Am 11. Mai jährt sich der Todestag Max Regers zum 100. Mal. Susanne Popp, Leiterin des Max-Reger-Instituts Karlsruhe, hat aus diesem Anlass eine knapp 550 Seiten starke Biographie bei Breitkopf & Härtel vorgelegt. Juan Martin Koch sprach mit der Reger-Expertin über den Akkordarbeiter, von dem nach wie vor nur ein schmaler Teil des gewaltigen Œuvres wahrgenommen wird.
neue musikzeitung: „Werk statt Leben“: Der Titel Ihrer Reger-Biografie ist mehr als eine Wortspielerei. Wie schreibt man die Biografie eines Komponisten, dessen Leben in seiner Musik aufgegangen zu sein scheint: der selbst komponierten und der als Interpret aufgeführten?
Susanne Popp: Den Titel verstehe ich wirklich doppeldeutig: Zum einen hat bei Reger, je älter er wurde, das Komponieren und Musikmachen immer stärker von seinem Leben Besitz ergriffen, andererseits geht es um die Werkstatt des Lebens, in der ihm vieles nicht gelungen ist. Wer mich kennen will, soll in meine Werke schauen, hat er sinngemäß gesagt. Er war sich schon bewusst, dass er vieles von sich selbst in seinen Werken offenbarte.
nmz: Aber nicht im Sinne von Bekenntniswerken oder versteckten biografischen Bezügen…
Popp: Nein, da gibt es keine Frauennamen in Tonbuchstaben! Aber es ist sehr viel Verrätseltes in seinem Werk und wenn man sein Liedschaffen betrachtet, dann spiegelt sich in den gewählten Texten schon einiges aus seinem Leben wider, da kann man einen Faden finden. Als er seine Kinder adoptiert hat, schreibt er Kinderlieder statt mit ihnen zu spielen…
nmz: Dennoch ist Regers äußere Biografie ja nicht ereignislos. Was sind die entscheidenden Stationen und Prägungen?
Popp: Die erste ganz wichtige Station ist die Isolation in Weiden, wohin er nach der Krise von 1897/98 zurückkehrt. Hier konzentriert er sich ganz auf sich selbst und erschreibt sich mit den Orgelwerken den Durchbruch, zugleich entstehen Lieder und Kammermusik. Die Zeit in München ab 1901 ist bedeutsam, weil er sich da in einer Opposition wiederfindet, Leipzig ab 1907 als Reifezeit, mit den großen Kammermusik- und Orchesterwerken. In Mei-ningen entstehen die klanglich ausgeklügeltsten Orchesterwerke, in Jena das resignierte Spätwerk, das am allermeisten gespielt wird.
nmz: Tabak, um sich anzuregen – Alkohol, um den stets um Musik kreisenden Gedanken zu entkommen. Wie würde man aus heutiger medizinischer Sicht Regers Lebenswandel beschreiben?
Popp: Die Ärzte sind sich heute einig, dass der Tabakkonsum ausschlaggebend für seine Herzerkrankung war. Damit fängt er ja schon in sehr jungen Jahren an, es gehört ein Stück weit zum Künstlerhabitus. Es gibt Fotos, da schwimmt er mit Zigarre im Mund… Zum Alkohol greift er zunächst in der frühen Zeit aus purer Verzweiflung, um abzuschalten. Später ist er das einzige Mittel, den Kopf leer zu kriegen. In den Briefen ist die Rede davon, dass er permanent über Musik nachdenken muss. Er trinkt aus purer Überanstrengung. Heute würde man Reger als Workaholic bezeichnen. Ich habe mich aber im Buch zurückgehalten, ihn auf die Couch zu legen, ihn psychologisch zu erklären. Das soll der Leser selbst interpretieren.
nmz: Während er ein Werk zu Ende schreibt, muss unbedingt das nächste angefangen werde. Hatte Reger Angst, in ein Loch zu fallen?
Popp: Ja, ich stelle es mir so vor, dass das die Lebensgarantie ist: Ich schreibe, also lebe ich. Ein Loch entstehen zu lassen, dagegen kämpft er an. Musik als Dauerzustand, das wäre sein Ideal gewesen, leider wurde er immer wieder unterbrochen. Frieda Kwast-Hodapp, die das Klavierkonzert uraufgeführt hat, schreibt ja, dass sie ihn sich gut als Mönch vorstellen könnte, der nur für sein Werk lebt. Das konnte er aber auch nicht, er wollte jeden Abend auftreten.
nmz: Das exzessive Konzertieren war ein selbstgewähltes Schicksal.
Popp: Auf jeden Fall, da sind sich die ansonsten divergierenden Urteile einig. Manche sind ja total genervt von seinem Auftreten, wenn er nach einem gelungenen Konzert zwei Stunden lang Witze erzählt, andere wundern sich, aber akzeptieren das noch. Alle berichten jedoch übereinstimmend: Sobald er Klavier spielt, ist er völlig anders, vor allem bei Bach. Das Witze Erzählen war wohl auch eine Fassade, um sich nicht allzusehr hinter die Maske schauen zu lassen.
nmz: Bei vielen seiner Klavierwerke ist ja auch eine gewisse Entspanntheit spürbar.
