Manfred Trojahn ist ein Komponist, der sich jeder Gattung stellt: Lied, Kammermusik, Chorwerk, Sinfonie. Alles da. Und jede Abteilung des Werkverzeichnisses imponierend gut gefüllt. Nach Hans Werner Henze und zwischen Aribert Reimann und Wolfgang Rihm ist er zudem der renommierteste für Opernnovitäten zuständige Deutsche. Da seine fünfte und bislang letzte Oper „Orest“ die Nagelprobe der Nachinszenierungen nach der Amsterdamer Uraufführung von 2011 schon mehrfach bestanden hat, ist sie auf gutem Weg zu einem Stammplatz im Repertoire.
Was auch daran liegt, dass Trojahn nicht so tut, als gäbe es das Vorhandene nicht. In der Wahrnehmung des Publikums ist genau das ohnehin der Maßstab. Der Komponist hat ein unverkrampftes Verhältnis zur Tradition und geht selbst mit dem ihm zugeschriebenen Etikett Eklektizismus so um. Das bedeutet für die Freiheit von einer übergeordneten Instanz. „Dieser Dogmatismus der Systeme ist eine Katastrophe“ und „jeder hat recht – innerhalb seines Systems“, so Trojahn (Die Deutsche Bühne 3/1998).
Er musste nicht mehr wie Hans-Werner Henze in den 50er-Jahren nach Italien. Er konnte zwanzig Jahre später auch nördlich der Alpen bei sich selbst bleiben. Seit Jahrzehnten auch mit einem Wohnsitz in Paris kam zum deutschen Erbteil, der eigenen Sinnlichkeit und Literatur-Affinität, auch eine französische Komponente hinzu.
Zur Oper kam der im niedersächsischen Cremlingen Geborene erst spät mit seinem Erstling „Enrico“ (1991) nach Pirandello zu einem Libretto von Claus H. Henneberg. Auch in allen weiteren Opern bleibt Trojahn bewusst beim Geschichtenerzählen. Er vertraut auf die emotionale Energie der Musik und setzt nicht auf die dogmatische Mutwilligkeit einer Dekonstruktion von Handlung und Musik. Das schließt auch altmodisch handwerkliche Tugenden wie Textverständlichkeit ein. Das sichert ihm per se Aufgeschlossenheit und Verbündete beim Opernpublikum. Trojahn sieht sich selbst ausdrücklich nicht nur als Musiker, sondern (wie Verdi es einmal für sich beanspruchte) als „uomo di teatro“ (Die Deutsche Bühne 2/2017).
Sein „Orest“ erwies sich schon bei der zweiten Inszenierung 2013 in Hannover und dann auch in Zürich oder Wien als höchst ergiebig für eine klug zugreifende Interpretation. So ähnlich wie es Henzes „Bassariden“ längst ergeht. Mit dem selbstverfassten Libretto, das der Vorlage des Euripides folgt, setzt Trojahn da ein, wo die „Elektra“ von Strauss und Hofmannsthal aufhört, und findet schnell zur eigenen sinnlich tonalen, suggestiv raunenden, immer wieder auch mit dramatischer Wucht ausbrechenden, manchmal explodierenden Sprache. Durchaus lukullisch und den spätromantischen Vorfahren verpflichtet.
„Limonen aus Sizilien“ zum Libretto von Wolfgang Willaschek nach Luigi Pirandello und Eduardo De Filippo (2003) ist dagegen ein in der musikalischen Abendsonne der italienischen Theater- und Operntradition gereifter, bekömmlich verständlicher Dreiteiler, bei dem das Parlando zwischen lakonischer und atmosphärischer Sinnlichkeit changiert. In „La grande magia“ (Libretto: Christian Martin Fuchs, nach Eduardo De Filippo, UA 2008 in Dresden) geht er mit dem großen klassischen Orchester genauso souverän um wie mit den Stimmen. Ohne Scheu vor Inseln von betörendem Wohllaut und Schönheit. Auch hier ist kein Tonsetzer am Werke, der sich seine Klangwelt konstruiert, sondern ein Komponist, dem die intuitive Eingebung willkommen ist, der am Konversationsstil von Richard Strauss ebenso wächst wie an Mozarts Ensembleperfektion.
2002 hat Trojahn für Amsterdam die Rezitative von Mozarts „La Clemenza di Tito“ neu vertont. Mit der gleichen Gelassenheit, wie der dann schon über Siebzigjährige uomo di teatro einen Prolog für den nächsten „Don Carlo“ in Dresden beisteuern wird. Das stimmt genauso erwartungsfroh wie die Tatsache, dass er bei seinen Sinfonien „erst“ bei der laufenden Nr. 5 angekommen ist …