Der junge Musikwissenschaftler und Komponist Rainer Riehn, 1941 in Danzig geboren, traf im Sommer 1965 bei den Darmstädter Ferienkursen den zehn Jahre älteren Musiktheoretiker Heinz-Klaus Metzger. Es war die Begegnung seines Lebens. Metzger, der Ältere und Erfahrene, wurde Riehns Mentor und Freund. Beide orientierten sich an Arnold Schönberg, Theodor W. Adorno und John Cage. Sie entwickelten gemeinsame Projekte im Bereich der Neuen Musik, wobei sich Metzger als der theoretische Kopf, Riehn eher als Praktiker erwies.
Ein erstes Ergebnis ihrer Zusammenarbeit war das 1969 gegründete Ensemble musica negativa, das sich programmatisch der gängigen Auffassung von Musik als dem Schönen, Positiven und Tröstenden widersetzte. Metzger und Riehn verstanden Musik vielmehr als Stachel im Fleisch der Gesellschaft, als Ausdruck einer Fundamentalopposition. Eine Schallplatte des Ensembles mit Musik von John Cage, Morton Feldman und Earl Brown war deshalb als „Music before Revolution” betitelt.
Als „Kampfschrift gegen die herrschende Kriterienlosigkeit“ riefen sie 1977 die Komponisten-Reihe der „Musik-Konzepte“ ins Leben. Das erste Heft widmeten sie erstaunlicherweise Claude Debussy, dessen wegweisende Momente sie herausstellten. Dieser Komponist war ein Diskussionsthema gewesen, als Cage durch Metzgers Vermittlung Adorno kennenlernte. Ungewohnt Neues entdeckten weitere Hefte auch bei Josquin, Palestrina, Bach, Haydn und Bruckner. Der musikwissenschaftlich wie kompositorisch beschlagene Rainer Riehn besorgte dabei die peniblen Werkverzeichnisse und Bibliographien, trat als Autor aber bescheiden in den Hintergrund. Größere Gedankenentwürfe oder Polemiken überließ er seinem Freund Metzger.
1984 erhielten Metzger und Riehn als Herausgeber der „Musik-Konzepte“ den Deutschen Kritikerpreis. Der Unterzeichnete durfte die Laudatio verlesen, in der es hieß: „In einer Zeit des ständig wachsenden Musikkonsums, in der das Nachdenken über Musik den Charakter des permanenten Widerstands angenommen hat gegen die Allmacht der Marktstrategen und die Verdummungskampagnen der Massenmedien, sind die Musik-Konzepte zu einem Brennpunkt der Reflexion über Musik geworden“. Das erwies sich auch in anregenden und gedankenreichen Bänden zu Schumann, Schönberg, Webern, Hans Rott, Erich Itor Kahn, Giacinto Scelsi, Jean Barraqué und 1998 im Jubiläumsheft zum Begriff des Fortschritts, an dem die beiden Herausgeber unvermindert festhielten.
Metzger und Riehn, die dazwischen auch als Chefdramaturgen an der Frankfurter Oper wirkten, traf es tief, als ihnen 2003 der Verlag kündigte. Mit Unterstützung der Siemens-Stiftung riefen sie unter dem Titel „querstand. musikalische konzepte“ eine neue Komponisten-Reihe ins Leben, in dem noch Bände zu Messiaen, Janácek, Nono und Eisler erschienen. Allerdings schwanden zusehends die Kräfte des Freundeduos bis Heinz-Klaus Metzger 2009 starb. Die beiden Männer hatte man bis dahin regelmäßig bei Berliner Konzerten gesehen. Nach dem Tod seines Partners, dessen Briefwechsel mit Adorno er zuletzt herausgab, wirkte Rainer Riehn noch stiller und melancholischer als schon zuvor. Gerne erwähnte er dagegen seine vielgespielte Kammerorchesterfassung von Mahlers „Lied von der Erde“ oder weitere Metzger-Gedenkkonzerte.
Am 9. Juni ist Rainer Riehn gestorben – am gleichen Tag wie James Last, dem Gegenpol einer musica negativa.