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Sabrina Hölzer. Foto: filmstills Markus Zucker © Sabrina Hölzer
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Jenseits der Guckkastenbühne

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Die Berliner Regisseurin Sabrina Hölzer erhält den Belmont-Preis
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Wie hört man, wenn man nichts sieht? Sabrina Hölzer begab sich auf die Spuren eines Hörempfindens, das nicht von visuellen Eindrücken beeinflusst wird. In ihrem Projekt „Into the Dark“ schickte die Berliner Regisseurin das Solistenensemble Kaleidoskop und das Publikum in einen vollkommen abgedunkelten Raum.

Mit dieser dreiteiligen Serie, die ab 2011 in Berlin lief, verfolgte Sabrina Hölzer ihre zentralen Themen: die Erweiterung musikalischer Wahrnehmung und die Einbeziehung des Publikums als schöpferischen Bestandteil der Aufführung. Die Regisseurin erhält in diesem Jahr den Belmont-Preis für zeitgenössische Musik der Forberg-Schneider-Stiftung.

Sabrina Hölzer wuchs im ländlichen Nordrhein-Westfalen auf. Ab 1988 studierte sie in Köln Musikwissenschaft und Philosophie; zugleich arbeitete sie an verschiedenen Bühnen als Regieassistentin. „Die Oper hat mich schon immer fasziniert“, erzählt sie. „Zwischen den Menschen gibt es mehr als Sprache; und Oper kann auch die nonverbalen, sinnlichen Verbindungen zum Ausdruck bringen.“ 

1994 übernahm Sabrina Hölzer eine Gastdozentur für musikdramatischen Unterricht an der Berliner Hochschule der Künste. „Das Einstudieren von Stücken mit den Studenten war für meine Tätigkeit als Regisseurin äußerst lehrreich“, erinnert sie sich an eine Zeit, in der durch glückliche Zufälle die Weichen für ihre Entwicklung gestellt wurden. „Aribert Reimann sah eine meiner Hochschulproduktionen und bat mich daraufhin, ein Stück in seiner Liedklasse szenisch zu betreuen“, erzählt Sabrina Hölzer. „Durch seinen wunderbaren Unterricht beschäftigte ich mich zum ersten Mal intensiv mit Neuer Musik.“ Heute möchte sie die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Klängen nicht missen. „Dass es keine Aufführungstradition gibt, ermöglicht eine große Freiheit. Ich kann etwas Neues, Eigenes beginnen und muss mir nicht etwas aus den Fingern saugen für ein Stück, das schon hundertmal aufgeführt wurde.“

Die Zusammenarbeit mit Aribert Reimann ebnete der Nachwuchsregisseurin den Weg zu ihrem ersten großen eigenen Projekt: 1997 inszenierte sie Wolfgang Rihms Kammeroper „Jakob Lenz“ im Rahmen des Gerhard Büchner-Zyklus von Claudio Abbado mit den Berliner Philharmonikern, dem Hebbel-Theater und der Opéra National de Lyon.

Wenig später wurde sie Leitungsmitglied der Zeitgenössischen Oper Berlin, die sich im Schnittfeld von Musik, Theater und Film bewegt. Mit ihren Inszenierungen prägte Sabrina Hölzer das Profil dieser Einrichtung, die sie jedoch vor zwei Jahren wieder verließ. „Ich möchte verstärkt eigene Themen bearbeiten und mich auch wieder älterer Musik widmen“, begründet sie diesen Schritt. „Zugleich will ich mir die Arbeitsweise bewahren, die Stücke, die Beteiligten und die Probenzeiten selbst auszusuchen.“

Im Laufe der Zeit intensivierte sich Sabrina Hölzers Interesse für die Situation des Publikums. Den Beginn dieser Entwicklung markierte 2008 eine Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Volker März für das Festival MaerzMusik. Die Klanginstallation „TON“, die in einem Kirchenschiff stattfand, wurde von der Regisseurin als „Szene für Mobile, Publikum und Instrumentalisten“ bezeichnet. „Klassisches Theater beruht auf der Autorität der Guckkastenbühne gegenüber dem Zuschauer“, erläutert Sabrina Hölzer. „Ich hingegen suche in verschiedenen Konstellationen den Kontakt mit dem Publikum, um einen gemeinsamen schöpferischen Prozess von Ausführenden und Rezipienten zu ermöglichen.“

Ob man ihre Projekte nun Musiktheater, Performance oder Installation nennt – dem Aufführungsort kommt jedenfalls eine entscheidende Rolle zu. „Anstatt ein Bühnenbild bauen zu lassen, suche ich einen geeigneten Ort, der dann selbst zur Bühne wird“, erklärt die Künstlerin, die monatelang durch Berlin lief, um einen passenden Saal für „Into the Dark“ zu finden.

Mit dieser Aufführungsserie im lichtlosen Raum hat sie ihr Sensorium für die Rezeption als mit-schöpferischen Teil der Aufführung noch einmal verfeinert. „Nach der Vorstellung erzählen sich die Besucher, was sie erlebt und gefühlt haben. Da geht es nicht um den Austausch von Urteilen“, meint die Regisseurin, die gerade das erfreut: dass sich der Besucher mit Körper, Sinnen und Gefühlen auf die Situation einlässt anstatt im analytischen Hören und Bewerten zu verharren.

Den Belmont-Preis nahm Sabrina Hölzer bei den Kunstfestspielen Hannover-Herrenhausen entgegen, wo ihre Uraufführungsinszenierung von José M. Sánchez-Verdús „Atlas – Inseln der Utopie“ lief. „Die Zuschauer erleben hier drei Raumebenen, Endlos-Spiegelungen, Lichtspiele und den Einsatz des vom Komponisten erfundenen Auraphons“, beschreibt die Regisseurin das Stück. „Wenn man die Aufführung mehrfach besuchen würde, sähe man jedes Mal einen ganz anderen Ausschnitt.“
Die Wahrnehmungsweise des Publikums bleibt also Sabrina Hölzers entscheidendes Thema.

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