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Klingende Echos des Vergangenen: Hans Abrahamsen. Foto: Lars Skaaning
Klingende Echos des Vergangenen: Hans Abrahamsen. Foto: Lars Skaaning
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Erinnern, übermalen und neu gestalten

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Der dänische Komponist Hans Abrahamsen im Porträt
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Er zählt zu den erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart. Prominente Solisten, Dirigenten und Klangkörper führen die Werke von Hans Abrahamsen auf, in allen Teilen der Welt. Zuletzt sorgte 2013 die Uraufführung von „Let me tell you“ für Sopran und Orchester für Aufsehen – realisiert von Barbara Hannigan und den Berliner Philharmonikern unter Andris Nelsons (siehe CD-Hinweis). Jetzt ist die Ersteinspielung dieses Werks erschienen. Doch wofür steht der dänische Komponist? Was will seine Musik?

Wer das Sein und Wollen von Hans Abrahamsen genauer betrachtet, stößt bald auf Bilder von Gerhard Richter. Ähnlich wie der deutsche Maler, inszeniert auch der dänische Komponist vielschichtige Realitäten, indem er eigenes und fremdes Material übermalt und neu gestaltet. Ausgesprochen tonal und traditionsgebunden gibt sich seine Musik, um das scheinbar Bekannte und Konkrete auszuhöhlen. Konturen verschwimmen, wobei einzelne Farbtöne nuancenreich ausschattiert werden – oder Motivpartikel und metrische Muster.

Tatsächlich war es eine Richter-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig, die Abrahamsen faszinierte – damals, als er gerade an „Schnee“ arbeitete. In diesen zehn Kanons für neun Instrumente von 2006/08, die Johann Sebas-tian Bach reflektieren, überträgt er die Farbe Weiß auf die Musik – luzid und fragil, zerbrechlich und kristallklar, kalt und hell. Aus strenger, fast schon minimalistischer Reduktion erwächst eine farblich-expressive Vielschichtigkeit, die stark an Richters Grau-Bilder erinnert. „Ja, ich spüre eine enge Verbindung zu Richters Malerei“, bekennt Abrahamsen im Gespräch.

Pop-Art, Fluxus, Minimalismus: Mit diesen Strömungen haben sich gleichermaßen Abrahamsen und Richter in den 1960er-Jahren intensiv beschäftigt. Für den 1952 in Kopenhagen geborenen Abrahamsen war das auch eine Reaktion auf die zentraleuropäische Musik-Avantgarde. „Natürlich ist Dänemark im Vergleich zu Deutschland eine Provinz“, sagt er. „Neue Musik kam erst sehr spät zu uns, und die dänische Musik stand außerhalb von Darmstadt, Köln oder Donaueschingen. Wie in England oder Amerika sind dänische Komponisten ‚befreit‘ von alledem, es ist eine gewisse Freiheit.“

Komponisten wie Per Nørgård, bei dem Abrahamsen studierte und der in diesem Jahr mit dem Siemens-Musikpreis gewürdigt wird, hätten „eigene Antworten“ gefunden. Die jüngere Generation sei hingegen nicht zuletzt mit der Musik aus Amerika aufgewachsen. „Wir haben wirklich alles gehört – auch die Beatles. Diese Freiheit hat zu einer Art Polystilismus geführt.“ Dahinter verbirgt sich nicht zuletzt ebenso eine „Neue Einfachheit“ – ein Schlagwort, mit dem bereits Morton Feldman gewaltig haderte. Von ihm stammt der Ausspruch, dass diese Musik weder neu noch einfach sei. „Feldman hat absolut recht“, betont Abrahamsen. „Zu Beginn war das äußerst experimentell und auch keineswegs traditionell.“ Abrahamsen meint damit auch seine eigenen Werke wie „Foam“ für Orchester von 1970: In einfachster Expression schimmert fast schon die naive Malerei durch. „Ich habe mich selbst nie als traditionell empfunden, im Gegenteil: Um die richtigen Antworten für sich zu finden, muss man radikal sein. Und zwar in dem Sinn, dass man Dinge verbindet, aber auf eigene, neue Art.“

Und doch kultiviert die Musik von Abrahamsen zugleich eine besondere Affinität zur deutschen Romantik, mehr oder weniger subtil – eine weitere Parallele zu Gerhard Richter. Ein frühes Beispiel hierfür ist das Orches-terstück „Nacht und Trompeten“ von 1981, wobei Robert Schumann ein zentraler Bezugspunkt ist. Das Ensemblewerk „Wald“ von 2009 verweist wiederum auf Schumanns „Waldszenen“, und schon die „Arabeske“ aus den zehn Klavierstudien von 1983/98 ist eine deutliche Huldigung. Es sind dies „klingende Echos des Vergangenen“, ein „kulturelles Gedächtnis“.

Diese zehn Klavierstudien haben eine herausragende Bedeutung im Schaffen Abrahamsens, weil sie diese „Kultur des Erinnerns“ nicht einfach leben, sondern wesentlich begründen. Als Materialfundus und Quelle der Inspiration haben sie zahlreiche Werke inspiriert – darunter die „Märchenbilder“, das Horn-Trio, das Klavierkonzert von 1999/2000 oder die vier Orchesterstücke von 2002/04. Der Akkord gleich zu Beginn der zehn Klavierstudien stammt wiederum seinerseits aus den „10 Preludes for String Quartet“ von 1973.

Denn zur „Neuen Einfachheit“ gehört für Abrahamsen auch das Zitat oder Zitathafte, der „Schatten klingenden Seins“. Diese Schatten hat Abrahamsen für sich erst vollständig erfasst und erschlossen, als er tief in der Krise steckte. Er selbst spricht von einer „Zeit des Wartens“, die von 1988 bis 1997 andauerte. „Ich glaube nicht, dass es eine Krise war. Vielleicht habe ich zu lange gewartet. Was ich zu komponieren begann, erschien mir dumm und leer. Ich habe meine Worte verlernt und konnte keine Magie aus mir dringen lassen. Ohne die Magie kann ich aber eben nichts schreiben. Das war ein großes Leiden für mich.“

In dieser Zeit hat Abrahamsen Skizzen notiert und Werke transkribiert – eigene oder andere Musiken übermalt und neu gestaltet. Eine neue Freiheit sei für ihn angebrochen, sagt Abrahamsen. „Natürlich sollte man als Komponist wissen, was heute um einen herum geschieht. Aber man muss es gleichzeitig ignorieren und dies ertragen können. Man sollte riskieren, nur dem zu folgen, was man tun muss. Wer bin ich? Woher komme ich? Es darf keinen Totalitarismus in der Musik geben.“
 

Hans Abrahamsen: Let me tell you. Barbara Hannigan, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Andris Nelsons. Winter & Winter
Der mit dem Grawemeyer Award ausgezeichnete Zyklus, der Shakespeares Ophelia in der Bearbeitung von Paul Griffiths eine ganz eigene Stimme verleiht, findet in Barbara Hannigan eine überragende Interpretin. Abrahamsens fragil schillernde Musik öffnet ihr für diese Soloszene einen weiten Ausdrucksraum – vom BR-Symponieorchester unter Andris Nelsons mit äußerster Sensibilität bespielt. Die Aufnahmequalität bildet all dies ideal ab, was sich gerade auch anhand der tadellosen Vinylversion nachvollziehen lässt. jmk

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