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Lust auf Begegnungen und Neuentdeckungen

Untertitel
Die Pianistin Birgitta Wollenweber im Gespräch · Von Albrecht Dümling
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In Berlin wohnt sie seit 1994. Aber sie ist noch in Warteposition, offen für Anregungen, für neue Begegnungen, für interessante Konzertprojekte. Ungewöhnlichen Aufgaben hat sich die in Detmold und London ausgebildete Pianistin nie entzogen. Weil sie technisch keine Probleme hatte, traute sie sich früher als andere Kollegen und Kolleginnen zu Wettbewerben. Erste Erfolge hatte die damals 23jährige beim Bundesdeutschen Chopin-Wettbewerb in Darmstadt, dann 1988 beim Chopin-Wettbewerb in Köln. „Zu Chopin hatte ich gleich Zugang, während ich mir bei Beethoven erst noch die Zähne ausbeißen mußte.“ Auf eine Anregung von außen geht auch das aparte Programm ihrer ersten CD-Produktion zurück. Nachdem ein Veranstalter Variationszyklen gewünscht hatte, ging Birgitta Wollenweber auf die Suche. Neben den Abegg-Variationen op.1 von Robert Schumann und Clara Schumanns Variationen über ein Thema von Robert Schumann fis-moll op.20 förderte sie auch Raritäten wie Chopins B-Dur-Variationen op.12 oder die Variationen des Spaniers Federico Mompou über ein Thema von Chopin zutage. Und sie spielt es mit makelloser Klarheit, mit pointierten Tempi, mit einer feinnervigen Gliederung, die den technischen Finessen durchaus übergeordnet sind. Diese stellt sie in den Dienst des Ausdrucks, des Poetischen. Der Weg zur Konzertpianistin war der 1963 geborenen Rheinländerin schon immer wichtigstes Lebensziel. Auch gelegentliche Tiefpunkte haben diese Bahn nicht beeinträchtigt. Nach der Künstlerischen Reifeprüfung in Detmold ging sie für ein Jahr an das Royal College of Music in London, wo Peter Wallfisch ihr Lehrer war. Detmold, der Ort des Konzertexamens (1990), erschien ihr als überschaubar, aber auch ein wenig eng. Als „Aufstieg“ empfand Birgitta Wollenweber die Übersiedlung nach Köln, wo sie während fünf Jahren viele Anregungen empfing. Auf Berlin, wohin sie aus privaten Gründen zog, möchte sie sich noch stärker einlassen. Bislang ist sie zu oft zwischen Berlin und Köln gependelt, hat deswegen im Berliner Musikleben noch nicht richtig Fuß fassen können. „Pianisten müssen sich immer um Anschluß bemühen, um nicht im eigenen Saft zu schmoren.“ Mehrere Beispiele gelungener kammermusikalischer Partnerschaften hat sie schon erlebt. Beispielsweise in Sarasota/Florida beim Karnmermusikfestival Bruno Guirannas. Musiker, die sich zuvor nicht kannten, stießen hier aufeinander. „Es war eine kurze, aber unheimlich konzentrierte Zeit.“ Zusammen mit dem in Berlin lehrenden Klarinettisten François Benda1 spielte sie dort Messiaens ,Quartett auf das Ende der Zeit‘. Gern musizierte die Pianistin auch mit Michael Faust, dem Soloflötisten des Rundfunksinfonieorchesters Köln, oder mit der Bratschistin Karin Wolf. Zusammen mit ihr nahm sie erst kürzlich in Berlin unter dem Titel „Bonner Komponisten“ Werke von Beethoven, Schumann, Denhoff auf. Michael Denhoff ist der zeitgenössische Komponist, dessen Musik ihr am stärksten einleuchtet. Da sie sich auch für bildende Kunst interessiert, fand sie spontan Zugang zu den Chagall-Reflektionen seines Hebdomadaire-Zyklus op.69. Sie muß von einem Werk überzeugt sein, wenn sie es im Konzert spielt oder gar für eine CD produziert. Pflichtübungen sind nicht ihre Sache. Da sie aber Herausforderungen liebt, spielte sie etwa zum Entzücken der Kritiker die vier Phantasien von Carl Loewe als Erstaufnahmen ein (Ambitus 1997). Auf Loewe stieß sie per Zufall, als auf dem Faxgerät ihres Vaters Nachrichten zum 200. Geburtstag des Komponisten eintrafen, die eigentlich für einen anderen Empfänger bestimmt waren. Die Neugier war geweckt – und wurde in der Musiksammlung der Berliner Staatsbibliothek gestillt. Hier fand Birgitta Wollenweber interessantes Material, für das sie dann auch eine Produktionsfirma gewinnen konnte. Die erste Absage stimulierte sie zu einem „Jetzt erst recht!“ – mit Erfolg. Die hochgewachsene und selbstbewußte Künstlerin machte bislang ihren Weg auch ohne eine Künstleragentur. Unterstützt von ihrem Mann, einem Bauingenieur, nimmt sie die Organisation in die eigene Hand. Im vergangenen Jahr fand sie so immerhin Auftritte in Schloß Elmau (mit Michael Faust) und Florida und die Einladung zu eigenen Klavier-Meisterkursen in Korea. Außerdem produzierte sie neue CDs mit Kompositionen Joseph Joachims für Violine und Klavier (Tacet) und kaum bekannten Klavierwerken Julius Weismanns (Dabringhaus & Grimm). Gelegentlich leitet sie ihre Klavierabende mit einführenden Worten ein. Sie selbst erfährt gerne etwas über Entstehung und thematische Zusammenhänge der von ihr gespielten Werke. Durch Distanz gewinnt sie Einsicht. „Musik wirkt dann sachlicher.“ Als Interpretin möchte sie dann aber doch das Emotionale ausloten und ausleben. Auch Zeitgenössisches will sie in dieser Form auf dem Podium verinnerlichen können. „Wenn da nichts ist, bekomme ich Magenkrämpfe.“ In diesem emotionalen Ansatz, auch in der Bevorzugung des romantischen Repertoires ist sie mit Martha Argerich zu vergleichen, die sie wegen ihres feurigen Temperaments bewundert. Vorstellungen von einen spezifisch weiblichen Klavierstil lehnt sie ab und wundert sich eher, wenn ihr Auftreten gelegentlich als „männlich“ bezeichnet wurde. Viel wichtiger ist es ihr, das Publikum bis zum letzten Platz zu erreichen. Wie Martha Argerich geht Birgitta Wollenweber in ihrem impulsivem und energischen Spiel bewußt Risiken ein. Nach einem Konzert weiß sie aber sofort, ob eine Interpretation gelungen ist, ob sie logisch war. Dabei freut sie sich immer über Neues, über Entdeckungen und Aha-Effekte. Neue Aufgaben fordern sie heraus. Zu ihren nächsten Projekten gehören Klavierwerke von Carl Nielsen und Liszt-Transkriptionen von Chopin-Liedern. Demnächst will Birgitta Wollenweber in einem Konzert sogar Cembalo spielen – „um zu sehen, wie das klingt“.

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