Popp: Das stimmt. Da gibt es auch Stücke, bei denen man hört, dass sie aus Improvisationen entstanden sind, dass er da etwas ausprobiert hat.
nmz: Das ist dann oft vergleichsweise schlicht, entspricht gar nicht dem Reger-Klischee von den überladenen, harmonisch undurchdringlichen Komplikationen.
Popp: Ja, diese Vorurteile sind hartnäckig und wenn man dann nachfragt, was die Leute kennen, ist es fast nichts. Unter den Liedern zum Beispiel gibt es ganz zarte, nur hingehauchte Gesänge: fast impressionistische Klang- und Eindruckskunst. Das Interessanteste an Reger – das sagen auch die Interpreten – ist die Vielfalt. Es gibt sowohl das Dicke, Auftrumpfende, dann aber auch das Zarte, Lyrische. Mal ist sein Stil historistisch, dann wieder tollkühn modern. Es gibt immer wieder etwas zu entdecken. Die Mozart-Variationen sind wunderbar, aber in vielen Orchestern ist das wirklich das einzige, was gespielt wird. Ich hoffe, dass in diesem Jahr die schmale Auswahl ein wenig aufgebrochen wird. Wenn man die Mozart-Variationen schön findet, kann man sich wirklich auch mal an die Romantische Suite heranwagen. Bei den Kammermusikwerken ist es ähnlich: Durch die Beschränkung auf die in der Tat besonders schönen späten Werke fällt zu viel unter den Tisch. Die Künstler würden auch anderes spielen, aber die Veranstalter trauen sich nicht
nmz: Wie sieht der Reger-Kalender im Gedenkjahr aus? Was macht das Max- Reger-Institut?
Popp: Es gibt einige Städte, die sich ganz besonders einsetzen: An der Spitze ist Leipzig, würde ich sagen. Die machen nicht nur im Mai viele Konzerte, auch das Bachfest im Juni ist eigentlich ein Bach-Reger-Fest. Erstaunlich ist, dass auch Städte mitmachen, bei denen der biografische Bezug nicht so stark ist – abgesehen davon, dass Reger wahrscheinlich überall einmal aufgetreten ist. In Karlsruhe haben wir lange im voraus die hiesigen Kulturschaffenden ins Boot geholt und haben ein Programm mit 50 Veranstaltungen an verschiedenen Orten zusammengestellt. Ganz vorn dabei sind die Kirchenmusiker mit vielen Aufführungen, die Organisten sind ja seit jeher große Reger-Freunde gewesen. Besonders freue ich mich, dass wir mit der Musikhochschule drei Konzerte machen, wie Reger sie selbst konzipiert hat: Er hat bei den so genannten Reger-Abenden immer Vokal- mit Instrumentalmusik gemischt. Wenn man dann sieht, welche Werke er da kombiniert hat, dann spürt man, dass er sich durchaus bewusst war, dass sein Vokabular den Leuten nicht so vertraut war. Der skurrile Humor zum Beispiel, bei dem die Leute oft ganz ernst bleiben, der wird durch die entsprechenden Lieder ein wenig erklärt. Bei einer solchen Mischung halten dann auch die Zuhörer durch. Ich bin mir aber sicher, dass es eine riesige Reger-Renaissance nie geben wird. Reger war immer zu intellektuell, um Massen anzusprechen. Er setzt einfach eine gewisse musikalische Bildung voraus.
Susanne Popp: Max Reger. Werk statt Leben – Biographie. 544 Seiten, Breitkopf & Härtel, ISBN 978-3-765104-50-3, 39,90 Euro
Konzerte, Wettbewerbe, Tagungen - Veranstaltungen im Max-Reger-Jahr
Mit einem bunten Angebot ehren Deutschland, Europa, aber auch Südkorea, Japan, USA oder Neuseeland den Mann, der in der Musik immer wieder polarisiert hat. Ein Überblick:
9. Mai -15. Juli, Regensburg: Ausstellung «Max Reger - Spuren in Regensburg.»
10.- 16 Mai, Leipzig: Max-Reger Festtage, unter anderem mit Konferenz «Max Reger, ein nationaler oder ein universeller Komponist?»
11. Mai, Universität Santa Barbara (Kalifornien): Konzert «We miss you Max!»
26. Mai, Beckum (Nordrhein-Westfalen): «Zur Interpretation der Orgelwerke Regers, und Improvisation im Reger-Stil»
10. bis 19. Juni: Bachfest Leipzig mit einem Schwerpunkt Reger
24. September, Arnstadt (Thüringen): Reger-Nacht «Musikalische Plaudereien»
20. Oktober, Sondershausen (Thüringen): Max-Reger-Chorfest des Verbandes Deutscher Konzert-Chöre