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Radikale Ansätze: der Komponist Alexander Schubert. Foto: privat
Radikale Ansätze: der Komponist Alexander Schubert. Foto: privat
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Hyperaktives Sensorium

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Der Komponist und Performer Alexander Schubert verbindet mediale Wirklichkeiten zu explosiven Gemischen
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„Wir laden unsere Batterie/Jetzt sind wir voller Energie/Wir sind die Roboter“ tönt es zu Beginn von Kraftwerks zukunftsweisendem Album „Mensch-Maschine“ und dieses „Wir“ war schon 1978 mehr als das lyrische Ich der Maschine, sondern auch aus der Perspektive der Menschen gesprochen, die sich auch jenseits der Kraftwerk-Bühne allmählich anschickten, sich in androide Mischwesen zu verwandeln. Hatten Kraftwerks technisch-soziale Utopien zu Beginn des PC-Zeitalters noch die Aura von Science-Fiction, sind die Vermischungen von Mensch und Technik, Lebenswirklichkeit und digitaler Konstruktion zu Beginn des 21. Jahrhunderts in jede Faser des Alltags eingedrungen.

Wir schreiben das Donaueschinger Jahr 2017: das Publikum sieht sich einem stroboskopischen Sound- und Lichtgewitter ausgesetzt, das die Musiker stets nur für Bruchteile von Sekunden illuminiert und dabei im Verbund mit massiven Geräuschklängen flüchtige Bilder von roboterhaften Bewegungsfragmenten freigibt. Die Neue-Musik-Jüngerschaft ist konfrontiert mit „Codec Error“ von Alexander Schubert, einem Stück für Schlagzeug, Kontrabass, Lichtregie und Elektronik, das so gar nichts mehr mit den landläufigen Vorstellungen von Neuer Musik zu tun hat.

Extreme Wahrnehmungssituationen mit einer entschieden körperlich wirksamen Präsenz von Klang (und Licht) zu schaffen, ist ein Hauptimpuls der Arbeit  von Alexander Schubert, welche die Grenzen des auditiven und visuellen „Wohlbefindens“ oft lustvoll überschreitet: „Mich interessiert das Konzept des Loslassens, des Zeitverlierens, der Rauschzustand, nicht nur im Sinne von Party machen und feiern, sondern auch das Loslassen von Regeln, sich selbst zu verlieren, euphorisch zu sein, aber auch die andere, gefährliche Seite, also das Haltverlieren und die traurige Komponente, die da leise mitschwebt.“ Zustände von Rausch und Entgrenzung, wie sie Techno und Rave kultivierten, sind bei Alexander Schubert allgegenwärtig und spiegeln sich in einem klanglichen und visuellen Extremismus (in der Regel sind seine Performances extrem laut, schnell, grell und zerschnitten, aber auch: extrem gut koordiniert), der auf eine Sprengung der üblichen Wahrnehmungsmodi aus ist. Durch die minutiös synchronisierte Choreographie von Licht, Bewegung und Sound legt Schubert in „Codec Error“ das Augenmerk auf die Mechanisierung und Fragmentierung menschlichen Verhaltens: Reale und virtuelle Körperlichkeit vermischen sich dabei (wie im „echten Leben“, das längst ein Zwitter aus analoger und digitaler Wirklichkeit geworden ist) zur Unkenntlichkeit: „Der Körper ist Gegenstand der digitalen Manipulation, seine Identität ist gebrochen. (...) Diese puppenartige Darstellung zielt darauf, den Menschen auf der Bühne so erscheinen zu lassen, als blicke man auf eine digitale Repräsentation. Die Kontinuität und Präsenz der Spieler unterliegt Veränderungen und fehlerartigen Manipulationen, wie bei abgestürzten Computerprogrammen – digitalen Fehlern. Während derartige Störungen auf Computerbildschirmen geläufig sind, zielt das Stück darauf, diese Wahrnehmungsweise auf echte Personen der Bühne zu übertragen und dadurch die Musiker in ihre fehlgesteuerten Avatare im wirklichen Leben zu verwandeln.“ Schuberts hybride Konstellationen verunklaren mit Vorliebe, wer da wen gerade steuert. Die Ausführenden von „Codec Error“ werden zum Teil einer Maschinerie, die sie nicht mehr selbst koordinieren, vielmehr erscheinen sie als Teil eines von außen gelenkten „Bewegungs-Apparates“ wie ferngesteuerte Wesen.

