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Das Scharoun Ensemble. Foto: Felix Broede.

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Schmelzende Details – Das Scharoun Ensemble der Berliner Philharmoniker wird 40 Jahre alt

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Das Scharoun Ensemble verdankt seine Entstehung Franz Schuberts berühmtem Oktett. Um dieses Werk aufzuführen, taten sich 1983 acht junge Mitglieder der Berliner Philharmoniker zusammen; darunter die Geigerin Madeleine Carruzzo, die erste Frau in den Reihen der Berliner Philharmoniker. Mit neuen Auftragswerken feiert die angesehene Kammermusikgruppe den 40. Geburtstag.

 

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Natürlich waren die jungen Gründungsmitglieder begeistert davon, unter dem charismatischen Herbert von Karajan großformatige Sinfonien zu spielen – dennoch vermissten sie die kleinere Besetzung. Wochenlang vertieften sie sich daher in die Noten von Schuberts Oktett für Klarinette, Horn, Fagott, Streichquartett und Kontrabass. Sie suchten nach einem gemeinsamen Klang, stritten leidenschaftlich über Details. Denn das war ihnen von Anfang an wichtig: Dass nicht ein Einzelner sagt, wo es lang geht, sondern dass gemeinsam entschieden wird.

Seither gestaltet das Scharoun Ensemble eine regelmäßige Konzertreihe im Kammermusiksaal der Philharmonie und gibt immer wieder Gastspiele. Schuberts Oktett haben die Musiker im Laufe der Zeit rund zweihundert Mal aufgeführt.

Der Einfall, das neue Ensemble nach dem Architekten Hans Scharoun zu benennen, erwies sich als Glückstreffer. Der Name klingt prägnant und stellt zugleich eine Verbindung zum Stammhaus der Musiker her, der von Hans Scharoun entworfenen Berliner Philharmonie. Die Verbindung von Eleganz und zeitloser Moderne, die der 1963 eröffnete Konzertsaal bis heute ausstrahlt, inspiriert auch das Scharoun Ensemble.

Zwei der Gründungsmitglieder sind heute noch dabei: der Kontrabassist Peter Riegelbauer und der Hornist Stefan de Leval Jezierski. „Wir sind insgesamt neun Musiker. Diese Basis hat sich bewährt, um ein vielfältiges Repertoire abzudecken. Nicht zu klein und nicht zu groß“, erklärt Peter Riegelbauer. Die Musiker vereinen mal als sich Trio, mal als Quartett oder Septett. Bei Bedarf werden weitere Kollegen oder ein Dirigent hinzu gebeten.

Die gemischte Kammermusik stellt andere Herausforderungen als das Spiel im großen Orchester. Stets aufs Neue muss die Balance zwischen Streichern und Bläsern austariert werden. Mal sollen die Instrumente homogen verschmelzen, dann wieder im durchsichtigen Klangbild ihre eigenen Charaktere bewahren. Doch die Auseinandersetzung darüber ist für jeden der Musiker eine Bereicherung.

Den Ansatz des Architekten Scharoun, neue Wege zwischen Tradition und Innovation zu gehen, greift das Ensemble mit seiner Programmgestaltung auf. Kontrastreich kombiniert es in seinen Aufführungen verschiedene Stile und Epochen; klassische und romantische Werke stehen neben zeitgenössischem Repertoire. Damit stellt sich das Scharoun Ensemble gegen den Trend zur Spezialisierung in einer Musikwelt, wo Allrounder selten geworden sind.

„Die starken und sehr individuellen Musikerpersönlichkeiten verschmelzen hier zu einer sublimen Einheit.“

Von einer „der besten und interessantesten Kammermusikformationen“ spricht der Schweizer Komponist David Philip Hefti, der dem Scharoun Ensemble zum 40. Geburtstag ein Jubiläumsstück auf den Leib komponiert hat. „Die starken und sehr individuellen Musikerpersönlichkeiten verschmelzen hier zu einer sublimen Einheit.“

Ein Fixpunkt im Kalender ist der jährliche Aufenthalt im schweizerischen Zermatt, wo die Scharoun-Musiker seit 2005 eine eigene Akademie leiten und das Programm des Zermatt Music Festivals gestalten. Mit den rund 30 Akademisten studieren sie Kammerkonzerte ein und vereinen sich zum Festival-Orchester. Die Profis geben die Stimmführer; der Nachwuchs sitzt an den hinteren Pulten. „Als wir die Akademie gründeten, hätten wir uns dieses Niveau nie träumen lassen“, stellt der Kontrabassist Peter Riegelbauer fest.

Im heimischen Berlin musiziert das Scharoun Ensemble im Kammermusiksaal der Philharmonie. Im Laufe der Jahrzehnte haben die Musiker hier zahlreiche Auftragswerke uraufgeführt; von György Ligeti, Hans Werner Henze oder Pierre Boulez. Peter Riegelbauer spricht von einer „großen Entdeckerlust“, die die Musiker immer wieder packe. „Im direkten Dialog mit den Schöpfern erschließen sich die Werke viel besser. Was da bei den Proben erklärt wurde, vergisst man nie wieder.“

Im Kammermusiksaal ging Ende September das Jubiläumskonzert über die Bühne. Dafür stellte das Scharoun Ensemble ein Programm zusammen, das exemplarisch für sein Selbstverständnis steht: Schuberts Oktett, das vor 40 Jahren der Anlass für die Gründung war, wurde flankiert Neuer Musik und aktuellen Auftragswerken.

Mit der 1960 entstandenen „Quattro Fantasie“ von Hans Werner Henze hat sich das Scharoun Ensemble immer wieder auseinandergesetzt. Mit sinnlichen Klängen wecken die Musiker Assoziationen an ein vor Hitze flirrendes Arkadien. Deutlich wird hier, dass das Scharoun Ensemble eine andere Herangehensweise als Spezialensembles hat – auch in die Neue Musik bringt es die Klangqualität und Ausdrucksstärke der Klassik und Romantik ein.

Weiterhin haben sich die Musiker zum Geburtstag zwei Auftragskompositionen bestellt. David Philip Hefti widmet dem Scharoun Ensemble sein Oktett „Des Zaubers Spuren“, das sich auf Schubert bezieht. Hefti schafft einen Klangraum in F-Dur, der Grundtonart von Schuberts Oktett, in dem die einzelnen Instrumente klopfende, schabende oder blubbernde Impulse setzen und sich zu einem filigranen Gewebe verdichten.  

Das zweite Auftragswerk stammt von dem Australier Brett Dean, der früher Bratsche im Scharoun Ensemble spielte. Er fügt in seinem Werk „Ich lausche und ich höre“ dem Oktett eine Singstimme hinzu. Die Sopranistin Sarah Aristidou formte eine expressive Klage aus Zitaten der romantischen Dichterin Karoline von Günderrode. Horn und Kontrabass haben markante Soli, die an Kranichrufe erinnern – so verbeugt sich der Komponist vor den beiden letzten Gründungsmitgliedern des Scharoun Ensembles.

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