cruz Lezama und Valentín Sánchez Piñero sowie Bratschist Alexander Nowikow und Kontrabassist Igor Šajatovic studieren an der Musikhochschule in Nürnberg und haben es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Menschen mit klassischer Musik zu erreichen: „Unsere Musik ist eine Kombination vieler Stile: Klassik, Rock, Pop, Folklore. Unser Ziel ist es, auch Menschen zu begeistern, die sonst vielleicht kein typisches Klassik-Publikum sind. Wir wollen ganz verschiedene Ideen, Gemütszustände und Gefühle transportieren, damit die Leute sich mit unserer Musik identifizieren können, egal, welchen Musikgeschmack sie haben,“, erklärt Abel Cruz Lezama, der alle Stücke für das Quartett selbst arrangiert. Nur konsequent also, dass die Lockeren Saiten bei „Beethoven bei uns“ ein bisschen schummeln und Beethovens Musik im öffentlichen Raum der Bahnhofshallen präsentieren. „Die Stücke werden nicht klassisch arrangiert sein und vielleicht wird manchen Zuhörern gar nicht gleich auffallen, dass es sich um Beethoven handelt. Wir möchten die klassische Musik sozusagen verbreitern, weil viele Menschen ohne Vorbildung nicht so einen guten Zugang dazu haben.“

Neue Formationen

Durch „Beethoven bei uns“ sind aber auch ganz neue Formationen entstanden. Der Bildhauer und Maler Janus Hochgesand lernte über das Netzwerk das Trio Nichiteanu kennen. Die Formation um Bratschistin Andra Nichiteanu mit Danae Papamatthäou-Matschke an der Violine und Johannes Raab am Cello wird am 15. Dezember in Hochgesands Atelier Werke von Dohnanyi, Schubert und Beethoven spielen, während der Künstler eines seiner großflächigen Gemälde anfer­tigt. Nichiteanu, deren Mutter auch Bildende Künstlerin ist, war sofort begeistert. „Sie kam zu mir ins Atelier und wir haben überlegt, wie wir das machen könnten und sie hatte direkt so einen Zugang zu diesem Ort, zu mir und zu der Malerei. Es war direkt klar, wo es hingehen soll.“ Hochgesand arbeitet zwar häufig mit Musik, betritt mit dem Livepainting aber bewusst völlig neues Terrain. „Musik ist für mich ein Rhythmusgeber und versetzt mich in eine bestimmte Stimmung. Ich bin gar kein Klassik-Spezialist, aber das ist für mich gerade die Herausforderung und das Spannende: Zu sehen, was dann passiert, ob sich mein Bild dadurch total verändert.“ Während das Trio vor den Gästen im Atelier spielt, wird der Künstler – von oben gefilmt und live in den Zuschauerraum übertragen – in einem etwas abgegrenzten Bereich an seinem Werk arbeiten.

Auf der etwa zwei mal drei Meter großen Stoffbahn entsteht dann eine Art Action Painting mit verschiedensten Techniken und Werkzeugen wie Schuhen, Schraubenzieher oder sogar einem Staubsauger. Hier merkt man, dass Hochgesand von der Bildhauerei kommt. „Materialität, Struktur und Oberfläche sind meine Protagonisten, das Haptische, was dann über die Öl- und Pigmentfarbe entsteht. Für mich ist das teilweise wie Teppich-Weben.“

Mit seinen „3 Kurz Opern“ ergänzt Andreas Bär die sonst streichquartett- und klavierlastige Konzertreihe um ein ganz untypisches Format. Die drei Stücke für Gesang, Saxophon-Terzett und Schlagzeug sind sonst in Berlin und Wuppertal zu sehen und zu hören, am 14. Dezember bringt Bär sie mit verkleinertem Bühnenbild ins Schauspielhaus Bergneustadt. Das erste Stück „Hinfort mit dem Schleier“ – eine Hommage an Schopenhauer und die Aufklärung mit groovigen Klängen und Klassik-Reminiszenzen – und das dritte Stück „Irgendwas mit Beethoven“ – eine Bearbeitung von Beethovens Trio op. 87 – bilden dabei die thematische Klammer.