Umwandlung von Bewegung

Schuberts besonderes Interesse am unmittelbar Körperlichen einer „immersiven“ Wirkungsmacht von Musik ist aber nicht allein den Möglichkeiten medialer Erweiterung geschuldet, sondern war zunächst auch von vielerlei Praktiken der improvisierten Musik und ihrer impulsiven Gestik inspiriert. Der Wunsch, die Ebene instrumentaler Performance mit den Mitteln audiovisueller Elektronik zu verbinden, führte anfänglich zu einer intensiven Beschäftigung mit Bewegungssensoren. Stücke wie „Weapon of Choice“ (2009) oder „Laplace Tiger“ (2010) sollten dem Interpreten in Verbindung von Instrument, Sensor, Live-Elektronik und Video die Möglichkeit geben, die elektronische und visuelle Ebene selbständig zu steuern und nicht als etwas von außen Übergestülptes zu erfahren. In der Umwandlung von Bewegung in akustische oder visuelle Ereignisse werden jedoch in fast allen Stücken Schuberts gezielt Diskrepanzen und Verschiebungen hergestellt: Das, was wir sehen, muss nicht unbedingt deckungsgleich sein mit dem, was wir hören oder an anderer Stelle sehen. Solche Reibungen und Irritationen sind im Detail ebenso wirksam und wesentlich wie grundlegende Antagonismen und Ambivalenzen, die Schubert in seinem Essay „Binäre Komposition“ so benannt hat: „Ernsthaftigkeit vs. Humor/Ironie, Körper vs. Virtualität, Popmusik vs. Neue Musik, Konzept vs. Intuition, Expressivität vs. Introversion und Technik vs. Romantik.“ Solche Begriffspaare mögen im ersten Augenblick allgemein klingen, aber tatsächlich sind es genau diese Doppellungen und Gleichzeitigkeiten, die Schuberts Stücken ihre besondere Aura verleihen.

Wie viele Vertreter seiner Generation ist Alexander Schubert weniger mit den kompositorischen Leuchttürmen der Neuen Musik groß geworden als mit den Erzeugnissen experimenteller Elektronik und den ästhetischen Oberflächen der Digitalkultur. Insofern entspricht er vollends dem Klischee des „Digital Native“ mit eher subkulturellem als bürgerlichem Background, dessen eigentliches Instrument der Computer ist. Aber die Dinge sind komplexer als sie im ersten Augenblick scheinen. Schubert, der sich zunächst mit Bioinformatik und Kognitionswissenschaften beschäftigte, bevor er bei Georg Hajdu und Manfred Stahnke in Hamburg „Multimediale Komposition“ studierte, sieht seine Arbeit als performativer (Klang-)Künstler und Musiker in einem „Kunstmusik-Kontext“ mit seinen geläufigen Plattformen und Institutionen, Festivals und Ensembles. Um ebendort disparate Sphären explosiv zusammenzumischen, gehen Schuberts Präsentationsformen über das konventionelle Konzertformat in der Regel weit hinaus und betreffen Ensemblekompositionen mit Live-Elektronik und Video ebenso wie Tonbandstücke, audiovisuelle Installationen oder die interaktive Bespielung „öffentlicher Räume“. Wenn Schubert darin mit so offensichtlicher Vehemenz  die omnipräsente Reizüberflutung und kommunikative Verzettelung unserer Medienexistenz mitsamt ihrer Oberflächen und Tools abbildet, stellt sich natürlich die Frage, wie das Verhältnis von Affirmation und „Kritik“ eigentlich gelagert ist. Die Antwort darauf führt uns zu einer der zentralsten Ambivalenzen der Schubert-Hybris: „… die Ambivalenz zwischen der Heftigkeit und dem Gegenteil – der Leere. Auch die verschiedenen Interpretationen von Intensität, als freudige Energie, als Eskapismus oder als Ohnmacht machen für mich das Potential dieses Ansatzes aus. Mich faszinieren die verschiedenen Lesarten dieses überbordenden Zustandes …“

Technik außer Kontrolle

In Schuberts Konzept ästhetischer „Mehrpoligkeit“ werden Aspekte von „Pop-“ und „Hochkultur“ gleichermaßen hinterfragt und überspitzt, die Erfahrung einer Rave-Nacht in „Supramodal Parser“ (2015) ebenso wie die Rolle des Dirigenten in „Point Ones“ (2012), der vermittels Bewegungssensoren an den Handgelenken selbst Klang hervorbringt und schließlich losgelöst von den Musikern in grotesker Überzeichnung seiner gestischen Mittel solistisch agiert. Häufig wird der Produktionsprozess dabei selbst zum Inhalt des Stückes, werden die selbstreferentiellen Aspekte künstlerischer Präsentation ironisch gebrochen: In „Star Me Kitten“ für Sängerin, variables Ensemble, Video und Elektronik (2015) gerät eine zunächst „seriös“ anmutende Powerpoint-Präsentation über die Zusammenhänge von Bild und Klang mit dem Ensemble als Demonstrationsobjekt zusehends aus den Fugen, bis die Vortragende sich in wirre Äußerungen und undurchsichtige Geschichten verstrickt, inklusive simuliertem Computerabsturz. Die inszenierte Destruktion technischer und inhaltlicher Verlässlichkeit, bei der die Dinge ein unkontrollierbares Eigenleben entwickeln, stellt die Relevanz medial vermittelter Information grundsätzlich in Frage.

