Hauptbild
Lachender Macher in seinem Münchner musica-viva-Büro: Josef Anton Riedl  Foto: Charlotte Oswald
Lachender Macher in seinem Münchner musica-viva-Büro: Josef Anton Riedl Foto: Charlotte Oswald
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Klang-Aktionär und Charakterkopf

Untertitel
Josef Anton Riedl zum 80. Geburtstag
Publikationsdatum
Body

Die Anfrage, zu Josef Anton Riedls 80. Geburtstag eine kurze Würdigung zu schreiben, wird in einem ersten Reflex zunächst zurückgewiesen: Habe man doch bereits Einiges zu diesem Komponisten und seinen Aktivitäten beigetragen in den letzten Jahren, und wünsche man sich selbst doch vielmehr den veröffentlichten Blick Anderer auf das Phänomen Josef Anton Riedl. Blicke Anderer auf Riedl gibt es ohne Zweifel zahllose, nimmt er doch bis heute höchst aktiv – wenn als Person auch meist im Hintergrund – am Geschehen des zeitgenössischen Kunst-/Musik-/Literaturlebens teil.

Allerdings schlugen sich nur allzu wenige dieser Blicke in veröffentlichten Texten nieder. Es wird höchste Zeit, sich dieses zwar einzelgängerischen, aber mit Seinesgleichen global vernetzten, höchst eigenständigen Künstlers gründlicher anzunehmen; auf Forschungsreise zu gehen durch sein Œuvre, das selbst für Personen seiner unmittelbaren Umgebung unüberschaubar geblieben ist und sicher noch zahlreiche Überraschungen bereithält. Das Privatarchiv in seinem nach eigenen, architektonischer Moderne verpflichteten Entwürfen, gebauten Haus im voralpenländischen Murnau dürfte eine wahre Schatzkammer sein, die es endlich zu erschließen gilt.

Die Protagonisten üblicher Verwertungsketten des heutigen Musiklebens müssen beim Versuch, der eminenten Wirkung dieses Komponisten auf den Grund zu gehen, geradezu die Fassung verlieren. Denn Riedl ist Komponist ganz ohne Verlag oder Agentur, Professur oder herausgehobenes öffentliches Amt, darüber hinaus ein Charakterkopf, der sich eines durchaus knorrigen Umgangstons bedient; einer, der öffentliche Auftritte stets gemieden hat und sich bisher Feierlichkeiten anlässlich runder Geburtstage durch Nichtpreisgabe seines Geburtsjahres weitgehend entzogen hat (wobei Letzteres ernste biographische Hintergründe hatte, die auf die Zeit des nationalsozialistischen Rassenwahns zurückweisen). Er ist ein Komponist, von dem bisher keine einzige Portrait-CD erschienen ist und über den nur wenige Publikationen existieren; einer, der seine Bekanntheit weder als Wortführer, Kompositionslehrer oder interpretierender Musiker beförderte, und der in seinem bisherigen Leben mit keinem einzigen traditionell besetzten Orchester- oder Musiktheaterwerk (dies auch heute noch wesentliche Generatoren öffentlicher Aufmerksamkeit) aufzuwarten bereit war. Nimmt man all diese Faktoren zusammen, verwundert es nicht, dass Riedl zeitweise eng verbundene Altergenossen und Geistesverwandte wie Cage, Feldman, Kagel, Stockhausen, Xenakis oder Schnebel stärker im Bewusstsein einer interessierten Öffentlichkeit stehen als er. Doch wer sich ernsthaft um eine Gesamtschau wichtiger Positionen der letzten fünfzig Jahre Musikgeschichte bemüht, kommt am Namen Riedl nicht vorbei. Zu originell, zu vielseitig und zu zahlreich die Zeugnisse seines Wirkens seit den 50er-Jahren.

