In den ergiebigsten Proben von Kurt Masur floss Schweiß, viel Schweiß. Das hat sich stets gelohnt, seine besten Konzerte gerieten zu Sternstunden, nicht selten sind sogar Tränen geflossen. So manche Aufführung dieses Maestro durfte als Andacht erlebt werden. Gespeist vom tiefen Glauben an die Kraft aus dem Geist der Musik.
Mit dieser Hingabe mochte der 1927 im schlesischen Brieg geborene Dirigent bis ins hohe Alter nicht aufhören, er verband sie mit Schlichtheit und verweigerte sich großer Gesten am Pult. Der Effekt war enorm. Vor dem Applaus verfiel das Publikum oft in ergriffene Stille. Kurt Masur kommentierte sie so: „Dieses totale Schweigen am Schluss der Konzerte. Da spürt man, dass es gelungen ist, die Menschen mitzunehmen in eine Welt, von der man manchmal glaubt, allein darin zu sein. Das ist das schönste Gefühl überhaupt.“
„Gemeinsamkeit einer Interpretation“
Ein derartiges Verständnis beweise „die Ehrlichkeit des Zuhörens“, bei dem die Menschen spürten, „dass sich das Orchester in einer Weise mit mir identifiziert, wie ich mich mit dem Orchester identifiziere“. Wenn diese „Gemeinsamkeit einer Interpretation“ vom Publikum so verstanden werde, dann seien alle „im selben Boot“ gewesen, war sich Masur sicher.
Zunehmend stand die Frage im Raum, warum er sich das mit weit über achtzig Jahren immer noch antue? Kurt Masur, von mehreren Bühnenunfällen gezeichnet, wies solches Ansinnen zurück: „Ich tue mir das doch nicht an. Die Frage war für mich immer, wie lange willst Du dirigieren, so lange du kannst oder so lange du nützlich bist?“ Und er gab sich die Antwort darauf: „Ich bin noch ziemlich nützlich.“ Mitunter war es erstaunlich, wo dieser Mann bis fast zuletzt noch die Kraft zum Arbeiten fand: „Die kommt aus der Musik“, sagte er gern, „ausschließlich aus der Musik. Ich liebte die Werke, die ich dirigiert habe, schon bevor ich sie dirigieren konnte.“
„Keine Gewalt!“
Kurt Masur blickte auf eine lange und erfolgreiche Dirigentenkarriere zurück. Nach seinem – abgebrochenen – Studium in Leipzig startete er als Kapellmeister in Halle, wechselte über Erfurt und Leipzig nach Schwerin, ging an die Komische Oper Berlin, bevor er von 1967 bis 1972 als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie wirkte. Vor allem aber ist sein Name mit dem Gewandhausorchester Leipzig verbunden, dem er von 1970 bis 1997, so lange wie niemand sonst, als Gewandhauskapellmeister weniger vorstand denn diente. Masur unternahm mit diesem Orchester rekordträchtige 900 Tournee-Konzerte, spielte zahllose Platten- und Rundfunkaufnahmen ein und pflegte eine spezifische Klangkultur, die sich in einem breiten Repertoire offenbarte, insbesondere bei Beethoven und Mendelssohn, immer wieder bei Tschaikowski und Schostakowitsch, gern auch bei Matthus und Schnittke.
In Leipzig schuf Kurt Masur bleibende Denkmäler, da er den Neubau des 1981 eröffneten Neuen Gewandhauses durchgesetzt hatte. Später krönte er diese Wiedergutmachung von Kriegsschäden mit dem geretteten Mendelssohn-Haus. Zwischen diesen Bauleistungen und neben kontinuierlicher Orchesterarbeit geriet Anfang der 1990er-Jahre die Politik in Masurs Leben. Spätestens mit dem Leipziger Aufruf „Keine Gewalt!“ vom 9. Oktober 1989 geriet der Musiker zum homo politicus und trug mit dazu bei, dass im Herbst 1989 kein Blut floss.
Obwohl der Dirigent beizeiten international unterwegs war, startete seine Karriere nach dem Fall der Mauer noch einmal neu, er wurde Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra (1991–2002), Musikdirektor des London Philharmonic Orchestra (2000–2007) sowie Chef des Orchestre National de France (2002–2008). Auf all diesen Stationen begleitete ihn die japanische Sopranistin Tomoko Sakurai, der er seit 1975 in dritter Ehe verbunden war. Nachdem er 2012 seine Parkinson-Erkrankung öffentlich machte, dirigierte er notfalls im Rollstuhl. „Ich habe versucht, mein Leben weiterzuführen. Dank meiner tapferen Frau ist mir das möglich, denn sie hat die Moral und auch die Kraft, mir soviel Energie und Liebe zu geben, dass ich dazu in der Lage bin.“
Mit mahnenden Worten und ehrlichem Engagement stand Masur im Dienst der Musik, stritt für musische Bildung und gegen Kulturkürzungen, wirkte weltweit als Friedensbotschafter und unterstützte leidenschaftlich den Nachwuchs. In einer Laudatio würdigte der Komponist Siegfried Matthus seinen langjährigen Freund als „universellen Weltmusiker mit einer tiefen menschlichen Aufrichtigkeit“.