Komplett aufgelöst hat Schubert den Werkcharakter samt Grenzen der Autorschaft im Projekt „Silent Posts“ (2016), das den Begriff des „Social Composing“ wörtlich nimmt – ein „community concept piece“, so der Initiator. Ausgehend von einem Basis-Entwurf von Schubert kann theoretisch jeder Interessierte eine Variante/Bearbeitung/Neudeutung erstellen und dabei nicht nur an den Schubert’schen Ausgangspunkt, sondern an jedwede Variante eines Bearbeiters im Sinne eines kreativen Schneeballsystems anknüpfen – Work-in-Progress als potentiell unendlicher Remix, bei der der Ausgangspunkt kaum noch erinnerbar bleibt.

In den letzten Jahren geht es Alexander Schubert immer mehr um eine ganzheitliche Wahrnehmung artifizieller Räume und immer weniger um klassische Bühnen-Situationen mit ihrer klar eingeschriebenen Distanz von Publikum und Ausführenden. Im Zusammenhang von „Supramodal Parser“ erklärte er: „Was mich immer weniger interessiert, ist eine klassische Bühne zu haben, wo Musiker ihr Stück spielen, dann wird applaudiert und sie gehen wieder. Ich überlege mir: Was kann ein Raum sein, wie kann ich ihn umdeuten? Welchen Erfahrungsmoment kann man daraus generieren? Wie kann man die Handlung des Musikmachens in Szene setzen? Wie kann man die Erfahrung des Publikums mitbeeinflussen?“ In der Konzertinstallation „Black Mirror“ (2016) im Rahmen des Luxemburger Rainy Days-Festival wurde ein mit Masken und spezieller Kleidung versehenes Publikum Teil einer bedrückenden Choreographie auf einem verfallenen Hotelgelände, die Lärm, Licht und Bewegung in einem nächtlichen Parcour zusammenbrachte – surreal, morbid und bedrohlich. Die Grenzen zwischen Publikum und Ausführenden, die oft direkt aufeinander reagieren mussten, wurden dabei an den Rand der Auflösung gebracht.

Einen besonders radikalen Ansatz verfolgt Schubert in seinem neuesten Projekt für das Osloer Ultima Festival, an dem das Publikum ebenfalls unmittelbar partizipiert. Für die Konzertinstallation „CONTROL“ werden die Besucher mit VR-Brillen, Kameras und Mikrofonen ausgerüstet und durchlaufen verschiedene Raumebenen, in denen sie die individuelle Wahrnehmung und Bewegung der anderen Mitbesucher per Anweisungen manipulieren und steuern können. In einem abschließenden „Überwachungsraum“ vermischen sich dann vorproduzierte Ereignisse und Live-Aktion zu einer Erlebnis-Melange, wo zwischen Täuschung und Realität nicht mehr unterschieden werden kann. Ein bedrückendes Szenario, das in der Staffelung verschiedener Wahrnehmungs-Hierarchien „die systemischen Strukturen von Kontrolle, Überwachung, Macht und Misstrauen thematisiert“. Es kann bei Schubert aber auch nach wie vor auf rein instrumentalem Wege explizit gesellschaftskritisch zugehen wie in „Black Out BRD“ für beliebige Kombination von Instrumenten (2017), praktisch ein „Negativ-Bild“ der Nationalhymne. Das Stück beruht auf der Idee, dass allein die Töne gespielt werden, die in der Nationalhymne im jeweiligen Takt nicht vorgesehen sind, was zu einer Folge dichter Clusterakkorde führt, die entweder allein oder im rhythmisch synchronen Verbund mit der Hymne gespielt werden können. In letzterem Fall führt dies logischerweise dazu, dass ständig alle 12 Töne gleichzeitig präsent sind und den patriotischen Ausgangspunkt praktisch „ausschwärzen“. In Zeiten staatlich inszenierter „Heimatliebe“ erhalten die so generierten Klangergebnisse ganz besonders giftige Konturen …

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