Wo das Gros heutiger Komponisten an herkömmlichen Aufführungsapparaten festhält, hat Riedl sich ein gänzlich anderes Reservoir an Mitteln zur Hervorbringung von musikalisch-optischen Kunstwerken erarbeitet und damit ein wahres Paralleluniversum zum Kompositionskanon der letzten 50 Jahre geschaffen. Seine Musik ist meistens eben nicht nur Musik: Sie enthält Klang, Geräusch, Stille, Laut, Text, aber auch Zeichnung, Licht, Szene, Bewegung, Video; sie fordert Körperaktionen wie Klopfen, Klatschen, Stampfen, Flüstern, Schreien. Sein Instrumentarium umfasst im Wesentlichen das Schlagzeug in all seinen Varianten und Lautsprecher für elektronische oder konkrete Klänge. Dazu kommt das Spiel auf und mit Materialien wie Papier, Karton, Glas, Folien, Gummi. Nur hin und wieder begegnet man Flöte, Gitarre, Klavier, Harfe, Posaune, Zither oder E-Gitarre. Ganz zentral für Riedls Komponieren ist die (Sprech-)Stimme, deren unkonventioneller Einsatz in der reichen Tradition der Lautpoesie seit Kurt Schwitters wurzelt (wie sie in Riedls Veranstaltungen wie kaum anderswo intensiv gepflegt wurde). Vom intimen Lautgedicht für einen Sprecher bis hin zur Turnhallen füllenden Materialschlacht, bei der Scheiben zerschmettert, endlose Papierbahnen zerknüllt oder Unmengen von Heliumballons auf die Reise geschickt werden, reicht das Spektrum seiner Besetzungen. Bei aller Radikalität der eingesetzten Mittel, aber auch bei aller sorgfältigen Konstruktion im Kompositorischen, ist es durchaus so, dass seine Werke im besten Sinne unterhalten. Man findet in ihnen beunruhigende, irritierende, witzige, überraschende, aufrüttelnde, konzentrierte oder spektakuläre Momente, immer verbunden mit äußerst effektiven dramaturgischen Abläufen, die den Stücken oft sogar den Charakter veritabler „Rausschmeißer“ verleihen.

Dies alles jenseits traditioneller Ausdruckskategorien und ohne erkennbare Bezugnahmen auf ältere Musikgeschichte. Viele dieser Charakteristika Riedls eigener Musik prägen auch ein weiteres Feld seiner Aktivitäten ... Riedl ist beileibe nicht der Totalverweigerer des Musikbetriebs, wie es weiter oben vielleicht den Anschein erweckt haben mag. Die Zurückgezogenheit als Person ging in seinem Leben immer einher mit den Aktivitäten des „virtuosen Veranstalters“ Riedl: Als Begründer der bereits legendären Klang-Aktionen, als Kurator des Musikprogramms der Münchener Olympiade 1972, von Konzertreihen in Bonn oder Chemnitz, oder im letzten Jahrzehnt der BR-Konzertreihe „musica viva“, hat er durch außergewöhnliche programmatische Fokussierungen (Elektroakustik, Lautpoesie, neue Instrumentarien, Installationen, orchestrale Raummusiken usw.) und Auftragsvergaben an oftmals wenig etablierte (da gegenüber dem Mainstream unangepasste) junge oder ältere Komponisten das Musikleben in Deutschland, aber auch international entscheidend mitgeprägt.

Seinen Klang-Aktionen gelingen bis heute immer wieder höchst spannende Kombinationen der ästhetisch wagemutigsten Positionen der Gegenwartsmusik, damit den stets virulenten restaurativen Tendenzen unserer Musikkultur beharrlich trotzend. Grund genug, seinen (un-?)runden Geburtstag angemessen zu feiern. Eine Hommage an Riedl mit vielen seiner befreundeten Kollegen und Musiker findet am 15. Juni 2009 im Münchner Carl-Orff-Saal statt. Zudem hört man vom baldigen Erscheinen einer Portrait-CD und sogar ein Gesprächskonzert (im Rahmen des Giesinger kunstbahnsteigs) ist avisiert …

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!