Vertonte Momente

In der Mitte steht die stilis­tisch ganz eigene Momentaufnahme eines Wütenden, in Anlehnung an den Mörder Sparafucile aus Rigoletto „Gli Sparfucili“ genannt. Denn nach einem Meisterkurs in Mantua kam ihm die Idee zu den „3 Kurz Opern“, als man ihm das Haus von Sparafucile zeigte. „Das zweite Stück ist sehr rhythmisch, es beginnt im 5/4-Takt und klingt sehr stark und hart. Das ist eine völlig eigene Art von Musik, ich kann das gar nicht irgendwo einordnen, sie ist treibend, auch irgendwie seltsam.“ Verbunden sind die drei musikalisch so unterschiedlichen Stücke durch die Art der Erzählung. „Jede der drei Kurz Opern ist ein vertonter Moment. Wenngleich die Handlung sehr statisch ist – es ist eben einer, der da steht und seine Gedanken äußert –, geht es trotzdem um diese klassischen Opernthemen Wahnsinn, Liebe und Vernunft.“

Zu den ungewöhnlicheren Formaten von „Beethoven bei uns“ zählt auch die Veranstaltung „Talkin’ bout a revolution“ in Berlin mit Josefine Göhmann und der DJane Colonel Schneider. 

Neben ihrem Konzert mit Mario Häring und dem Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin wollte die Sopranistin auch einen Abend in ganz persönlicher Atmosphäre in das Projekt einbringen. Hier soll die besondere Verbindung von Politik und Musik ganz frei nach den Impulsen der Gäste diskutiert werden. Die können dafür beispielsweise CDs und Platten, aber auch verschiedene Texte mitbringen, DJane Colonel Schneider sorgt dabei für die passenden Grooves. Denn Beet­hovens Bewunderung für Napoleon und die bürgerlichen Bewegungen bildet zwar thematisch die Grundlage des Abends, soll aber durch viele weitere Knotenpunkte von Musik und Politik bis in die Gegenwart ergänzt werden. Dabei könnten beispielsweise Musik und Texte von Weill und Brecht, oder auch die Protestsongs der 68er-Bewegung thematisiert werden. Ein ganz besonderes Beispiel für die Verbindung von klassischer Musik und Politik ist für Josefine Göhmann das Variationswerk „The People United Will Never Be Defeated!“ von Frederic Rzewski. Es basiert auf dem chilenischen Protestlied „El pueblo unido“. „Meine Mutter ist Chilenin und sie sagt, dieses Stück bewege ihr Herz total. Ich glaube, dass unser Herz nicht nur durch Liebe, Familie und Freunde in Schwingung versetzt werden kann, sondern dass auch unser politisches Herz der Musik sehr nahe steht.“ Darüber lohne es sich zu sprechen. Den Rahmen der Hauskonzerte findet Göhmann dafür sehr passend. „Wer nicht mit klassischer Musik aufgewachsen ist, für den hat das etwas Fernes, etwas, wo vielleicht Berührungsängste bestehen. Wenn man sich aber klar macht, was im Rahmen von Kammermusik früher gewesen ist, sind da einfach Leute, die nahe aneinander gewohnt haben und zusammengekommen sind, um etwas zu teilen. Aber es ging nicht irgendwie darum, zu zeigen was man alles besitzt und schick ins Konzert zu gehen, sondern darum, zusammen in einer Situation zu sein und in einem ,Teilen‘. Und das finde ich das Großartige an der Initiative von Andreas Kern: Lasst uns ein bisschen darauf zurückbesinnen, was ein Hauskonzert ist, nämlich nicht etwas hochgestelltes, sondern etwas, was wir alle einfach selbst initiieren können.“
 

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